Vom Einwandern und Ankommen

Sefi Attas „Ein sonderbarer Immigrant“ erzählt von den finanziellen, kulturellen und beruflichen Herausforderungen, Hürden und Erfolgen einer nigerianischen Familie in den USA

Von Julia AugartRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia Augart

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Lukmon Karim, Mitte 40 und promovierter Literaturwissenschaftler, arbeitet in einer Bank in Lagos. Ihn macht das nicht glücklich, sehr wohl aber seine Frau Moriam, die das regelmäßige Gehalt schätzt. Sie selbst arbeitet als Krankenschwester und bemüht sich darum, Visa für die USA zu erlangen, um Nigeria gemeinsam mit ihren zwei Kindern verlassen zu können. Lukmon ist wenig begeistert von dieser Idee, sieht aber die Vorteile hinsichtlich der Ausbildungsmöglichkeiten für die Kinder und seines gesicherten Ruhestands. Moriam gelingt es, sowohl für die Familie Einreisegenehmigungen zu erhalten als auch das Geld für die Übersiedelung in die USA zusammenzutragen. Dort kommen sie zunächst bei Lukmons Cousin in New Jersey unter. Diesem Arrangement folgen noch einige Umzüge, bis die Familie schließlich in Mississippi ankommt, wo Lukmon als Dozent an einem College lehrt.

Lukmon selbst kommt sympathisch – wenn auch eher gemächlich – daher. Aus der Ich-Perspektive schildert er in Ein sonderbarer Immigrant, wie unterschiedlich die Familienmitglieder in den USA ankommen. Moriam geht ihr neues Leben genauso tatkräftig und energisch an, wie sie ihr altes in Nigeria verlassen hat: Sie kümmert sich um die Familie, ihre Arbeit als Krankenschwester und baut sich einen Freundeskreis aus nigerianischen Freund*innen, Nachbar*innen und Arbeitskolleg*innen auf. Begeistert geht sie auf alles und jeden zu und setzt alle wichtigen Schritte für ihre Familie in Gang, seien es Umzüge, ein Autokauf oder die Schulwahl. In den Malls blüht sie beim Shopping auf, und auch der amerikanische Nationalfeiertag am 4. Juli wird mit einem geselligen Barbecue gefeiert.

Die beiden Kinder, Taslim und Bashira, gewöhnen sich ebenfalls recht schnell an die neue Umgebung. Ähnlich wie seine Mutter geht Taslim offen und pragmatisch mit der neuen Situation um. Bashira hingegen tut sich zu Beginn schwer, aber auch sie entwickelt sich zu einem amerikanischen Teenager: Die beiden eignen sich amerikanischen Slang an und finden Freunde. Auch ihr Umgang mit den Eltern verändert sich – wird respektloser, wie Lukmon meint. Später schlagen sie solide berufliche Wege ein. Einzig Lukmon hat Probleme, sich auf die neue Situation einzulassen und Fuß zu fassen: Er arbeitet zunächst als Wachmann in einem New Yorker Geschäft und kümmert sich dann als Hausmann um die Kinder, während Moriam als Krankenschwester die Familie ernährt.

Lukmon ist dennoch nicht untätig, denn er beobachtet und beschreibt seine Umwelt und seine Mitmenschen sehr genau – oft kritisch, aber auch mit viel Humor. Dabei beleuchtet er immer wieder die Themen Rassismus, Vorurteile und Tribalismus. Auch Herkunft und kulturelle Eigenheiten oder Unterschiede werden thematisiert. Seine Gedanken und Gespräche gewähren Einblicke in die nigerianische Diaspora. An verschiedenen Figuren wird exemplarisch die Integration und Assimilation gezeigt, die bis zur Aufgabe der eigenen Biografie führen kann: So berichtet Lukmon von seinem angepasstem (und ungeliebten) Cousin, der sich einerseits sehr amerikanisch zeigt, andererseits aber auch auf Yoruba-Traditionen Wert legt. Ein ehemaliger Studienkollege lässt sich hingegen mit einer gefälschten Autobiografie als Autor feiern. Moriams Chef lebt seinen Erfolg als Arzt durch einen luxuriösen Lebensstil aus. Ihre beste Freundin möchte sich ebenfalls durch Statussymbole repräsentieren, ruiniert sich aber damit finanziell. Auf der Jahrestagung der African Studies Society aktiviert Lukmon sein akademisches Netzwerk für eine Rückkehr an die Universität und schildert in der Beschreibung seiner alten Kolleg*innen aus Nigeria, wie Integration in akademischen Kreisen funktioniert – oder auch nicht.

Der Ich-Erzähler betrachtet jedoch nicht nur seine eigenen Landsleute kritisch, sondern auch die USA und ihre Einwohner*innen: Diese haben Schwierigkeiten mit den „fremdartigen“ Namen und keine Vorstellung von Nigeria im Speziellen und Afrika im Allgemeinen. Der Rassismus und die Behandlung der Afroamerikaner*innen ist eines von Lukmons Lieblingsthemen – sehr zum Leidwesen der restlichen Familie. Einige der Beobachtungen und Darstellungen der nigerianischen Immigranten*innen und Afroamerikaner*innen zeigen Parallelen zu Chimamanda Ngozi Adichis Americanah. In der Auseinandersetzung mit literarischen Texten US-amerikanischer wie verschiedener afrikanischer Autor*innen schlägt der Roman jedoch eine andere Richtung ein und bietet durch Vergleiche und Analysen literarischer Beispiele oder auch Gedanken zum Umgang mit Literatur interessante Einsichten, Leseempfehlungen und Überlegungen. 

Wer außer uns kann afrikanische Literatur so fundiert und tiefgründig interpretieren? Wer sonst soll Hüter der afrikanischen Literatur sein? Selbst wenn die afrikanische Literatur den Weg aus den Klassenzimmern und Hörsälen findet, dann nur wegen Autoren wie Osaro, die aus westlichem Blickwinkel schreiben, und sie wird immer ein exotisches Anhängsel in der literarischen Landschaft bleiben.

Der Roman ist eingängig und unterhaltsam geschrieben, er besticht durch viele schlagfertige und witzige Dialoge und kritische Reflexionen. So sonderbar, wie es der Titel ankündigt, ist Lukmon Karim eigentlich nicht. Vielleicht ist der englische Titel The bad immigrant genauer, denn Lukmon versucht weder sich zu assimilieren noch verändert er seine Biografie oder kehrt nach Nigeria zurück. Vielmehr geht er seinen eigenen Weg, langsam und mit viel Kritik, aber auch mit Hilfe der Literatur und seinem literarischen Interesse, wenn man so will. Die nigerianische Autorin Sefi Atta liefert mit Ein sonderbarer Immigrant einen sehr lesenswerten Roman, in dem sie nicht nur Einblicke in nigerianische Denk- und Lebensweisen sowie Rollenvorstellungen gibt, sondern auch in die Rolle der Literatur und des Schreibens selbst.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Sefi Atta: Ein sonderbarer Immigrant. Roman.
Aus dem Englischen von Simone Jakob.
Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2022.
456 Seiten, 30 EUR.
ISBN-13: 9783779506904

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