Trügerische Traditionen mit Blauschleier

In „Heimat“ erzählt Hannah Lühmann realitätsnah und packend von der Verführbarkeit einer knapp 40-jährigen Frau

Von Anne Amend-SöchtingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anne Amend-Söchting

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Heimat“ – kaum ein Begriff ist überdeterminierter, alltäglicher und polarisierender. Wenn heutige Erwachsene diesen Begriff spontan und nicht intentional heranziehen, dann sind sie sich entweder seiner Problematik nicht bewusst oder sie wollen mit seinem Einsatz ein deutliches politisches Statement setzen.

Warum ein Roman mit der Überschrift Heimat? Zumal andere Bücher mit demselben Titel auf dem Buchmarkt anzutreffen sind, zum Beispiel Nora Krugs Heimat, das 2020 für den Deutschen Kinder- und Jugendliteraturpreis nominiert war. Zu erwähnen sind darüber hinaus audiovisuelle Medien, etwa die epochemachende Heimat-Trilogie von Edgar Reitz aus den 1980er Jahren sowie – unter breitgefächerten Titeln – das Genre des Dorfromans mit unter anderen Juli Zehs Unterleuten (2016) und Über Menschen (2021) oder Dörte Hansens Altes Land (2015), Mittagsstunde (2018) und Zur See (2022). All diesen Texten und Filmen ist ein ausgesprochen kritisches Potenzial immanent, basierend auf der Polyvalenz oder zumindest Ambivalenz des Begriffs und des Konstrukts Heimat. Alle grenzen sich selbstredend ab vom Blut- und Boden-Heimatbegriff aus dunkelsten Zeiten. Sie distanzieren sich ebenso von allen Heimatnostalgien, wie sie in Evasionsfilmen der 1950er Jahre üblich waren.

Hannah Lühmann reiht sich ein in den Kontext einer solchen kritischen Spurensuche, um sich darin ihren ganz eigenen und hochgradig dramatisch-spannenden Weg zu bahnen.

Schon auf Lühmanns erstem Roman prangt ein knapper Titel. Hinter Auszeit (2021) und Heimat eröffnet sich eine komplexe Appellstruktur, die sich unmissverständlich auf aktuelle Lebenswelten bezieht. Ein Schlüsselwort aller Epitexte um Heimat bildet der Neo-Anglizismus „Tradwife“, dessen Bekanntheitsgrad außerhalb von Social Media nach wie vor gering sein dürfte. Lühmann benutzt ihn in einem Interview, während sie im Roman selbst ein engmaschiges onomasiologisches Netz um ihn herum knüpft und ihn mit „Frau, die zuhause bleibt“ oder Ähnlichem umschreibt. So wie in Auszeit bedient sich Lühmann auch in ihrem neuen Roman einer schnörkellosen Sprache, erzählt linear in kurzen Kompartimenten, mit raren und knappen Rückblenden, nun aber ohne Ich-Erzählfigur, sondern zentriert um die homodiegetische Erzählstimme in der 3. Person. Mit diesem narrativen Procedere bringt sie ihre Protagonistin Jana nah an die Leser:innen und bewahrt gleichzeitig gebührenden Abstand zu ihnen.

