Elisa und Beatrice

Die italienische Autorin Silvia Avallone macht in „Bilder meiner besten Freundin“ abermals eine scheiternde Mädchenfreundschaft zum Romanthema

Von Rainer RönschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rainer Rönsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der neue Roman der Italienerin Silvia Avallone erzählt von der scheiternden Freundschaft zweier grundverschiedener Mädchen in Italien zu Beginn dieses Jahrhunderts. Die Autorin bleibt damit dem Thema treu, das sie in ihrem Debütroman Ein Sommer aus Stahl (2011) gestaltete. Der Einfachheit halber sei der Plot hier linear nacherzählt, wobei der Leser sich auf interessante Nebenhandlungen mit einprägsamen Figuren freuen kann.

Im Dezember 2019 holt die 33-jährige Ich-Erzählerin Elisa sechs Tagebücher hervor und betrachtet ein Foto vom 4. Juni 2001, auf dessen Rückseite steht: „Für immer Freundinnen“. Seit die Freundschaft zerbrach, führt sie nicht mehr Tagebuch. Das Schicksal der inzwischen weltberühmten Influencerin Beatrice Rossetti ist unklar. Einst die Freundin Elisas, bewirbt sie seit Jahren in sozialen Netzwerken allerhand Produkte und Lebensstile, bis sie plötzlich verstummt.

Im Jahr 2000 lernen sich die beiden jungen Mädchen kennen, als beim Streit in einem Restaurant die Ehe von Elisas Eltern zum zweiten Mal scheitert. Beatrice, ebenfalls dort zu Gast, folgt Elisa zum Strand. Beide verharren in einer langen Umarmung. Man versteht, warum Elisa, die sich mit ihrem blassen Gesicht und ohne weibliche Attribute („keine Hüften und keine Titten“) unansehnlich findet, die selbstsichere Beatrice bewundert. Sie möchte die jüngere Schwester sein und mehr: „Lichtquelle“ und „Zauberspiegel“. Unklar bleibt bis kurz vor Schluss, was Beatrice zu Elisa geführt hat.

Besiegelt wird die Freundschaft beim gemeinschaftlichen Diebstahl. Beute ist eine teure Jeanshose, natürlich für Bea, nicht für Eli – so reden sich die beiden nun an. Elis Vater ist „Professor für Softwareentwicklung zu einer Zeit, da Software ein Wort war, das den meisten nichts sagte“. Bea besucht Eli, und ihr erster Kontakt mit dem PC von Elis Vater wirkt „wie ein Stromschlag“. Bea sieht, dass Fotos im Computer nicht verblassen. Diese Erkenntnis wird prägend für ihre Laufbahn. Eli, der die Freundschaft „himmelschreiendes Glück“ bringt, findet heraus, dass Bea sich mit einem gewissen Gabriele eingelassen hat. Ihre Beobachtungsgabe braucht sie für ihren Berufswunsch: Schriftstellerin.

In der Gemeindebibliothek lässt sie sich vom attraktiven und wie sie literaturbegeisterten Lorenzo küssen, obwohl sie mit vierzehn Jahren noch nicht weiß, ob man davon schwanger wird. Als er verschwindet, sucht sie einen Hochsommer lang nach ihm. Zu Schuljahresbeginn verlangt Bea von ihr, an Lorenzo zu schreiben. Erst die dritte Fassung des Briefs, voller Lügen und erfundener Erlebnisse, findet Bea brauchbar. Lorenzo hat Elis Suche nach ihm bemerkt und verabredet sich mit ihr. Unter Alkohol kommt es zum Sex, für beide ist es das erste Mal.

Der zweite Teil des Romans umfasst die Jahre 2000 bis 2006. Nachts sitzt Eli am Computer und tauscht Nachrichten mit Lorenzo aus: „nur Worte, nichts Körperliches“. Beas todkranke Mutter nimmt Eli das Versprechen ab, sich um Bea zu kümmern. Lorenzo schwört, sie zu heiraten. Sie aber vergräbt sich tagelang mit Bea in der „Höhle“, einem herrenlosen Häuschen, wo sie Bücher und DVDs verschlingen. Elis Vater richtet auf dem „damals vermutlich einzigen WLAN-Router der Stadt“ den „Blog von Bea&Eli“ ein. Daraus wird für Bea eine berufliche Waffe, weil sie mit einem Vorsprung von 15 Jahren den Umgang mit dem Computer trainiert und sich ab ihrem 20. Geburtstag mit Hilfe einer jungen Professorin auf ihre Auftritte im Internet vorbereitet.

