Eine andere Geschichte des Bürgertums

Eva Eßlingers „Das Dienstmädchen, die Familie und der Sex“

Von Werner JungRSS-Newsfeed neuer Artikel von Werner Jung

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Diese Münchner Dissertation, die im Rahmen eines Graduierten-Kollegs der Konstanzer Universität entstanden ist, beschäftigt sich mit der Figur des Hausmädchens, genauer noch: mit der literarischen Konzeptionalisierung dieser Figur, deren Urbild die Verfasserin in Samuel Richardsons Briefroman Pamela; or, Virtue Rewarded von 1740 sieht. Auf breitem, komparatistisch ausgewähltem Materialhintergrund, der auf englische, französische und deutsche literarische Beispiele von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts ausgreift, geht Eßlinger den Wandlungen der Figur bzw. den verschiedenen Rollen nach, die das Dienstmädchen im Laufe der Geschichte des Bürgertums und der bürgerlichen Gesellschaft gespielt hat.

Ausgehend von der grundsätzlichen These, wonach das häusliche (vulgo: bürgerliche) Geschehen dem Auge des Staates entzogen ist und somit, wie Eßlinger zustimmend Albrecht Koschorke zitiert, ein „vor- und außerpolitischer Raum“ konstituiert wird, in dem allein die Autorität des ‚pater familias‘ gilt, untersucht sie die „Willkürpraktiken“, denen die Hausmädchen weitgehend ausgesetzt sind:

„Sie geraten […] oft in die Lage, für die emotionale wie für die sexuelle Versorgung der Familienmitglieder in Anspruch genommen zu werden: als Kinderfrauen, die häufig einen engeren Kontakt zu den Kindern haben als die leiblichen Mütter; als Objekte des Begehrens durch ihren Arbeitgeber oder dessen heranwachsende Söhne; und nicht selten sogar als Vertraute der Mutter, obwohl das Verhältnis zwischen den Frauen im Haushalt schon aus rollentechnischen Gründen selten spannungsfrei ist.“

Eßlingers Arbeit demonstriert in nuce, mal eng im Sinne eines close-reading-Verfahrens entlang literarischer Beispieltexte, dann auch wieder eher summarisch „den Karriereweg einer europäischen Romanfigur ‚des‘ verführten Dienstmädchens“, wobei sie sich nicht zuletzt zum Ziel setzt, „den toten Winkel des bürgerlichen Familiendiskurses auszuleuchten.“ Insofern das Dienstmädchen „zugleich innerhalb und außerhalb der Familienordnung“ steht, bezeichnet Eßlinger diese Figur auch als eine „Figur des Dritten“. Dabei sind im Verlauf der Historie erhebliche Achsenverschiebungen feststellbar. Denn während in der Zeit vor 1850 das Dienstmädchen noch als – wie auch immer – integriert in den Familienverbund gedacht werden muss, wird danach der Dienstbote als Familienfremder betrachtet.

Diese Herabwürdigung vermag Eßlinger schon an Beispielen realistischer Romanliteratur (etwa Balzac, Stendhal, Austen oder dem frühen Dickens) festzumachen; Ende des 19. Jahrhunderts dann ist die ‚Aussonderung‘ unübersehbar geworden, was die Verfasserin mit einer Passage aus Fontanes Alterswerk Der Stechlin (1899) verdeutlichen kann: „Meine eiserne Bettstelle“, sagt das Dienstmädchen Hedwig dort an einer Stelle, „die abends aufgeklappt wurde, stand immer neben der Badewanne, drin alle alten Bier- und Weinflaschen lagen. Und nun drippten die Neigen aus. Und in der Ecke stand ein Bettsack, drin die Fräuleins ihre Wäsche hineinstopften, und in der anderen Ecke war eine kleine Tür.“ Kulturgeschichtlich bedeutungsvoll ist auch, dass sich seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts zunehmend „Dienstbeziehungen […] zu einem dezidiert weiblichen Problem“ ausgestaltet haben. Das heißt: „Das Dienstmädchen untersteht primär der Hausfrau, die ihr ‚als unmittelbare Mitarbeiterin, Konkurrentin und Kontrahentin‘ – manchmal aber auch als einzige Ansprechpartnerin, seltener als Freundin – begegnet.“ Im Zuge der Abwertung der körperlichen Arbeit als gesellschaftlicher Kategorie intimisiert sich die Beziehung auch insofern, als sich die hauswirtschaftliche Funktion der Hausfrau einzig und allein darauf beschränkt, die Arbeiten ihres Dienstmädchens zu überwachen.“

Resümierend hält Eßlinger für das Dienstmädchenmotiv im Blick auf die zweite Hälfte des bürgerlichen 19. Jahrhunderts fest, dass „eine auffällig persistente Dichotomie ins Auge (springt), die sowohl im literarischen wie im Alltagsschrifttum das Bild des Dienstmädchens bestimmt. Es erscheint entweder idealisiert (und zugleich in gewisser Weise neutralisiert) als ‚Perle‘ oder aber verächtlich als ‚Schmutzliese‘ (souillon) beziehungsweise ‚Schlampe‘ (slut) – eine negative Charakterisierung, die allerdings durchaus ein erotisches Faszinationspotential In sich birgt.“ Interessant und spannend zu beobachten ist, dass und wie sich im frühen 20. Jahrhundert schließlich das Bild des Dienstmädchens zur Figur der Angestellten hin verschoben hat, was Eßlinger nicht zuletzt an einschlägigen filmischen Beispielen zeigen kann.

Eßlingers Arbeit, die komparatistische Überlegungen mit kulturwissenschaftlichen ebenso wie sozialhistorischen und diskursanalytischen Reflexionen engzuführen versteht und eine beeindruckende Materialfülle ausbreitet, vermag rundum zu überzeugen.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Eva Eßlinger: Das Dienstmädchen, die Familie und der Sex. Zur Geschichte einer irregulären Beziehung in der europäischen Literatur.
Wilhelm Fink Verlag, München 2013.
440 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783770554911

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