Ein bisschen hat Lühmann wohl die Geschichte von Henriette, Ich-Erzählerin in Auszeit, fortgeschrieben. Henriette wird vom Partner ihrer besten Freundin schwanger, bricht ihr Dissertationsprojekt ab und arbeitet, als ihre kleine Tochter eine Kindertagesstätte besucht, drei Tage wöchentlich in einem Büro. So ähnlich könnte Janas Alltag mit zwei Kindern, Louis und Ella, ausgesehen haben. Im Gegensatz zu Henriette ist Jana nicht alleinerziehend, sondern mit dem Lehrer Noah liiert. Sie ist zum dritten Mal schwanger und vor Kurzem mit ihrer Familie in ein Neubauquartier aufs Land gezogen. Vor dem Umzug hat sie ihren Job in einer Agentur gekündigt, aus Überforderung heraus und getragen von dem untrüglichen Gespür, nach dem zweiten Kind an die berühmte gläserne Decke zu stoßen. Als sie eines Tages im Eiscafé des Neubaugebiets sitzt und sich darüber freut, endlich ein paar Stunden für sich allein zu haben, weil beide Kinder in der Kindertagesstätte betreut werden, spricht eine Frau in ihrem Alter, Karolin, sie an. Ihr Charisma verzaubert Jana. Karolin hat fünf Kinder. Mit ihnen und ihrem Mann Clemens lebt sie auf einem Resthof am Waldrand, der – wie Lühmann im erwähnten Interview pointiert – als „wildwüchsiger Gegenentwurf zu dieser neuen Spießigkeit“ gedacht sei, die sich an der Neubausiedlung festmachen lasse. Regelmäßig lädt Karolin auf Instagram Reels und Slides über ihre Aktivitäten als Hausfrau und Mutter hoch. Damit begeistert sie Jana und die anderen Mütter kleiner Kinder aus dem Quartier, mit denen sie sich regelmäßig in einem „Mama-Lesekreis“ trifft. Als Jana daran teilnimmt, ist sie zunächst misstrauisch, bevor sie sich mit den anderen Frauen austauscht.

In Janas Ehe kriselt es so sehr, dass Noah sich von ihr trennt und aus dem Eigenheim auszieht. Weder zu ihm noch zu ihrer Mutter Sabine kann Jana einen engen emotionalen Konnex sehen. Dafür zu Karolin umso mehr. Außerdem bewundert sie Clemens, der seiner Ehefrau immer als starker Mann beizustehen scheint. Derweil schreitet die Schwangerschaft fort. Mit der Geburt will Jana unbedingt warten, bis Karolin aus dem Urlaub mit ihrer Großfamilie zurückkehrt. Sie soll ihr bei der natürlichen Geburt beistehen. Ob und wie das Kind zur Welt kommt, bleibt offen. Wehen hat Jana schon.

Den Weg zum Schluss deklariert Lühmann als „wilden Ritt“; ja, es ist ein „wilder Ritt“, eine unablässige Spannung, die den Text durchzieht, eine Eskalationsstruktur mit einem mehr als überraschenden Schluss, der aber – wenn man von dort aus markante Stationen des Plots Revue passieren lässt – geschickt und subtil vorbereitet wurde. Am Ende erst erschließt sich die Initialszene des Romans, so dass sich ein Kreis bildet, ein Zyklus, dem Wiederholbarkeit inhäriert.

„Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir gerade noch ertragen“. Und: „wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören.“ Diese Zeilen aus Rilkes erster Elegie kann Karolin auswendig zitieren. Jana fühlt beim Lesen der Gedichte „keine Verbindung zwischen ihrem jugendlichen Ich, das Gedichte gelesen“ hat, „und ihrer Gegenwart“. Für den Roman in seiner Polyvalenz könnte es kaum ein passenderes Framing geben, als sich auf einen Text zu beziehen, der als mehrdeutig, widerständig und widersprüchlich gilt – Jana kann sich nicht mehr darauf einlassen, Karolin hingegen sind die Zeilen präsent. Mit diesem Detail spielt die Autorin auf eine Doppelbödigkeit in Karolins Charakter an; sie führt ein irritierendes Moment ein, das nicht zu ihrem auf der Repräsentationsoberfläche gelegenen Tradwife-Lifestyle passt. Dasselbe trifft auf Gedichte von Emily Dickinson zu, für die Karolin – nach Aussage der Mütter aus dem Lesekreis – Expertin sei. Dass ihre frühere Berufstätigkeit damit zu tun hat, liegt nah. Mit Dickinsons Gedicht „Hope“, das integral im Original zitiert wird, spürt Jana „das starke Band einer sich andeutenden Seelenverwandtschaft“. Schnell gerät sie in den Sog eines vermeintlich ursprünglichen, naturnahen Lebens als Hausfrau und Mutter. Im Interview gesteht Lühmann, dass die Tradwife-Accounts sie eine Zeitlang „komplett in ihren Bann gezogen“ hätten und sie viele Frauen kenne, die ähnliche Erfahrungen machten. „Die emotionale Ansprache auf Instagram“ umgehe „das differenzierte Denken“. Man könne „sich kaum wehren“.

