Springtime for Ernst Jünger

Über Heimo Schwilks Jünger-Biografie

Von Philipp SteglichRSS-Newsfeed neuer Artikel von Philipp Steglich

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 17. Februar 1998 starb Ernst Jünger. Zehn Jahre danach versuchen zwei parallel erschienene Biografien dessen "Jahrhundertleben" zu bilanzieren. Die eine hat der Literaturwissenschaftler Helmut Kiesel verfasst, die andere der Journalist Heimo Schwilk, dessen Arbeit hier im Mittelpunkt stehen soll. Im deutschsprachigen Feuilleton wurden bisher beide Bücher oft gemeinsam besprochen, ein Vorgehen, das sich anbietet, kann man doch so die Probleme bei der Darstellung eines besonders langen Schriftstellerlebens elegant deutlich machen. Der allgemeine Tenor der Rezensionen, um einmal gleich die Meta-Ebene, die Rezeptionsgeschichte der Biografien zu liefern, war folgender: Der Heidelberger Literaturwissenschaftler Helmut Kiesel liefere eine ausgewogene, literaturwissenschaftlich höchst sorgfältig verfasste Arbeit, die sich an Jüngers literarischem Werk orientiere, während der Publizist Heimo Schwilk, unter Verzicht auf akademische Diskurse, eher auf Lesbarkeit geachtet habe, weshalb an dessen Text auch eine emphatische Schreibweise abzulesen sei. Der jeweilige Ton mache die Musik.

Zu kurz kam jedoch bisher die Frage nach der Intention der beiden Biografen, denn diese ist die gleiche. Der ehedem noch "umstrittene" Schriftsteller Ernst Jünger dürfe, nachdem das schreckliche 20. Jahrhundert vorbei und eine Schamfrist verstrichen sei, den dichterischen Olymp endlich besteigen. Die beiden Biografen sekundieren diesen in der Tat aufreibenden Diskurs zumindest. Dabei müssen als Sparringspartner ausgerechnet Bertolt Brecht und Thomas Mann herhalten, mit denen verglichen Jüngers Haltung den Nimbus des Sonderbaren verlieren soll. Ausgerechnet der radikale Kriegsgegner Brecht wird hier, unter Aufbietung der üblichen totalitarismustheoretischen Phantasmen, als Pendant des Stoßtruppführers begriffen. Und immer werden Mann und Brecht, die nach Peter Hacks für ihre jeweilige Gattung als die bedeutendesten Schriftsteller der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zählen, zum Vergleich mit dem literarisierenden Kommisskopp Jünger herangezogen.

Zuerst: Die Schwilk unterstellte Emphase findet sich nur im Vorwort des Buches - der Rest ist ziemlich fade nacherzählt. Aber schon in der Einleitung liefert er eine geballte Invektive der Gegenaufklärung, die aus den ideologischen Versatzstücken der Neuen Rechten und dem alltagskompatiblen 68er-bashing á la Kai Diekmann zusammensetzt - und die von der feuilletonistischen Kritik bisher offenbar unbemerkt geblieben ist. Wenn Schwilk vorgibt, Jüngers "Überleben im Jahrhundert der Kriege und Bürgerkriege" zu beschreiben, so unterschlägt er die Rolle des zweimaligen Soldaten Jünger und - im Rückgriff auf Ernst Noltes revisionistisches Schlagwort vom so genannten ,Weltbügerkrieg' - zugleich die Täterschaft des deutschen Volkes: Als hätten Autor und Volk sich in einem Malstrom "der ideologischen und charakterlichen Anfechtungen" behaupten müssen. Weltkrieg und Judenvernichtung als schreckliche Prüfung der Täter: Die bekannte Umkehr von Täter- und Opfer-Rolle.

