Endlich ein lesbarer Donelaitis!

Gottfried Schneider legt die mittlerweile fünfte Übertragung der „Metai“ vor

Von Jürgen JoachimsthalerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jürgen Joachimsthaler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sie sind ein Stück Weltliteratur, ihre Entstehung und Publikationsgeschichte sind zutiefst verknüpft mit Besonderheiten der deutschen Kultur- und Literaturgeschichte und doch sind sie, sieht man einmal ab von Johannes Bobrowskis intensiver Auseinandersetzung mit ihnen, trotz mehrerer Übersetzungen nie recht heimisch geworden in Deutschland: Die Metai, die Jahreszeiten von Christian beziehungsweise, so die litauische Form des Vornamens, Kristijonas Donelaitis (1740–1780). Die erste europäische Dichtung, die das Leben fronpflichtiger Bauern mit allen sozialen Härten (bis hin zu Prügelstrafen) aus Sicht dieser Bauern unter Verwendung vieler derber Ausdrücke ihrer „niederen“ Sprache literarisch einfängt, gilt zugleich als (von einem Pfarrer verfasster) Begründungstext der säkularen Literatur Litauens und wird von vielen als litauisches Nationalepos gelesen.

Sie spielt dort, wo sie geschrieben wurde, in Kleinlitauen, das, anders als das eng mit Polen verbundene (und kulturell damals weitgehend polonisierte) Großherzogtum Litauen, im Zuge der kreuzzugsmäßigen Eroberung des Pruzzenlandes durch den Deutschen Orden und dessen daran sich anschließende Kriege gegen die Litauer im Mittelalter an den Ordensstaat, das spätere Herzogtum Preußen gefallen war. Zu Donelaitisʼ Zeit unter den Hohenzollern vereint mit dem Kurfürstentum Brandenburg zum Königreich Preußen war dessen östlichster Teil nach Kriegen und Seuchen, großem Bevölkerungsverlust und der Ansiedlung von Kolonisten verschiedenster Herkunft zu ca. einem Drittel von Litauern bewohnt (Donelaitis selbst stammte aus einer germanisierten litauischen Familie). Da Preußen protestantisch war, musste im Zuge von Martin Luthers Muttersprachengebot zu den Litauern in der Kirche litauisch gesprochen und gepredigt werden. Zum Unterricht im Litauischen (und zu seiner Erforschung) entstand an der Universität Königsberg (zeitweise auch in Halle) ein Litauisches Seminar, welches auch Donelaitis im Zuge seines Theologiestudiums besucht hatte. In den litauischen Ämtern eingesetzte Pfarrer und Litauisches Seminar verband das berufsmäßige Interesse am Litauischen, das in Preußen vorrangig in Form oraler Traditionen (Lieder, Rätsel, Sprüche) greifbar war und zum Objekt vielfältiger Sammeltätigkeit, aber auch räsonierender Spekulation wurde. Der Pfarrer Philipp Ruhig beschrieb in zwei wirkungsmächtigen Schriften die Litauer als Lieder singendes, naives Volk − mit Gotthold Ephraim Lessings Rezeption von Ruhig wird gerne der Beginn des deutschen Interesses an Volksliteratur angesetzt, Johann Gottfried Herder übernahm Ruhigs Konzept und weitete es aus auf die Volksliteratur aller Völker, der deutsche „Volks“-Begriff des 18. und 19. Jahrhunderts war stark davon geprägt (bis hin zur Entscheidung der Brüder Grimm, ihre Märchensammlung zu „Kinder- und Hausmärchen“ zu stilisieren). Ruhig versuchte den Wert des Litauischen aber auch dadurch zu erhöhen, dass er es aufgrund ehrwürdigen Alters und klanglicher Schönheit mit dem Griechischen verglich. Das Litauische sei wie geschaffen für Dichtungen im Hexameter.

