Die totale Parodie
Vagrič Bachčanjan und seine Sprachmimikry
Von Georg Witte
Parodie kann belanglos sein. Sie kann aber auch zur existenziellen Haltung werden, Rettung von Witz und Verstand in einem Umfeld, das den Stumpfsinn allgegenwärtig macht. Das scheinbar affirmative Nachsprechen dient der Subversion einer Sprache der Macht. In der Sowjetunion haben konzeptualistische Künstler diese Strategie eines Unterlaufens durch Nachahmung zur Perfektion getrieben. Es ging um nicht weniger als das sprachliche Überleben in einem Zeichenregime, das von der Staatsrhetorik bis in die Niederungen der Alltagsrede reichte. Einer von diesen Künstlern war der 1938 im ukrainischen Charkiw geborene, aus einer armenischen Familie stammende, russischsprachige Vagrič Bachčanjan. In den 1960er Jahren organisierte er inoffizielle Ausstellungen und Kunstaktionen in Charkiw, bevor er nach Moskau übersiedelte. 1974 folgte die Emigration nach New York, wo er 2009 starb. Der absurde Humor dieses Bild- und Wortkünstlers, sein immenser Einfallsreichtum, was die Erfindung neuer Kunst- und Literaturformen betrifft, seine bedeutende Rolle in der Moskauer Undergroundszene sind fast in Vergessenheit geraten. Bachčanjans komisch-abgründiger Genius wurde überstrahlt von großen Namen wie Ilja Kabakov, Komar & Melamid und anderen. Einige Texte Bachčanjans hatte Liesl Ujvary bereits 1975 in ihrer Anthologie „Freiheit ist Freiheit. Inoffizielle sowjetische Lyrik“ (Verlag die Arche, Zürich) in deutscher Übersetzung veröffentlicht. Als Autor von Künstlerbüchern wurde an ihn im Katalog „Präprintium. Moskauer Bücher aus dem Samizdat“ (Hg. Günter Hirt und Sascha Wonders, Edition Temmen, Berlin 1998) erinnert. Nun ist endlich eine größere und verschiedenste Genres berücksichtigende Auswahl seiner Schriften in der deutschen Übersetzung durch Wolfram Eggeling erschienen – dank einer Initiative der wunderbaren Edition Aspei aus Bochum, die sich nicht zum ersten Mal um Funde aus der Kunst des sowjetischen Undergrounds verdient macht.
Dieses Buch ist eine Schatzkiste, die vom Grund eines Meers des Vergessens gehoben wurde. Man kann es studieren wie ein altes Handbuch der Verstellungen, und man wird dabei zwischen Lachsalve, verwirrtem Schmunzeln und erschrockenem Augenreiben hin- und hergerissen. Da sind etwa die „Befehle“: zum Wegschaffen von gewellten Unterröcken ebenso wie von Fahrtwind, Zeigefinger oder Fußbänken, oder zum Umbenennen der Wörter. Aus Räucherfisch wird Schmiedeherd, aus Lüge Gutschein, aus Geschenk Krieg. Und das Wort Wort selbst? Was wird aus ihm in einer Sprachordnung, die jeglicher Wirklichkeitsfundierung enthoben ist? Es wird Spülwasser. Weitere Beispiele liefern die Aphorismen in Form verunstalteter sowjetischer Losungen. Durch die leeren Raster von Kalendereinträgen, Todesanzeigen, Vernehmungsprotokollen, Staatsreportagen und Prämierungslisten rieseln Haufen von Nonsens. Bachčanjan erweist sich als ein genuiner Nachfolger von Daniil Charms, der die Kreation des Fehlers aus der Überrichtigkeit demonstrierte.
Die totale Parodie verzichtet auf den Hinweis für Eingeweihte: wir stehen darüber, wir sind intellektuell überlegen. Der Autor der totalen Parodie hat keine andere, keine bessere, keine klügere Sprache als die der Macht. Er ist primitiv im radikalsten Sinne dieses Worts. Es ist der Gestus einer Selbstunterwerfung unter den Schwachsinn, der die eigentliche Provokation ausmacht. Das Ich des Autors ist selbst schon absorbiert vom Brei der Kollektivsymbolik. Seine sogenannten „Autobiographien“ (es gibt gleich mehrere) kennen keine anderen Daten als die Jahreszahlen der Großen Geschichte. Wenn Bachčanjan einer sinnentleerten und unfreiwillig absurden Sprache Fallen stellt, setzt das voraus, dass er selbst sich in deren Falle begibt.
Eine solche Falle ist etwa das Auftürmen unendlicher syntaktischer Architekturen, deren logischem Schein man als Leser so lange auf den Leim geht, bis man endlich bemerkt, in eine Tirade des Unsinns geraten zu sein. Schon Nikolai Gogol beherrschte diese Technik perfekt. Ähnlich funktionieren die ins Maßlose übertriebenen Aufzählungen, Satzparallelen und Wiederholungen. Als blase man einen Ballon nur deshalb lustvoll auf, um ihn platzen zu sehen. Eine andere Falle ist das Wörtlichnehmen verbrauchter Metaphern: Dann verschließt man eben die Augen vor der Schlaflosigkeit, und die Ausdrucksweise des Scharfrichters ist geschliffen. Eine geradezu kindliche Lust entwickelt der Autor beim Vermengen und Verwursten literarischer Vorlagen aus dem russischen und sowjetischen Bildungskanon. Da entstehen Mischgeburten aus Dostojewski-Figuren und Heroen der sowjetischen Revolutionsgeschichte. Ein kanonisches Gedicht des Revolutionsdichters Maxim Gorki, das jedes sowjetische Schulkind auswendig konnte, wird Vers für Vers aufgeteilt auf die Dialogrepliken eines Tschechow-Dramas. Oder die lange Reihe der „Menüs“ – zusammengestellt aus Beschreibungen von Mahlzeiten in Werken der Weltliteratur. Selbst ein Riese wie Gargantua würde sie kaum verschlingen können. Das Lachen bleibt hier, beim letzten Menü, buchstäblich im Halse stecken. Es wird im Speisewagen der Stolypin-Waggons serviert. So nannte man zu sowjetischen Zeiten die Waggons für Gefangenentransporte in den GULAG.
Eine Mischung dieser Methoden des Nachstellens und Verstellens – unendliches Aufreihen von Namen, surreale Rekordstatistiken, bodenlose Generalisierungen, Vergleiche von allem mit allem – findet sich in einem Prosastück über Charkiw. Aus heutiger Perspektive ist das deshalb besonders interessant, weil hier an einer ukrainischen Sowjetmetropole Techniken der Mythenentzauberung erprobt werden, wie man sie sonst eher mit Moskau in Verbindung bringt. Charkiw heißt hier noch, russisch, Charkow. Es „ähnelt von unten einem Beil mit kurzem Stiel“.
Die Edition enthält neben den Schriften auch eine konzentrierte Auswahl des bildnerischen Schaffens Bachčanjans sowie der Hybriden aus Text und Bild: etwa visuelle Poesie und Collagen aus propagandistischem Pressematerial und anderem lettristischem found footage. Wie auch die Bildgeste dieses Künstlers aus einem listenreichen Spiel der Unterwerfung entsteht, zeigt etwa die Serie der Dollar Size Pictures. Hier adaptiert sich der in die USA emigrierte Künstler so total an seinen konsumistischen Kontext, dass ihm außer der buchstäblichen ‚Anpassung‘ seiner Kunst an das Format des Dollarscheins scheinbar nichts mehr mitzuteilen bleibt – eine interessante Variante des kapitalistischen Realismus.
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