Auf einer analogen Ebene verhält sich Jana im Zuge der sich entspinnenden Freundschaft tendenziell abwartend, sogar ein bisschen ängstlich. Doch je häufiger sie die Inhalte auf Karolins Instagram-Kanal „Wildes Leben“ sieht, desto mehr zerstreuen sich die Vorbehalte in der empirischen Wirklichkeit. Während sie zum Beispiel erst noch fürchtet, dass Rohmilch ihrem Ungeborenen schaden könnte, trinkt sie sie später ohne Bedenken. Die Reels treffen von Anfang an einen Nerv in Jana und die anfängliche Abneigung gegenüber der Einstellung, dass man Kinder besser zuhause lasse und nicht in die KiTa schicke, weicht der Einsicht, dass es doch besser für ihre beiden sei, wenn sie nicht fremdbetreut werden würden. „So wie in der DDR“, meint Karolin, stehe eine Ideologie hinter der KiTa-Betreuung, Sie werde nicht nur propagiert, damit die Mütter arbeiten könnten, sondern damit die Kinder „möglichst wenig Bindung zu ihren Eltern“ aufbauten. Völlig unkritisch rezipieren die Frauen im Mama-Lesekreis Studien zur Stressbelastung von KiTa-Kindern und genauso unhinterfragt lehnen sie Impfungen ab. Das Fehlen jeglicher reflektierten Skepsis, mit der sich Alternativen ausbalancieren ließen, äußert sich oft unmittelbar-krass in den Dialogen der Akteur:innen.

Lühmann gelingt es hervorragend, in einzelnen, locker zusammengehaltenen Tableaus, die Wirkung konservativer und faschistischer Ideologien abzubilden und sich auf diese Weise zu engagieren – ohne sich direkt zu positionieren und ohne zu versäumen, auf das Antithetische, schwierig als Ambivalenz zu Tolerierende, in Karolins Charakter hinzuweisen. „Die Bücher in ihrem Regal vermittelten den Eindruck von Intellektualität und Gemütlichkeit“, findet Jana. Karolins Kommentar zu den Instagram-Bildern vom Mama-Lesekreis, „Smashing feminist ideology with the girls“, zersprengt diesen Eindruck.Jana fragt sich, „was das eigentlich für ein Profil“ sei, „wie das seltsam Rückwärtsgewandte und Karolins funkelnder Intellekt“ zusammenpassen.

Dabei wabert die Widersprüchlichkeit in der Tradwife-Szene: Das Posten beziehungsweise die Konstruktion einer Idealität, sehnlichst erwartet von der Community, bildet per definitionem das Zentrum des Tradwife-Daseins und torpediert zugleich das „Nur-Hausfrau- und Nur-Mutter-Sein“. Es existiert eine externe, das heißt in diesem Fall öffentlichkeitswirksame, Berufstätigkeit und wenn es nur das Influencerinnentum ist. Man stellt die eigene Person und die Familienmitglieder unter Dauerbeobachtung. Zwischen erlebendem und performenden Ich müsste genügend Platz für Reflexion und Ironie sein. Aber das Vermögen ironischer Distanzierung, des Abstandhaltens, das sich nicht wenigen Menschen außerhalb der Tradwife-Szene explosiv bei diesem Content vermitteln dürfte, ist den meisten innerhalb der Szene verlustig gegangen.