Donelaitis, selbst bäuerlicher Herkunft, war seit 1743 Landpfarrer in Tolmingkehmen, wo er deutsche und litauische Gemeindemitglieder hatte und in beiden Sprachen predigen musste. In seiner Freizeit Hobbymechaniker, Pianobauer und Poet, setzte er die Programmatik des litauischen Seminars in Dichtung um. Noch bevor Friedrich Gottlieb Klopstock den Hexameter im deutschen Raum als Versmaß auch deutscher Dichtung etablierte, schrieb Donelaitis in Preußen litauische Hexameter, angereichert mit fleißig gesammelten Ausdrücken aus der Welt der Bauern. Sein zunächst nur handschriftlich verbreitetes Werk war gedacht für den mündlichen Vortrag (angeblich las er passende Stellen auch von der Kanzel) vorrangig im Kreis Gleichgesinnter, also unter im litauischen Sprachgebiet eingesetzten Pfarrern. Unter diesen genoss es einige Prominenz und wirkte zurück auf das litauische Seminar, wo um 1800 in der dort angelegten litauischen Wörtersammlung Donelaitisʼ Dichtung einige Male als Quelle angegeben wurde.

Auf einer Inspektionsreise erfuhr in der preußischen Reformzeit nach 1800 der preußische Bildungsminister Wilhelm von Humboldt von Donelaitisʼ Werk und regte Ludwig Rhesa, den damaligen Leiter des Litauischen Seminars, zu einer Publikation der Metai an. Umsetzen konnte Rhesa dies erst nach den napoleonischen Kriegen: 1818 erschien Donelaitisʼ Dichtung als zweisprachige Ausgabe in Königsberg unter dem Titel Das Jahr in vier Gesängen. Ein ländliches Epos. Diese Erstausgabe war äußerst folgenreich, denn mit ihr legte Rhesa, unterstützt durch Textkürzungen und Glättungen einiger für ihn allzu ungehobelter Ausdrücke, die Grundlagen der weiteren Donelaitis-Rezeption, die, mag seine Ausgabe philologisch auch längst verworfen sein, bis heute durch litauische und deutsche Donelaitis-Deutungen geistert. Geschult an den neuen Richtungen deutscher Literatur, an Sturm und Drang, Klassik und Romantik, wollte Rhesa den Text als originelles Kunstwerk verstanden wissen, der, zugleich Ausdruck des litauischen Nationalcharakters, die Anforderungen der noch neuen Autonomieästhetik erfüllen sollte. Donelaitis, der bescheidene, immer an alltagspraktischen Dingen orientierte Landpfarrer, wurde zum Genie auratisiert, der Text der Metai zum in sich geschlossenen Kunstwerk, zu einem Epos, bestehend aus vier dem Landleben gewidmeten Gesängen, die, beginnend mit dem Frühling, das Jahr in zeitlicher Abfolge behandeln und zugleich ein in sich geschlossene Ganzes bilden sollten.

Die Unzulänglichkeiten von Rhesas Ausgabe führten zu weiteren Bemühungen um das Werk, 1865 gab August Schleicher die litauischen Dichtungen Donelaitisʼ im Original neu heraus (mit wörterbuchähnlichem Glossar im Anhang), 1869 erfolgte eine auf intensivem Quellenstudium beruhende, quasi kritische zweisprachige Ausgabe von G.H.F. Nesselmann, 1894 legte Ludwig Passarge eine Übersetzung vor, 1970 erschien die bislang letzte Übertragung von Hermann Buddensieg. Abgesehen von Nesselmann, der die vier Gesänge als jeweils einzelne (aber in sich geschlossene) Idyllen behandelt, leiden alle diese Ausgaben unter der Übernahme interpretatorischer Vorgaben Rhesas. Sie sind zwar vollständig und bemühen sich auch mehr und mehr, den Text von Glättungen freizuhalten, doch gehen sie wie selbstverständlich noch aus von einem in sich zusammenhängenden Textganzen, dessen innere Homogenität die Übersetzung wahren muss. Das geringe Echo, das Donelaitis bisher in Deutschland gefunden hat, liegt jedoch auch darin begründet, dass der tatsächliche Textbestand nicht recht zu dieser Homogenitätsunterstellung passen will. Zusammenhang muss behauptet werden, wo er nicht unbedingt besteht. Die Übertragungen erhalten dadurch etwas Gezwungenes und Gequältes und fügen sich doch nicht zu jenem Ganzen, das sie versprechen. Letztlich schrecken sie dadurch eher ab.

