Züs Bünzlins Lade
Ursula Amrein und Michael Andermatt haben einen kleinen Band mit dem Titel „Keller zum Vergnügen“ zusammengestellt
Von Peter C. Pohl
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWer sich aus Anlass des 200. Geburtstags Gottfried Kellers Leben und Werk in angemessener Weise nähern möchte, wird um die umfangreiche Historisch-Kritische Keller-Ausgabe nicht herumkommen, die man dann während des Jahresurlaubs anlesen oder während eines Sabbaticals intensiver studieren kann. Freilich ist dafür ein Übermaß an Zeit, Geld und, sofern man nicht die digitale Variante wählt, Raum vonnöten. Wer dagegen noch mit dem Gedanken spielt und dennoch auf einen repräsentativen Einstieg in das facettenreiche Œuvre nicht verzichten will, dem sei der kurze und kurzweilige Band Keller zum Vergnügen aus dem Reclam Verlag wärmstens empfohlen. Neben dem (wie Keller-LeserInnen wissen: nicht unwichtigen) finanziellen Argument kommen weitere Aspekte ins Spiel, die für dessen Anschaffung sprechen. Sofern man nicht mit der HKKA auf Reisen gehen will, gibt es keine vergleichbare Möglichkeit, rasch und ortsungebunden zahlreiche zentrale Bereiche des Œuvres kennenzulernen.
Das von den Keller-Spezialisten Ursula Amrein und Michael Andermatt zusammengestellte und eingeleitete Büchlein lässt sich auf einer mittellangen Zugfahrt problemlos bewältigen. Es enthält neben Gedichten und diversen Auszügen aus Texten und Briefen (nicht nur von Keller) eine biografische Skizze, einige Illustrationen sowie ein Glossar und eine Zeittafel. Die Gliederung, es finden sich unter anderen die Rubriken „Gott“, „Politik“, „Träume“ oder „Literaturkritik“, orientiert sich an zentralen Aspekten des Keller’schen Schaffens. Man blättert das Büchlein gern durch, von Station zu thematischer Station eilend, und findet oft Erstaunliches: Motive, die über Jahrzehnte immer wieder auftauchen, je nach fiktionaler oder faktualer Textsorte, Adressat oder Publikationszeitpunkt aber anders behandelt werden. Im Bereich der Kulinarik geht es von der faden Küche von Heinrichs Mutter bis zum denkwürdigen Gelage, mit dem die regierenden Demokraten das Ausscheiden des liberalen Stadtschreibers im Jahr 1876 honorieren und über das Keller an Adolf Exner in einem Brief berichtet.
Zum Thema Ordnungssysteme liest man unter anderem von Heinrichs Aufbau eines theosophischen Wachsfigurenkabinetts und dessen Untergang sowie von der Lade der Züs Bünzlin (aus den Drei gerechten Kammmachern), die auf kleinstem Raum eine erstaunliche Dingvielfalt enthält – ähnlich wie der kleine Band, der jedoch mit einer durchweg sinnvollen Ordnung punkten kann. Man liest von den Geldnöten des jungen Autors und vom penibel-humorvollen Hinweis des alten Schriftstellers an seinen Briefpartner Theodor Storm, er möge doch die Briefe richtig frankieren und damit dem Gezeter des Briefboten und der Schwester ein Ende bereiten. Auf kürzestem Weg lernt man so Gottfried Keller als scharfsinnigen Beobachter seiner Zeit und ihres literarischen Lebens (besser) kennen. Er war ein Autor, der die sozioökonomischen Alternativen (Kommunismus und Kapitalismus) zu beschreiben, zu analysieren, zu beurteilen vermochte, und die weitere ästhetische Entwicklung vorausahnte, ohne sie vorwegnehmen zu wollen.
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