Der Widersprüchlichkeit zwischen dem Anspruch, nicht berufstätig sein zu wollen und es dennoch zu sein, kann sich Karolin nicht nicht bewusst sein. Mit dem Performen auf Instagram zieht sie andere in ihren Bann, praktiziert damit einen Beruf, gegen dessen Problematik sie regelrecht ankämpft, weil sie mit ihm sich selbst und ihre Neigungen attackiert. Jana bemerkt Zwischentöne, sorgt sich um Karolin, verfolgt die Sache aber nicht. Eher kursorisch nimmt sie zur Kenntnis, dass Karolin früher alleinerziehende Mutter war und ihren ältesten Sohn Jonas, der offenbar verhaltensauffällig ist, mit in die Ehe brachte. Nie geht Jana so weit, die Diskrepanz von Schein und Sein zu analysieren, weil sie Anwandlungen der Ratio leichterhand hinwegfegt – mit dem Bild einer heilen Welt, „Karos Welt“ nämlich, in der es „überhaupt nichts“ gibt, was „sich nicht durch einen Aufenthalt im Wald oder eine Apfeltarte klären“ ließe.

Sie übernachtet mit ihren Kindern bei Karolin, als Noah sich von ihr getrennt hat. Ihr Entschluss, Louis und Ella nun ohne KiTa zu erziehen, bleibt sogar dann ungebrochen, als der mit Karolins Söhnen frei und ohne Aufsicht spielende Louis vom Klettergerüst herab auf einen Stein fällt und sich eine Gehirnerschütterung zuzieht. Der „Tradwife-Strudel“ hat Jana mitgerissen.

Auch Karolin durchläuft einen Transitionsprozess. Eines Abends kommt sie zu Jana, weinend, spricht sich jedoch nicht aus zu der häuslichen Gewalt, die Jana schon seit längerer Zeit vermutet. Da sie nun auf dem besten Weg dazu ist, Karolins alter ego zu werden, möglicherweise ihre Stelle einzunehmen, in einer temporären Personalunion mit ihr zu verschmelzen, nimmt sie diese Zeichen der Desillusion nicht ernst. Die „Selbstverständlichkeit zwischen ihnen“, eine Selbstverständlichkeit indessen, die so unreflektiert bleibt wie etwa das Nein zur KiTa, ist zum Paroxysmus gelangt.

Auf Jana könnte zudem das zutreffen, was Henriette in Auszeit von sich behauptet, es „immer unwiderstehlich gefunden“ zu haben, „gewollt zu werden. Das Begehren eines anderen ist für mich eine Währung, der ich nicht widerstehen kann“. Clemens taucht zu allen passenden und unpassenden Momenten auf, er, den Karolin begehrt/e, zieht Jana in den Bann seiner physischen Attraktivität.

Weitere Themen im Roman potenzieren die Verführbarkeit: Noah erliegt insofern der Mansplaining- und Machofalle, als er über gelegentliches Spielen mit den Kindern hinaus nie ernsthaft in ihre Erziehung involviert war. Nichtsdestoweniger betont er, dass ein zweites Gehalt vonnöten sei. Jana entwickelt unbändige Wut auf ihn. Sie konstatiert, dass sie und Noah „in Welten“ unterwegs seien, „die auseinanderdriften“. Ohnehin hätten sie seine nach ihrer Einschätzung nerdigen Interessen, zum Beispiel „neo-utilitaristische Konzepte im Silicon Valley“, „die Frage nach Hirnimplantaten und Transhumanismus“ oder die Möglichkeit, anarcho-kommunistische Konzepte in ein Europa der Zukunft zu integrieren“, noch nie mitgerissen. Janas Mutter, die sich mit dem Vater ihrer Enkel:innen nicht versteht, gibt ihrer Tochter genauso wenig Halt. Sabine liebt ihre Freiheit; früher „wechselte sie die Männer, heute die Mitbewohnerinnen“ ihrer WG. Ihre Lockerheit passt nicht zu Janas Welt. Ein Rollentausch scheint hier vollzogen zu sein, verhält sich die Mutter doch auf eine Weise, wie man es eher von der Tochter erwarten würde – offen, weltgewandt, experimentell, Enttäuschungen in Kauf nehmend.