Nun hat Gottfried Schneider die mittlerweile fünfte Übersetzung vorgelegt und man darf sagen: Sie ist ein Befreiungsschlag! In erster Linie verabschiedet die Ausgabe die zwanghafte Vorstellung von einem in sich homogenen Text; die Metai erscheinen als das, was sie sind, als eine Reihe von Episoden mit sich überschneidenden Motiven und Figuren, die Donelaitis jeweils einer der vier Jahreszeiten zugeordnet hat, ohne dass deshalb die jeweiligen Texte schon den Anspruch erheben würden, sich zu in sich geschlossenen Einheiten „Frühling“, „Sommer“, Herbst“ und „Winter“ oder gar über diese hinaus zu einer in sich homogenen Gesamtdichtung zu fügen. Damit ist eine der großen Mühen, die das Lesen des Textes bisher so unergiebig machten, gegenstandslos geworden, der Leser muss nicht mehr Zusammenhänge suchen, wo keine sind und an seiner Unfähigkeit verzweifeln, den Leseauftrag zu erfüllen. Schneiders Ausgabe macht dies dadurch überdeutlich, dass sie den einzelnen Textabschnitten eigene (selbst erfundene) Titel gibt und so deren Autonomie betont. Diese eine Entscheidung verändert den Charakter des Textes völlig – er ist jetzt endlich als lose Folge poetischer Einzelentwürfe zu lesen.

Eine zweite Abweichung von der Überlieferung ist etwas heikler: Donelaitis hatte seine Verse als Grundlage für den mündlichen Vortrag gedacht. Akzente in den erhaltenen Handschriften geben eine Anleitung zu einer dem Hexameter angemessenen Betonung, während Donelaitis nicht markierte, was für ihn problemlos zu unterscheiden und durch die Art des Vortrags dem Publikum leicht zu vermitteln war: Wo hört die Stimme des einen Sprechers (einer Figur oder des Erzählers) auf, wo beginnt die nächste? Im Text ist dies nicht immer zweifelsfrei festzustellen. Schneider arbeitet nun (wie vor ihm schon Buddensieg) mit An- und Ausführungszeichen (die Donelaitis nicht verwendet hat), markiert also Anfang und Ende jeder Äußerung und stellt so selbst dort Eindeutigkeit her, wo der litauische Text mehrdeutig bleibt. Zur Verdeutlichung solcher Zuschreibungen werden manchmal auch die Absätze abweichend von der Textüberlieferung gesetzt. Schneider löst damit eines der Probleme, die Donelaitisʼ Text so schwer zugänglich machen, um den Preis, ihn ganz seiner Interpretation zu unterwerfen. Aber immerhin: der Text der Metai wird dadurch leserlicher; der Vorteil, endlich einmal einen Donelaitis zur Verfügung zu haben, der auch für ein breiteres Publikum lesbar ist, mag diese Willkür entschuldigen.

Und nun zur Übersetzung selbst: Schneider hat zunächst eine Prosafassung angefertigt und diese erst nachträglich (mit Unterstützung des Verlegers und Lektors Kristof Wachinger) in den Hexameter übertragen. Er kann sich damit bei der Versifizierung ganz auf den bereits erarbeiteten Wortbestand und Inhalt konzentrieren – und befreit sich von der Gefahr, durch automatisiertes Schreiben gleich im Hexameter Vorgaben der deutschen Hexameter-Tradition unreflektiert zu übernehmen. Seit Klopstock und Johann Heinrich Voß neigt der deutsche Hexameter ja zu überflüssigen Füllwörtern, den Sinn verdunkelnden Inversionen und Ellipsen und dem Griechischen abgelauschten syntaktischen Figuren, die im Deutschen sperrig wirken, weil sie nicht wirklich den Ausdrucksmöglichkeiten der deutschen Sprache entsprechen. Von dieser Last findet sich bei Schneider fast nichts. Die Sprache strömt ruhig dahin, der Wortschatz ist reich an konkreten Bezeichnungen, Füllwörter kommen kaum vor, die Syntax wirkt kaum je einmal gestelzt; auch dadurch wirkt sein Hexameter reich und, der mündlich gesprochenen Sprache nahe, quasi „natürlich“. Betrachten wir einmal den Textbeginn. Auf Litauisch lautet er:

Jaù saulélė wėl atkópdămă bùdinŏ swëtą,
`Ir źëmós szaltós triusùs pargráudămă jůkės.
Szàlczu prámonės sŭ lĕdaìs sugaìsztĭ păgawo
`Ir putódams snĕgs wisùr į nëkă păwìrto.

