Leben und Leiden im Bürgerkriegsgebiet Sudan
In ihrem Debütroman „Zeit der Geister“ widmet sich die amerikanisch-sudanesische Autorin Fatin Abbas dem anhaltenden Konflikt zwischen Nord- und Südsudan sowie hilfloser Vor-Ort Arbeit von NGOs
Von Monika Grosche
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSaraaya ist einzigartig mit seiner Lage inmitten des umkämpften Grenzgebiets zwischen Nord- und Südsudan. Und doch steht die fiktive Stadt gleichzeitig für viele andere Orte in Ländern des globalen Südens, in denen das ohnehin schon beschwerliche Leben zusätzlich von Auswirkungen des Klimawandels und schwelenden kriegerischen Konflikten bedroht wird.
Dort soll Alex, ein junger Kartograph aus dem amerikanischen Cleveland für eine NGO tätig werden, denn die vorhandenen Landkarten stammen immer noch aus der Kolonialzeit. Sein Auftrag ist es, die Region, deren Geografie sich dank alljährlicher Überschwemmungs- und Dürreperioden beständig ändert, zu kartografieren. Doch dabei machen ihm nicht nur die spürbaren Folgen des Klimawandels Probleme. Auch die vermeintlich friedliche Koexistenz von Sesshaften und Nomaden ist längst offener Feindschaft gewichen. Als verfeindete Volksgruppen sprechen sie sich gegenseitig das Recht auf den Lebensraum und seine knappen Ressourcen ab. Bürokratie und Misstrauen der Behörden sowie die ständige Angst vor offenen kriegerischen Auseinandersetzungen erschweren ihm zusätzlich seinen Job.
Dabei steht ihm zum Glück William als Dolmetscher zur Seite. Als katholisch erzogener Nilote war er mit großen Erwartungen in die Hautstadt Khartum gegangen, um der Armut auf dem Lande zu entgehen. Doch trotz eines Bachelorabschlusses fand er dort als Südsudanese keine Stelle. Nun hofft er, bei der NGO erfolgreich zu sein, denn seine Fähigkeiten gehen weit über die eines Dolmetschers hinaus. Vielmehr vermittelt er beständig zwischen Alex und den örtlichen Behörden, beziehungsweise den Bewohnern der Region, damit sein ignoranter Chef überhaupt eine Chance hat, mit den Vermessungsarbeiten beginnen zu können. Allerdings hat William eigentlich trotz seines beruflichen Engagements meist Wichtigeres im Kopf: Schließlich lernte er auf dem Gelände der NGO Layla kennen und verliebte sich in sie.
Die muslimische junge Frau arbeitet als Köchin für die NGO, um ihre nomadische Familie auf dem Land über Wasser zu halten. Für sie ist die Arbeit dort ein unerwarteter Glücksgriff, der ihr sonst als Frau verwehrt bleiben würde. Auch wäre sie sonst William aufgrund ihrer unterschiedlichen Ethnien wohl kaum nähergekommen. Doch das Gelände der NGO wirkt wie eine Schnittstelle verschiedener Welten, wo auch der 12-jährige Mustafa, der stolz als „Mädchen für alles“ fungiert und Dena, eine US-amerikanische Dokumentarfilmerin mit sudanesischen Wurzen allen Unterschieden zum Trotz ihren Platz haben.
Das fragile Gleichgewicht des Freiraums, in dem die zusammengewürfelte fünfköpfige Gemeinschaft lebt, wird jäh gestört, als eine verkohlte Leiche auf ihr Gelände gebracht wird. Niemand weiß, um wen es sich handelt und ob sein Tod etwas mit den gerüchteweise näherkommenden Rebellen zu tun hat. Aber eines ist klar: Das kann nichts Gutes bedeuten. Nur wenig später eskaliert dann die Situation. Immer mehr Flüchtlinge suchen bei der Organisation Schutz vor dem ausbrechenden Bürgerkrieg, bis schließlich verhängnisvollerweise Waffen auf dem Gelände der NGO gefunden werden. So wird die Schicksalsgemeinschaft hineingeworfen in den Krieg, aus dem sie sich verzweifelt herauszuhalten versuchte…
Fatin Abbas zeichnet sprachlich präzise und mit großer Sorgfalt ein berührendes Bild ihrer Protagonisten und dem jeweiligen persönlichen Hintergrund, der sie in die sudanesische Grenzstadt führte. Mit Empathie und Liebe zum Detail gibt sie den Figuren viel Raum, sodass sie im fortschreitenden Leseprozess mehr und mehr als lebendige Charaktere Gestalt annehmen: Dena, deren Eltern einst aus dem Sudan in die USA flohen und die nicht verstehen können, warum die Tochter Frauen liebt und Filme drehen will. Mustafa, der eigentlich ein Spielkind ist und von einer elektrischen Zahnbürste träumt, aber unbedingt ein eigenes Geschäft aufbauen will, um seine unwirsche Mutter und die Geschwister sattzubekommen. William, der nach rassistischer Ausgrenzung in Khartum endlich an eine Zukunft glaubt und den Versuch wagt, Layla für sich zu gewinnen. Alex, der einfach nicht wahrhaben will, dass Dena seinen Avancen widersteht und dessen arrogante westliche Haltung schließlich in ihren Grundfesten erschüttert wird. Und – last but not least – Layla, die sich nicht weiter von ihrer Familie drangsalieren und kontrollieren lässt und begreift, dass sie ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen muss.
Mit ebenso großer Sorgfalt wie ihren Figuren widmet sich die Autorin frei von Voyeurismus der Schilderung des Grauens, das die Zivilisten durch rebellische und regierungstreue Truppen gleichermaßen erfahren. Auf diese Weise verarbeitet sie ihre eigene Geschichte, denn ihr Vater war im Sudan inhaftiert und sie erlebte bei ihren Besuchen als Kind im Gefängnis die unmenschlichen Haftbedingungen und die Leiden der Folteropfer mit. Auch fließen ihre Erfahrungen als zeitweilige Mitarbeiterin einer NGO aus den USA im Sudan mit in den Roman ein, die ihre Beziehung zu ihrem Herkunftsland ebenfalls prägen.
Dieser persönliche intensive Blick auf den Sudan hat – neben erzählerischen Können – einen großen Anteil daran, dass Abbas die Komplexität des Konfliktes, der das Land bis heute zerreißt, glaubhaft und nachvollziehbar darstellt. Dabei versteht sie es, nicht nur den Konflikt zwischen den Ethnien zu beschreiben. Vielmehr erfährt man bei der Lektüre auch einiges über die Geschichte des Kolonialismus und die anhaltend verkorkste Beziehung zwischen dem Westen und dem globalen Süden, bei der die amerikanische NGO stellvertretend für die potenziell nützliche aber oft auch sehr problematischen Entwicklungsansätze steht.
Über diese historischen, politischen und gesellschaftlichen Aspekte hinaus ist „Die Zeit der Geister“ ein Drama im klassischen Sinn, bei dem den Lesenden das ganze Spektrum tiefer menschlicher Gefühle im Kontext eines tragischen Geschehens offenbart wird. Gewiss keine leichte Lektüre, aber eine, die sich lohnt und die noch lange einen Nachhall verspüren lässt.
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