Jünger sei der "Diarist des Jahrhunderts" - in dieser fragwürdigen Disziplin sogar bedeutender als Thomas Mann - und zeichne lediglich die "Fieberkurve des Säkulums" nach. Hier übernimmt Schwilk Jüngers Selbstbild vom Autor als Seismografen, der lediglich die Erschütterungen seiner Zeit registriere und aufzeichne. Allerdings entwirft er ein (wohl ungewollt) treffendes Bild: Jünger als das Fieberthermometer der konservativen Revolution, kopfüber im dunkelbraunen After. Aber nein, Schwilk reicht dies nicht, er behauptet doch tatsächlich, aus Jüngers Stil spreche gleichsam der "Weltgeist ex cathedra". Und natürlich stehe dieser im Kontrast zum "Zeitgeist", der sei nämlich "liberalistisch, pazifistisch, sozial, kommunikativ." So jedenfalls Schwilks Zeitdiagnose. Jünger "verkörperte das Rätsel der deutschen Seele, von der sich eine Madame de Staël bezaubern ließ, deren faszinierende Eigenwilligkeit aber durch die deutsche Katastrophe von 1945 für immer ausgelöscht scheint." Was für eine Bestandsaufnahme: 60 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und der Shoah lediglich dem "ausgelöscht[en]" Rätsel deutscher Seele nachzutrauen. Aber für jemanden, der die "Katastrophe", also die Wendung zum Schlimmen, für das Jahr 1945 (und nicht etwa für 1933) datiert, nur konsequent.

In der Biografie selbst moniert Schwilk dabei durchaus Jüngers antisemitische Artikel - andernfalls wäre dieses Buch auch kaum publizierbar gewesen. Er scheut sich auch nicht, alle drastischen Äußerungen Jüngers zu zitieren. Dafür war Schwilk in den Archiven und hat die bisher nicht publizierten Briefwechsel und andere Dokumente ausgewertet, so liefert er auch durchaus ungekanntes, interessantes Material. Er unterlässt es jedoch, seine Funde zu interpretieren oder mit dem Forschungsstand zu kontrastieren. Schwilk versteht zwar Jüngers - mitunter schwerverständlichen, abgehobenen - ,Sound der Väter' (Helmut Lethen) zu paraphrasieren, aber wovon der Text wirklich handelt, erschließt sich ihm (und damit auch dem Leser) letztlich nicht. Das ausgiebige Quellenverzeichnis und die sehr dürftige, unsystematische Bibliografie der Forschungsliteratur belegen diesen Befund.

Als Beispiel für Schwilks Scheu vor der Interpretation der Texte - und für ein schlampiges Lektorat - sei Schwilks Behauptung zitiert, Jünger habe in der zweiten Fassung des "Abenteuerlichen Herzens" von 1938 "alle politisch deutbaren Passagen" gestrichen. Schon zwei Seiten später gesteht er wenigstens dem damaligen, zeitgenössischen Leser zu, entdecken zu können, dass mit der Beschreibung in den Capriccios "auch und vor allem der Funktionalismus der nationalsozialistischen Lager- und Vernichtungswelt gemeint sein könnte". Eine Diskussion über die zurecht erkannte "Ambivalenz" der Texte hat aber nicht statt.

Das Fehlen einer Diskussion von sehr wohl vorhandenen, konträren Forschungspositionen und einer Positionsbestimmung des Biografen Schwilk mindert den Gewinn beim Lesen beträchtlich. Allerdings ist dieses Fehlen einer klaren Haltung - wobei die Sympathie für Jünger immer erkennbar bleibt - symptomatisch für Schwilks Textstrategie. Seine Positionsbestimmung erfolgt - camoufliert - in den Präsuppositionen, den implizten Voraussetzungen denen der Leser folgen soll. Das lässt sich nicht nur im Vorwort ablesen, auch in der Schilderung von Jüngers Zeit beim Stab der Besatzer in Paris. Über Jüngers Chef, den Militärattaché Hans Speidel, heißt es da: "Der Schwabe, dem eine vorsichtige Distanz zum Regime nachgesagt wird, hat sich den Ruf eines überaus geschickt agierenden Diplomaten erworben, der engen Kontakt zu den Pariser Behörden hält, um die Folgen der Okkupation für die Bevölkerung abzumildern. Später, nach dem Krieg, werden die vielfältigen Beziehungen zwischen den offiziellen und inoffiziellen Repräsentanten von Besatzern und Besetzten als "Kollaboration" zum politischen Totschlagbegriff. Im Alltag der besetzten Stadt ist sie eine notwendige Bedingung des Überlebens und im kulturellen Milieu hat sie sogar eine insgesamt befruchtende Wirkung, die sich in gemeinsamen Zeitschriften, Veranstaltungen Kulturprojekten, literarischen Zirkeln und Salons ausdrückt."

