Großes, großes Babadu

Wenn Dietmar Dath einen Roman über Religion schreibt, dann wird daraus ein echter Höllenmix: „Leider bin ich tot“

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Roman, in dem eine junge Rollstuhlfahrerin namens Nathalie gleich dreimal von einem aus der Haut gefahrenen Ex-Priester ein wenig unglücklich um die Ecke gebracht wird, kann für sich nicht in Anspruch nehmen, eine „Meditation über den Glauben und das Böse“ und noch ein paar andere Dinge zu sein. In einem Klappentext kann man das behaupten, aber die Klappenpappe ist ziemlich geduldig (muss sie auch sein). Und wenn das dritte Mal damit eingeleitet wird, dass das nun wirklich leider nicht mehr anders geht, weil so ziemlich alle, auf dies es ankommt, alles darangesetzt haben, dass die arme Nathalie eben kein alternatives Schicksal haben darf, dann bleibt dem geneigten Leser kaum etwas anderes übrig, als sich in jener Duldsamkeit zu üben, die ein Romantext immer verlangt. Nämlich die, über ein paar Sachen hinwegschauen zu müssen, die einem schon mal untergekommen sind.

Unabhängig davon kann man aber von einem solchen Roman annehmen, dass eine Menge los sein wird. Und das ist in Dietmar Daths Leider bin ich tot nun einmal der Fall. Aber es kommt noch besser.

Das 19. und das frühe 20. Jahrhundert waren die Zeit mystischer und völlig abgedrehter Romanerzählungen, in denen so ziemlich alles verarbeitet wurde, was als Reservoir zur Verfügung stand. Die Sachen mit Graf Dracul und Frankenstein gehören da noch zu den beinahe plausiblen Varianten, aber sobald Spiritismus und andere okkulte Geheimlehren zur Erzählung wurden, musste der Realitätssinn einfach mal zeitweise abgeschaltet werden, damit das Ganze lesbar blieb. Aber wenn sich sogar die Fotografie damit beschäftigte, okkulte Phänomene aufzuzeichnen, dann wird sich die Literatur sicherlich nicht zurückhalten. Warum sollte sie auch? Dennoch bleibt die Frage, was Herrn Dath dazu getrieben hat, diesen Roman zu schreiben, der nicht nur in der jüngeren Vergangenheit, bevorzugt in Berlin, spielt, sondern in dem auch ein F.A.Z.-Journalist und Autor namens Dietmar Dath höchstselbst auftritt, ohne dass es gleich nach dem Leibhaftigen röchelt.

Nun wird man Dath gönnen, was bei einem Alfred Hitchcock selbstverständlich war, ohne dass man damit einem der beiden etwas zu viel oder zu wenig der Ehre täte. Dazu hat Dietmar Dath als F.A.Z.-Schreiber zu viele Meriten (wenn jemand den Ruf der F.A.Z. als seriöses Medium suspendieren kann, dann Dath, eine verdienstvolle Aufgabe, möchte die Zeitung nicht in Langeweile dahinsiechen).

Aber diese Geschichte? Sie dreht sich um einen deutschen Dokumentarfilmregisseur (Abel) und dessen Jugendfreund und Ex-Priester (Wolf), der sich nicht zu seiner Homosexualität bekennt, sondern stattdessen lieber auf religiöse Sinnsuche geht, was aber leider zu dem oben erwähnten, dreimal erzählten Vorfall führt. Dazugemischt wird die Geschichte der Schwester Abels, die mit ihrem Lebensgefährten die Denkstrukturen des Wetters erforscht. Dafür geraten die beiden, als gläubige Muslime, unter Terrorverdacht. Der Freund wird bei der Festnahme erschossen, Nasrim, so der Name der jungen Frau, verschwindet im Knast von Stammheim.

Dass neben Abel ein Kain stehen muss, der dann gelegentlich eine Sie ist und Cyan, Sein oder Ceecee heißt, ließ sich wohl nicht vermeiden. Diese Ceecee ist anfangs nur die bestmögliche Assistentin Abels, wird aber mehr und mehr zur Schlüsselgestalt, unter anderem deshalb, weil er/sie das Geschehen immer weiter vorantreibt, als extremes Prinzip, von dem man nicht weiß, ob es Böses oder Gutes will und jeweils das Gegenteil davon schafft.

Hinzu kommen noch ein Metal-Sänger und -Texter (bitte nicht die Variante abfragen, da blickste nicht mehr durch), der in einer Nazi-Combo anfängt und schließlich im abschließenden Höllenfeuer samt Ceecee, Abel und wer weiß wem verbrennt. Das alles in einem Metal-Club, in dem eine Band namens Lichtnord, vormals Nordlicht ihre Reunion mit einem ultimativen Gig abfeiert.

Die Haushälterin Wolfs, die an einem Sprachfehler leidet, aber erkennen darf, dass sie eigentlich nur in einer Art Zungen spricht, spielt auch noch mit und gründet zeitweise eine Sekte, die dann aber wegen eigener wirtschaftlicher Dämlichkeiten zugrunde geht. Schuld ist der Mitgründer, der konsequenterweise erschossen wird. Die Haushälterin respektive Sektenvorsteherin hingegen kommt mit einem Kind nieder, das anscheinend aber bereits ein weiteres Kind in sich trägt, das operativ entfernt werden muss. Dass sich um diese Kinder alles drehen muss, wird ahnen, wer an einer solch ahnungsreichen Geschichte Gefallen findet.

Das ist zwar noch längst nicht das gesamte Personal, das sich im Roman tummelt, aber dabei belassen wir’s. Selbstverständlich ist diese Geschichte überbordend vollgestopft und alles andere als stringent, so übervoll und verdreht, dass zu fragen wäre, welche Quellen dafür zu konsultieren und welche Drogen zu konsumieren sind, um auf so etwas zu kommen (ohne in die eine oder andere Richtung etwas zu unterstellen). Aber darauf kommt es auch gar nicht an. Denn die Vorlagen sind derart intensiv verbaut, dass sie keine echte Rolle mehr spielen müssen. Und die Verarbeitung ist derart intensiv, dass das wohl nur nüchtern zu machen ist. Lediglich die immer wieder vorkommenden Anleihen an den Sternheim’schen Nominalstil, die Dath so gar nicht ähnlich sehen, sollte man ihm nicht nachsehen. Ansonsten gilt: aus- und standhalten, wer ein echter Leser ist. Schon deshalb, weil hier über Religion nun wirklich nicht reflektiert wird.

Titelbild

Dietmar Dath: Leider bin ich tot. Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2016.
462 Seiten, 16,99 EUR.
ISBN-13: 9783518466544

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