Bei Schneider liest sich das im Deutschen so:

Höher stieg die gütige Sonne. Sie weckte die Welt und
schickte sich an, dem lastenden Winter zu Leibe zu rücken.
Schon begann, was frostig und eisig war, zu vergehen.
Überall taute der Schnee auf, schmolz und wurde zunichte.

Offensichtlich sind Sätze verkürzt, ist die Syntax entschlackt worden. Man könnte darin einen Übersetzungsfehler sehen, doch die moderne Übersetzungswissenschaft blickt nicht mehr nur auf den Abstand einer Übertragung vom Original, sondern auch darauf, wie die Übersetzung, die als eigenständiges Kunstwerk betrachtet wird, in der Zielsprache funktioniert. Und da ist Schneider im Vergleich zu seinen Vorgängern ein Maximum an Lesbarkeit zu attestieren. Man vergleiche seinen Texteinstieg nur mit dem der wissenschaftlichen Ansprüchen genügen sollenden Übersetzung von Nesselmann:

Wiederum hob sich die Sonne empor und weckte die Welt auf,
Höhnte die mühsamen Werke des Winters und warf sie in Trümmer.
Schon mit dem Eise begann des Frostes Gebilde zu schwinden,
Und ringsum verwandeltʼ in Nichts der schaumige Schnee sich.

Was bitte sind „die Werke des Winters“? Wieso „Trümmer“ – geht es nicht um einen Schmelzvorgang, der keine „Trümmer“ hinterlässt? Und im dritten Vers: Wodurch unterscheiden sich Eis und „des Frostes Gebilde“? Muss die Reihenfolge der Wörter wirklich so abgedreht sein wie in eben diesem dritten Vers? Auch dem Vergleich mit der bisher modernsten Übertragung, der von Buddensieg, hält Schneiders Text stand:

Schon stieg die Sonne wieder zur Höhe und weckte die Welt auf,
Lachend, da sie vom Winter mühsam Geschaffenes vernichtet.
Denn es begann, was der Frost sich ersann, samt dem Eis, zu zerrinnen,
Brüchig geworden, verwandelt der Schnee überall sich in Nichts jetzt.

Was „ersann“ sich der Frost? Und das nachgestellte „jetzt“ im vierten Vers – es ist der Metrik geschuldet, dient ihr aber nicht, sondern schreckt eher von ihr ab (zumal es nicht um eine Hervorhebung des „jetzt“ als bedeutsames Formulierungsziel geht). Schneiders Text vermeidet unnötig komplizierte Konstruktionen, deren Sinn sich, mögen sie auch getragen sein von alteingeschliffenen poetischen Gewohnheiten, dem genauen Lesen verweigern; wie Donelaitisʼ Sprache ist die Schneiders konkret und fassbar; dass er in den im Deutschen überkonventionalisierten Hexameter überträgt, ohne in überkommene Formulierungsfallen zu tappen, ist allein schon eine beträchtliche Leistung.

Aber Übersetzung ist immer auch Interpretation. Wie sieht es nun damit aus? Betrachten wir eine besonders heikle Stelle, an der der Sprecher der Metai – den wir nicht vorschnell mit dem Autor selbst identifizieren sollten – den von ihm angesprochenen Bauern seiner Dichtung sein Selbstverständnis erläutert. Im litauischen Original lautet sie:

Taìgi dăbàr asz jùs kaip wërnas kláps pămŏkįdams,
Neì prancúsiszkai nei wókiszkay nĕpăgýriau;
Bèt tikt búriszkay, kaip draùgas júsŭ păżįstams,
Jùms tĕsióg păsăkiaù, kaip mán păsăkýt păsĭtáikė.