Nach Lorenzos Abitur mit Bestnote leben und lieben er und Eli freizügig: tags am Strand, nachts im Golf. Als Lorenzo nach Bologna geht, teilt Bea mit, sie werde zu Gabriele ziehen. Eli sitzt zwar noch neben Bea auf der Schulbank, erfährt aber nur im Internet etwas über sie. Bea will eine Ikone und zugleich unerkennbar werden.

Es kommt der 9. Juli 2006. Über diesen Tag, an dem Italien die Fußball-Weltmeisterschaft gewinnt, hat Eli gegenüber jedermann geschwiegen. Bea und Lorenzo küssen einander leidenschaftlich. Das Leben aber geht weiter, Eli ist schwanger und wagt es nicht, Lorenzo anzurufen – sie befürchtet, Bea schmiege sich gerade an ihn.

Im dritten Teil geht es um die Jahre 2019 und 2020. Eine Pressenotiz verkündet, dass Beatrice Rossetti seit 48 Stunden schweigt. Daraus werden 72 Stunden, eine Woche. Besorgte Fans in vielen Ländern gehen auf die Straße. Beas Manager ruft Eli an: Bea will erst wieder arbeiten, wenn sie sich mit Eli getroffen hat. Eli lehnt ab. Sie verschweigt, dass Bea ihr Lorenzo wegnahm und sie den Sohn Valentino allein großziehen musste. Schließlich stimmt sie einem Treffen zu, am Silvesterabend in der „Höhle“.

Dort wird Eli nicht von Bea erwartet, sondern von der Beatrice Rossetti der großen Anlässe. Sie hat das Kleid, das ihr in den Medien Millionen von „Likes“ einbringen würde, nur für Eli angezogen. Eine Website oder Homepage von Eli hat sie spät gefunden, Valentino aber auf der Homepage seines Fußballklubs erkannt – er sehe ja aus wie „Lore“. Diese Erwähnung Lorenzos lässt Eli wütend werden. Sie wirft Bea vor, ihr Leben ruiniert zu haben, erfährt jedoch, dass Lorenzo nie Beas Geliebter war. Ihre Liebe hat Eli gegolten, und in der Nacht des 9. Juli war sie bei der Professorin. Jetzt hat sie Eli aus demselben Grund gesucht, aus dem sie einst verschwunden ist: „Weil von uns beiden du die Verräterin bist.“

Tatsächlich hat Eli ihr den Terminplan ihrer Mutter vorenthalten, weil sie nicht wollte, dass Bea anhand der darin vermuteten Adressen und Telefonnummern den Traum ihrer Mutter verwirklicht, anstatt ihr eigenes Leben zu gestalten. Eli hat die Mappe nie geöffnet und weiß nicht, dass es sich um das Tagebuch von Beas Mutter handelt, aus dem Bea lebenswichtige Lehren gezogen hätte.

Endlich wird ausgesprochen, was Bea zu Eli zog: Sie sah etwas in ihr, wodurch sie sich ähnelten. Enttäuschung durch die Eltern stiftete ihre Freundschaft. Eli glaubte, ihr Vater betrachte Bea als Wunschtochter. Bea wusste, dass ihre Mutter sie nicht so liebte, wie sie war, sondern nur in der Gestalt, die sie aus ihr zu formen suchte. Beide umarmen sich, und Bea macht klar, dass sie keine abgehobene Diva ist, sondern über die Katastrophen dieser Welt im Bilde. Als die Medien schließlich über sie schweigen, stört sie das nicht. Auch in diesem Punkt muss Eli ihre Ansicht über die Ex-Freundin revidieren. Möglicherweise fällt ihr das leichter, weil Bea bekennt, Eli habe ihr gefehlt. Eli, die Literaturwissenschaftlerin wurde, konnte Bea nicht vergessen, weil die digitale Revolution sie ihr täglich vor Augen führte. Dem Internet traut sie auch zu, Bücher überflüssig zu machen.

Die Intensität der Gefühle sorgt für bewegende Lektüre. Doch „eines Mannes Rede ist keines Mannes Rede“, und das gilt auch für Frauen. Weil der Roman auf den Erinnerungen Elis beruht, bleibt er lange unfair gegenüber Bea. Die Einseitigkeit schadet dem durch Michael von Killisch-Horn trefflich ins Deutsche übersetzten Roman. Die am Schluss gestellte Frage, ob das Buch veröffentlicht werden soll, geht ins Leere.

Titelbild

Silvia Avallone: Bilder meiner besten Freundin.
Aus dem Italienischen von Michael von Killisch-Horn.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2021.
496 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783455011944

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