Schwilk gibt hier keine Fußnote und keinen Beleg, alles ist Mutmaßung und Hörensagen. Die Besatzung der französischen Hauptstadt durch deutsche Truppen wird als eine Art Erasmus-Austauschprogramm und der Kommandostab in Paris, in dem Jünger diente, als so etwas wie ein Goethe-Institut beschrieben. Mit "insgesamt befruchtende[r] Wirkung"; man wünscht dieser Biografie eine Übersetzung ins Französische, auf dass auch der ,Erbfeind' die Kulturpolitik mit anderen Mitteln - wenigstens im Nachhinein - schätzen lernen kann.

Genauso fragwürdig ist Schwilks Einschätzung von Jüngers Tagebüchern: "Trost vermitteln die Pariser Tagebücher deshalb vor allem durch die Beharrlichkeit, mit der Jünger trotz Geiselerschießungen, Bombardements und Deportationen an der Utopie ,der Freundschaft zwischen beiden Ländern' festhält". Den zeitgenössischen Franzosen fehlte wohl diese Utopie, weshalb sie - kurzsichtig und auf Alltagssorgen bedacht - nur auf das baldige Ende der Besatzung hin arbeiteten.

Den Wahnsinn der jünger'schen Geschichtsdeutung hat Schwilk im Februar in einem langen Interview mit der rechtsradikalen Zeitschrift "Junge Freiheit" - deren Leser und bescheidener Spender auch Ernst Jünger war - auf den Punkt gebracht: "Stalingrad war also keine deutsche, sondern eine europäische Niederlage." Weshalb man wohl in Paris schon 1946 einen Platz mit zugehöriger Metrostation nach Stalingrad benannte; aber, um einmal die ironische Frage zu stellen: Haben sich die Franzosen diese Niederlage bis heute überhaupt eingestanden?

Heimo Schwilk versucht in seiner Biografie die Diskussion über Ernst Jünger, dessen Sekretär er war, zu beenden und dem Autor einen sicheren Platz in der Literaturgeschichte zuzuweisen. Dieses Unterfangen kann als gelungen betrachtet werden, ist es doch der feuilletonistischen Kritik nicht einmal aufgefallen, dass Schwilk selbst nationaler Prophet und Stichwortgeber ist. Der Redakteur der "Welt am Sonntag" ist eben auch als Herausgeber und Autor von einschlägigen Texten, die ein neues nationales, großdeutsches Selbstbewusstsein fordern, hervorgetreten.

Wer wirklich etwas über Jünger und Konsorten und ihre biografischen Hintergründe erfahren will, ist mit diesem Buch schlecht bedient. Zu vage und unscharf bleibt das Bild, das Schwilk von Jünger zeichnet und das ohne eigene Lesart der Texte auskommen will. Man ist weitaus besser beraten, die "Männerphantasien" eines Klaus Theweleit heranzuziehen, da dort auf jeder Seite mehr über die Sprache, Strategien und Techniken der Tarnung verraten wird, als in Schwilks Biografie verschwiegen.


Titelbild

Heimo Schwilk: Ernst Jünger. Ein Jahrhundertleben.
Piper Verlag, München 2007.
623 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783492040167

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