Ein Mädchen mit einem Traum
Abigail Assor erzählt in „So Reich wie ein König“ eine augenöffnende Geschichte über Diskriminierung und Armut im Casablanca der 1990er
Von Nathalie Klump
Assors Debüt-Roman So Reich wie ein König merkt man an, dass die Autorin sich nicht vor Komplexität und Authentizität scheut. Mit einem ausgeprägten Sinn für die 90er und ihren Erinnerungen aus einem fast zwei Jahrzehnte langen Leben in Marokko erzählt sie die Geschichte eines sechszehn-jährigen Mädchens, das sich dazu bestimmt sieht, den reichsten Jungen in Casablanca zu heiraten.
Mit erhobenem Kopf läuft Sarah durch die Straßen der Stadt, wohlwissend, dass sie als wunderschöne Französin von jedem Mann angeschaut und begehrt wird. Sie weiß, was die Jungs in ihrer Schule von ihr wollen und wie sie sie dazu bekommt, ihr Geschenke zu machen und einen Kaffee auszugeben. Sie redet nicht viel, lässt sich von dem Jungen, mit dem sie gerade ausgeht, berieseln und anfassen. Doch Sarah hat ein Geheimnis und tut alles, damit niemand etwas davon erfährt: sie ist arm. Viel zu arm, um in einer Welt zu leben, in der Geld und Macht über Leben und Tod entscheiden können.
Von Anfang an ist klar, dass es sich bei dem Roman nicht um eine Liebesgeschichte handelt. Als Sarah erstmals von Driss erfährt, ist sie nicht verliebt. Sie findet ihn nicht einmal attraktiv, abgesehen von seinen „Thymianaugen“, von denen sie gleich fasziniert ist. Sarah ist eine Protagonistin mit einem Ziel. Sie möchte zur Oberschicht gehören. Sie möchte die Unantastbarkeit der Reichen, die Kleidung der Reichen und das Ansehen der Reichen, egal, mit welchen Mitteln.
All das spiegelt sich auch in ihrer Wortwahl wider. Wir erhalten direkten Zugang zu Sarahs Gedanken, die stets genau und schlicht zum Ausdruck kommen. Die Sprache der Erzählung gibt dem Leser das Gefühl, dass es keinen Schleier gibt, hinter dem das Bild der Protagonistin unklar würde. Was Sarah will und wie sie es erreichen kann, wird immer transparent gemacht. Diese Ehrlichkeit macht sie vor allem zu Beginn eher unsympathisch, wenn auch umso komplexer und interessanter.
Doch wer eine Erzählung wie die der Netflix-Serie Inventing Anna erwartet, wird bald merken, dass So reich wie ein König komplexer ist als die Geschichte eines intelligenten Mädchens, das sich nach Reichtum und Macht sehnt. Denn Sarah ist keine gewöhnliche Protagonistin: Während sie anfangs unausstehlich ist, sich herablassend gegenüber anderen verhält und scheinbar über Leichen gehen würde, um Driss an sich zu binden, entwickelt sich der Roman zu einer einfühlsamen Geschichte über ein junges Mädchen, das zu viel Leid und Armut gesehen hat und in einer harten Welt überleben möchte.
Über den lokalen Drogendealer Yaya, der jeden kennt und alles weiß, mogelt sie sich in eine Gruppe reicher Jugendliche. Sie lernt neben Driss Chirine, Badr und Alain näher kennen. Durch diesen Kontakt sollte ihr Plan schnell in die Tat umgesetzt werden. Doch Driss ist nicht wie die anderen Jungen, schon gar nicht wie ihre Klassenkameraden. Während die anderen kiffen, trinken und sich lautstark unterhalten, sitzt er auf einem Liegestuhl und mischt Karten. Sie wird wochenlang von ihm ignoriert, während sie mit ihren neuen Freunden die Tage verbringt und jeden Abend wieder zu ihrer Mutter nach Hause kommt, um mit einem Blick auf das Barackenviertel einzuschlafen. Als sie ihn auf einer Party fragt, ob er mit ihr tanzen möchte, er jedoch verneint, wird Sarahs kalkulierende Persönlichkeit vollends sichtbar.
