Düstere Träume wildern in der Wirklichkeit

Andreas Altmanns Gedichtband „Weg zwischen wechselnden Feldern“ handelt von Vergänglichkeit und dem Verlust der Mutter

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nicht zufällig tragen das erste und das letzte Gedicht in Weg zwischen wechselnden Feldern jeweils den Titel „Wortfelder“: Was Andreas Altmann in seinem neuen Gedichtband zusammengefasst hat, gleicht Feldern aus eindringlichen Bildern voller Materialität, semantischer Dichte und surrealer Träume. Er führt seine Leser auf Felder aus bekannten Worten, die Geräusche und Farben lebendig werden lassen. Leise Töne wie Schritte im harschen Schnee, knisterndes Laub und Nadelrauschen werden ebenso angeschlagen wie fremd klingende Musik, bellende Hunde und krähende Vögel. Das Licht erscheint als weißes Licht, als warmes Licht, als altes Licht am Meer. Der Leser sieht rosa Farbkreise an Bäumen, grüne Regenluft und weiße Flügel. Die Partitur aus übereinander angeordneten Geräuschen und Farben ermöglicht Nachempfinden bis hin zu synästhetischen Wahrnehmungen.

Regen wäscht das Licht und ist dennoch nicht konnotiert mit Reinheit und Neubeginn. In vielen Gedichten Altmanns fällt Regen und geht einher mit der Vergänglichkeit – mit Fäulnis und Moder, mit überlaufenden Regenrinnen eines verfallenden Hauses und allgegenwärtiger Nässe. Regen fällt ins Meer und verschwindet in einer bedeutungslosen Wassermasse. Bäume „regnen sich/ die haut am himmel ab“. Krankheit bricht sich Bahn und führt zum Tod der Mutter. Insbesondere in den Gedichten zur verstorbenen Mutter – im Zyklus Muttererde sowie in späteren Gedichten des Bandes – spürt der Leser die innere Notwendigkeit, aus der heraus sie geschrieben wurden. Wenn die Mutter erkennt, dass sie nicht mehr nach Hause kommen wird, braucht die Erkenntnis im Herzen des Sohnes noch viel Zeit. Er zündet Kerzen an. Doch das Ende ist unausweichlich: „mutterseelenallein/ steh ich am rand und warte auf mich“. Der Verlust der Mutter zerrüttet das Ich. Hier scheint Altmann die Grenze der Worte aufzeigen zu wollen, wenn er – in konsequenter Kleinschreibung – betont: „erinnerungen werden durch die worte skelettiert.“ Das Licht „hat die hüllen fallen gelassen“. Dann verschwinden die Töne. Geräuschlos wanken Baumkronen. Stille frisst sich mit poetischer Kraft in die Seele.

Träume wildern in der Wirklichkeit. Kausale Zusammenhänge werden aufgehoben, die zeitliche Abfolge des Narrativs verändert. Die Zahlen des Ziffernblattes einer Uhr „lösen sich endlos aus den momenten“. Die Momente werden nicht nur anders nacheinander gestellt, sie werden auch verschmolzen zu neuen Szenen und Oxymora: Plötzlich liegt Schnee auf blühenden Wiesen. Kranke, liegende Körper fallen aus der Zeit und begeben sich in einen Rausch, in schlaflose Träume. Es sind Fieberträume, die keine Kraft geben. Die Grenze zwischen Wirklichkeit und Traum verschwimmt in Widersprüchen.

Der Leser befindet sich in einem eindringlichen Spannungsfeld von Realität und Fantasie, logischen und unlogischen Ereignissen, Tod und Lebendigkeit. Das Ich muss erkennen, dass nicht alles zu einem Ziel führt. Aus dieser Erkenntnis folgt eine neue narrative Stringenz. Indem sich Erzähltes und Erinnertes verbindet, öffnen sich Räume voller feiner Melancholie. Der Leser wird immer wieder auf Wege geführt – er sieht Feldwege, an deren Rändern es brennt, er sieht vertraute Wege und Wege, die in den Nebel führen, der in vielen Gedichten präsent ist. Das Ich verirrt sich und sucht aus unbekannten Gründen nach Tierkadavern. Mitgerissen in einem Strom von Gefühlen des Verlustes, der Vergänglichkeit und stillen Augenblicken staunt der Leser über den Bauchladen voller Merkwürdigkeiten, den der Autor Andreas Altmann ihm anpreist. Bis schließlich alles in schwerelose „Wortfelder“ aufgelöst wird, die aus Tränen, Erde, Dunkelheit und kaltem Staub bestehen. Das Unwiederbringliche bleibt verloren. Die Einsamkeit nach dem Tod der Mutter kann nicht verdeckt werden und soll es auch nicht. Altmann hat es geschafft, die Einsamkeit zu greifen und festzuhalten.

Titelbild

Andreas Altmann: Weg zwischen wechselnden Feldern. Gedichte.
Poetenladen, Leipzig 2018.
83 Seiten, 18,80 EUR.
ISBN-13: 9783940691927

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