Mit diesen Worten wendet sich gegen Ende des „Herbstes“ der Sprecher an die in seinem Text dargestellten schwarwerkspflichtigen litauischsprachigen Bauern und erklärt ihnen, wie er zuvor zu ihnen gesprochen hat (und warum nicht anders). In der Übersetzung Nesselmanns lautet diese Stelle:

So nun habe ich euch, als treuer Gesell euch belehrend,
Nicht nach französischer Weise gelobt, nicht nach Weise der Deutschen;
Sondern nach Weise der Bauern, als euer Genoß und Bekannter,
Habʼ ich euch offen gesagt, sowie sich die Worte mir fügten.

Passarge und Buddensieg übersetzen ähnlich, lediglich bei Rhesa heißt es einfach „bäuerlich“; damit aber wird Donelaitis bei Rhesa den Bauern zugerechnet, er spricht nicht nur „nach ihrer Art“ (hat also womöglich auch andere Redeweisen für anderes Publikum parat), sondern selbst „bäuerlich“. Das heißt, er ist selbst Bauer, Teil der von ihm dargestellten Welt. Schneider hält sich hier inhaltlich an die jüngeren Lösungsansätze, übersetzt aber treffender als diese:

Dies sag ich euch zur Lehre als guter Diener des Herren,
nicht mit französischen Floskeln oder deutschem Geprahle,
nein, in der Bauernsprache, als euer Freund und Bekannter.
Gradaus war mein Wort. Ich redete so, wie ich musste.

Als „Diener des Herren“ bekennt der Sprecher sich zu seiner Rolle als Vertreter einer Hierarchie, durch die er eben nicht den Bauern zuzuordnen ist. Rhesas lange Zeit wirkungsvolle Interpretation der Metai als „Nationalgedicht“ wird damit endgültig zurückgewiesen: Der Sprecher fungiert nicht als Sprachrohr eines litauischen Kollektivs, dem er selbst sich zurechnet, er spricht die ihm untergeordneten Bauern zwar „in der Bauernsprache“ an, betont aber zugleich, dass er über weitere Sprachregister verfügt. Er ist ihrer Welt enthoben.

Auffällig ist, dass Schneider manche Stellen, die in früheren Ausgaben umfangreicher Kommentierung bedurften, durch pragmatische Lösungen vereinfacht, dadurch aber auch leichter zugänglich macht. Er richtet sich nicht an den wissenschaftlichen Leser, erst recht nicht an den Baltisten, sondern an den interessierten Laien. Litauische Götter- und Dämonennamen zum Beispiel werden, ihrer pragmatischen Bedeutung entsprechend, einfach mit „Teufel“ übersetzt, „Giltinė“, der Name der Todesgöttin, wird im Einleitungsteil des „Sommers“ durch das Wort „Tod“ ersetzt, wie es dem Weltbild des protestantischen Landpfarrers Donelaitis entspricht. Tatsächlich fungieren die Namen der alten litauischen Götter bei Donelaitis an den wenigen Stellen, an denen sie in Figurenrede genannt werden, als Charakteristikum der Redenden und ihrer Sprache, ohne dass dem Namen dieser Götter irgendwo noch der Glaube an ihre Existenz entspräche. Teils dienen sie darüber hinaus als Fluchworte, teils als Allegorien. Indem er sie entsprechend ersetzt, raubt Schneider dem Text etwas Widerständigkeit – und viel Erklärungsbedarf. Man kann dies kritisieren und bedauern, sollte darüber aber nicht vergessen, dass auch dank solcher Entscheidungen Schneider die bisher erste Fassung Donelaitisʼ auf Deutsch vorgelegt hat, die auch einem breiteren Publikum zugänglich sein dürfte. Angesichts der bisherigen Publikations- und Translationsgeschichte ist dies ein hohes Verdienst, dem der übersetzerische Preis schlecht angekreidet werden kann, der dafür entrichtet werden musste.

Erhellende biografische Erläuterungen zu Donelaitis von Alfred Kelletat und eine kurze Notiz des Übersetzers runden den Band ab. Vielleicht, dass Donelaitis durch diese Ausgabe doch noch heimisch wird in Deutschland.

Titelbild

Kristijonas Donelaitis: Die Jahreszeiten.
Übersetzt aus dem Litauischen von Gottfried Schneider.
Langewiesche-Brandt Verlag, Ebenhausen bei München 2017.
126 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-13: 9783784612300

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