Lühmann punktet auch dann mit einer angemessen realistischen Schreibweise, wenn es um die Integration tagespolitischer Ereignisse geht. Ideologische Verwerflichkeit lässt sie nicht selten im O-Ton Revue passieren, was die Negativspirale, in die Jana hineingerät, exazerbiert. Es erstaunt allerdings im Zuge dieses Präsentierens, wie rapide Jana ihrer ideologischen Vulnerabilität erliegt, sie ihre früheren Überzeugungen über Bord wirft und widerspruchslos hinnimmt, was die Frauen aus ihrem Umfeld von sich geben. „Linksradikale Spinner“ in Bahnhofsnähe, sagt eine der Frauen, die Jana zum Ultraschall fährt, als sie Demonstrant:innen vorbeilaufen sieht. Zu einer schwangeren Muslima bemerkt dieselbe, dass es gut sei, dass Jana noch ein Kind bekomme. Besser als eins wären Zwillinge. Im Presseladen eines Bahnhofs fällt Janas Blick auf ein Interview mit der „kaltblonden Kanzlerkandidatin der AfD“, die verspricht, „Deutschland innerhalb von vier Monaten so gut wie ausländerfrei zu machen“. Später ist Jana involviert, als der Bau eines Asylant:innenheims verhindert werden soll. Von der Skepsis zur Akzeptanz – diesen Weg hätte man sich ein bisschen differenzierter wünschen dürfen, aber auch solche Metamorphosen können leider realistisch sein.

Die transzendentale Obdachlosigkeit, die Unbehaustheit der Protagonistin, wenn man so will die paradoxale Leerstelle einer retrospektiv-nostalgischen und prospektiv tauglichen seelischen Heimat, ist mit dem Risiko konfrontiert, von ideologisch Verwerflichem besetzt zu werden, oberflächlichen affektiv geprägten Content dort zu assimilieren, wo rational tiefgründiger Gehalt sein sollte. Dort rollt von Norden ein Donner, mit anderen Worten: der gleichnamige Roman von Markus Thielemann, Von Norden rollt ein Donner (2024) ist wenigstens in Anspielungen präsent. Schon die beiden Buchcover sind sich sehr ähnlich: bei Thielemann sind in einer olivgrünen Landschaft die nah am Magentafarbenen Schriftzüge zu Titel und Autor rechteckig angeordnet; bei Lühmann ragt der große rosafarbene Schriftzug mit dem Titel aus der olivfarbenen Landschaft heraus. Anstatt Schafherde ist auf dem Cover von Heimat ein Fluss mit seinen Ufern zu sehen. Was bei Lühmann im Mittelpunkt steht, die Verführungskraft von allem bedrohlich Konservativem, findet bei Thielemann mit der Familie Röder eine Bühne. Sie wirke „wie aus der Zeit gefallen“. Der lange wollene Faltenrock der Mutter und die Trachtenjacke aus Filz des Vaters formieren Attribute bedenklicher Heimatverbundenheit. Der silberne Anstecker auf der Jacke, eine winzige Wolfsangel, macht alle eventuellen Zweifel daran zunichte.

Hannah Lühmann erzählt die Geschichte einer Eskalation mit ästhetischer Brillanz. Ihr Roman über das Abdriften einer Frau in die Falle eines mehr als konservativen, anachronistischen Lebensstils besticht mit einem ausgeklügelten Aufbau und ist bar jeder Verurteilung und bar jeder Schönfärberei. Die Stationen, die die Protagonistin im Zuge ihrer Schwangerschaft, Symbol für die Wandlung, durchquert, lassen sich nachvollziehen, doch keineswegs entschuldigen. Lühmanns Roman gibt des Weiteren Einblicke in die Diskrepanzen eines Tradwife-Daseins: Karolins Social-Media-Performanz kontrastiert mit ihrer intellektuellen Kompetenz, so dass eine weit über das alltägliche Maß hinausgehende kognitive Dissonanz vorprogrammiert ist.

Am Ende ist es an den Leser:innen zu diskutieren – zuallererst über Verführbarkeit und die Gefahren traditionalistisch-faschistischer Ideologisierung, aber auch über paritätische Aufgabenverteilung in einer Partnerschaft und Lebensentwürfe im Allgemeinen.

Titelbild

Hannah Lühmann: Heimat. Roman.
hanserblau, Berlin 2025.
176 Seiten , 23,00 EUR.
ISBN-13: 9783446282827

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