Zwischen Bio-Schwarzwaldbäuerin und Escortdame

Emily Atefs „Königin der Nacht“

Von Luisa AngonaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Luisa Angona

Die Landwirtin Inga (Silke Bodenbender) entscheidet sich dazu, den Bauernhof, den sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Ludwig (Peter Schneider) führt, zu retten, indem sie einen Nebenjob im gehobenen Rotlichtmilieu annimmt. Morgens steht sie früh auf und melkt Kühe, stellt Käse her, verkauft auf dem Markt ihre Bioprodukte und sich um kümmert sich um ihre zwei Kinder – abends steigt sie ins Auto und fährt in die Stadt, wo sie sich in diversen Hotels mit fremden Männern trifft, um mit ihnen die Nacht zu verbringen. Auf diese Weise verdient die ‚Unschuld vom Lande‘ gutes Geld. Wäre da nur nicht die Eifersucht ihres Mannes, der zwar durchaus Profit aus der Nebentätigkeit seiner Frau zieht, ihr jedoch zu viel Spaß an der Sache vorwirft und sich in destruktiver Manier mehr dem Alkohol als der Rettung des Bauernhofes widmet. Ingas Aufopferung für die Familie bleibt ungewürdigt; vielmehr eskaliert die Situation, als einer ihrer männlichen Auftraggeber (Hary Prinz) ein bisschen zu aufdringlich wird, plötzlich vor ihrer Haustür steht und die zwei Welten kollidieren.

Der Film wechselt rasant zwischen Schwarzwaldidylle und Edelprostitution, zwischen Bioapfelsaft und Dessous, zwischen der schonungslosen Darstellung der Geburt eines Kälbchens und ebenso detaillierten Erotikszenen.

Im Kontext des Festival des deutschen Filmes in Ludwigshafen gibt es auffällige thematische Gemeinsamkeiten mit anderen aktuellen Produktionen wie Die vermisste Frau (Horst J. Sczerba 2016) und Eine unerhörte Frau (Hans Steinbichler 2016): Im Vordergrund steht jeweils eine Frau mittleren Alters, die versucht ihr aus den Fugen geratenes Leben in den Griff zu bekommen, wobei eifersüchtige, aggressive Ehemänner, unehrliche Verehrer, unzuverlässige Väter und teilweise sogar missgünstige Söhne ihre Gegner darstellen.

So hört Hanni und ihrer Tochter niemand zu (Eine unerhörte Frau). Obwohl das gemeinsame Töchterchen augenscheinlich ernstlich krank ist, zieht sich der Ehemann lieber in Kneipen zurück, geht fremd und verbündet sich mit Hannis missgünstiger Schwiegermutter. Ihre Söhne fühlen sich vernachlässigt und wünschen der kleinen Schwester den Tod.

Karen (Die vermisste Frau) ist bereit, sich umzubringen, um ihrem Mann aus den Schulden zu helfen und wird tatsächlich nicht gerade vermisst, als der ‚trauernde Ehemann“ nach ihrem vermeintlichen Ableben sofort mit einer neuen Freundin ins Bett springt. Auch der sympathische Auftragsmörder, der Karen rettet, ist letztendlich nur an ihrem Geld interessiert – genau wie der Versicherungsvertreter des Ehepaares.

Inga, Hanni und Karen schlagen sich durchs Leben, setzen alles daran ihre Familien vor dem Ruin zu retten, doch ihre Ehemänner durchkreuzen jeweils den Plan, indem sie sich kindisch, trotzig und untreu zeigen. Anlass zur Hoffnung in die Männerwelt verkörpern höchstens Ingas Sohn, der die Anschuldigungen seines Vaters der Mutter gegenüber nicht glaubt und sie zum Schluss liebevoll umarmt, und Hannis amerikanischer Arzt, der ihrer Tochter das Leben rettet.

Silke Bodenbender geht auf in der Rolle der Bäuerin auf Abwegen und stellt ihre männlichen Kontrahenten gekonnt in den Schatten. Das einen Teil der Authentizität einbüßen läss, sind die klischeehaften Landschaftsaufnahmen, die mitunter einem Werbeclip für einen Familienurlaub im Schwarzwald gleichen: grüne Wiesen, auf denen der Vater mit seinem Sohn auf dem Traktor entlangfährt, der Käsekeller, in dem Inga liebevoll riesige Käselaibe auf Holzbretter stapelt, Kinder, die ihren Eltern zur Hand gehen und sich an selbstgepflückten Bioäpfeln und frischgemolkener Kuhmilch erfreuen. Umso anrüchiger und zwielichtiger wirken daher die Damen vom Escortservice und der Tabledancebar in Reizwäsche und Pelz, die Inga von ihrer nebenberuflichen Tätigkeit überzeugen. Ingas Treffen mit fremden Männern als Verführerin Lilith stehen zwar in Kontrast zum Bauernleben, doch es lässt sich kaum sagen, dass die Szenen im gehobenen Rotlichtmilieu unästhetisch oder die Hotels, in denen sich die Bäuerin trifft, verrucht seien. Der Film trennt Ingas Leben sehr klar in den (All-)Tag als Mutter und Bäuerin und die Nacht, die sich Ingas Sexualität widmet. Im ehelichen Bett wird Inga die Rolle der Verführerin verwehrt, wenn ihr Mann ihr immer wieder trotzig den Rücken zukehrt.

So spannend, schonungslos und mitreißend wie der Film ist, scheint die Ausstrahlung im Abendprogramm des SWR überraschend, jedoch auch kühn. Der Film zeigt schonungslos menschliche Schwächen wie Habgier, Eifersucht, den Wunsch nach Anerkennung und Wut. Immer wieder werden die scheinbare Bauernidylle und die Harmonie in der Familie dargestellt, obwohl jeder Zuschauer bereits ahnt, dass Ingas Versuch, den Hof zu retten, nur scheitern kann. Bodenbender spielt sehr überzeugend, sodass sich jeder in ihr Handeln hineinversetzen kann und ihr unweigerlich mehr zugewandt ist, als den männlichen Protagonisten. Schneider und Prinz übernehmen deutlich die Rollen der männlichen Antagonisten, was die Sympathien der Zuschauer noch mehr in Ingas bzw. Bodenbenders Richtung drängen, die auch schauspielerisch mehr durch einen authentischen Charakter glänzt. Dies führt dazu, dass man das Handeln der Bäuerin versteht und somit auch ihren Wunsch nach Anerkennung, Liebe und Sexualität.

Zwar ist das Sujet des Filmes nicht unbedingt neu, doch das Familiendrama reißt einen bis zum Ende mit und die Schlussszene lässt Spielraum für Interpretationen zu.

Königin der Nacht
Deutschland 2016
Regie: Emily Atef
Darsteller: Silke Bodenbender, Peter Schneider
Länge: 89 Minuten

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

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