Den Satz Ich bin verliebt in dich hatte Sarah viele Male aus dem Mund ihrer Mutter gehört, wenn der dicke Joe Käse auf dem Markt in Cannes kaufen sollte. Sie hatte ihn in der Barackensiedlung gehört, als Abdellahs Schwester einen Typen geheiratet hatte, der was Besseres war als sie und sie da herausholen sollte […]. Sogar die Nutten sagten Ich bin verliebt in dich, wenn sie schwanger wurden und vom Fleck weg geheiratet werden mussten, damit sie nicht mit den anderen ledigen Müttern im Gefängnis landeten – und das Kind im Waisenhaus. […]
Mit diesem einen Satz beginnt schließlich die Liebesgeschichte zwischen ihr, dem schönen französischen Mädchen, und Driss, dem reichsten Jungen in Casablanca. Sie verbringen fortan die Tage zusammen und alles scheint perfekt. Die Grenzen zwischen Sarahs Sehnsucht nach mehr im Leben und dem, was sie für Driss empfindet, beginnen jedoch immer mehr zu verschwimmen, bis sie ihr ursprüngliches Ziel beinahe vergisst. Auch für den Leser beginnt Sarah als Protagonistin immer mehr zu verwischen. Denn die zu Anfang manipulative, hochnäsige und beleidigende Jugendliche, die viel zu oft das Wort „Dreckskerl“ verwendet, verwandelt sich von Kapitel zu Kapitel in eine Freundin und eine Geliebte. Sie beginnt, Driss nach seinen Interessen zu fragen und zu beobachten, wie seine Augen währenddessen aufleuchten. Sie zeigt ihm immer mehr von der Seite ihres Lebens, die sie bisher vor jedem geheim gehalten hatte, bis er sie mit ihrer Mutter auf die Insel Sidi Abderrahme reist, damit diese während des Ramadans Geld verdienen kann.
Obwohl Sarah aber für einige Zeit vergisst, dass Geld ein so großer Teil ihres Ansporns ist, wird sie wieder in die Realität zurückgeholt, als Chirine erzählt, dass sie und Alain Schluss gemacht haben, weil er sie nie heiraten würde, und dasselbe auch für Driss und Sarah gelte. Als Sarah die Ernsthaftigkeit von Chirines Aussage erkennt, wird ihr klar, dass es für sie nur einen Weg geben kann, Driss an sich zu binden: Schwangerschaft.
Als sie schließlich tatsächlich von Driss schwanger wird, nachdem sie so tat, als würde sie die Pille nehmen, tauchen eine ganze Reihe an neuen Problemen auf. Die Unterdrückung der Frauen im Casablanca der 1990er ist Sarahs Alltag. Anhand ihrer Schwangerschaft und ihres Umgangs damit lässt Assor die prekären Zustände sichtbar werden, unter denen viele Frauen in Marokko damals lebten: Frauen, die ihren Vergewaltiger heiraten mussten, weil sie sonst aufgrund fehlender Jungfräulichkeit keinen Ehemann finden würden. Frauen, die ihr Kind verlieren und deshalb von ihrem Mann verstoßen werden. Frauen, deren Ehemänner unfruchtbar sind und die aus Angst davor, diese zu verlieren, zu einem „Heiler“ gehen, der sie vergewaltigt und schwängert. Frauen, die ins Gefängnis kommen, wenn sie ein uneheliches Kind gebären.
So reich wie der König wird damit auch zu einer Geschichte über eine Gesellschaft, in der die Reichen tun und lassen können, was sie wollen. Abigail Assor gelingt es dabei, durch die Vielfalt an originellen Charakteren, eine authentische Sprache und lebhafte Beschreibungen den Leser direkt ins Marokko der 1990er zu versetzen und damit zu konfrontieren, was es bedeuten kann, Opfer des eigenen Schicksals zu werden.
Anmerkung der Redaktion: Die Rezension gehört zu den studentischen Beiträgen, die im Rahmen eines Lehrprojekts im Sommersemester 2023 entstanden sind und gesammelt in der Oktoberausgabe 2023 erscheinen.
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