Das Verbrechen am Anfang

Bettina Balàka erzählt in „Die Tauben von Brünn“ vom gesellschaftlichen Aufstieg Johann Karl von Sothens

Von Helmut SturmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Helmut Sturm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In die Mauer der Grabkapelle, in der Johann Karl von Sothen 1881 beigesetzt wurde, wurde folgender Spruch gekritzelt: „Hier, in dieser schönen Gruft, / liegt der allergrößte Schuft, / Zeigts keine Sechserl runter, / Sonst wird er wieder munter!“ Als Sohn eines nicht besonders geschäftstüchtigen Tabaktrafikanten hat Sothen es aus eher ärmlichen Verhältnissen zu großem Reichtum, einigem Ansehen und der Nobilitierung durch das Kaiserhaus gebracht. Auf diesen Glücksjäger und skrupellosen Geschäftemacher trifft Honoré de Balzacs Feststellung, wonach hinter jedem großen Vermögen ein Verbrechen stehe, ohne Abstriche zu. Es nimmt nicht Wunder, dass in Zeiten, in denen die Schere zwischen reich und arm weiter auseinander driftet, der Mann Interesse erweckt. Im Roman Am Himmel (2017) hat Anna-Elisabeth Mayer die Vorgeschichte der Ermordung des Emporkömmlings erzählt, zwei Jahre später steht der Mann nun auch bei Bettina Balàka im Zentrum der Ereignisse, die in Die Tauben von Brünn geschildert werden.

Johann Karl Sothen soll den Grundstock seines Vermögens gelegt haben, indem er dem im selben Haus wohnenden Taubenzüchter Wenzel Hüttler am Sterbebett das Gewinnlos über 20 000 Gulden entwendet. Der Sohn Eduard Hüttler stellt den Baron und Bankier gewordenen Sothen zur Rede und tötet ihn im Streit. Das Todesdatum, der 10.6.81, stimmt angeblich mit den Lottozahlen überein, die am Beginn von Sothens Aufstieg standen. Bettina Balàkas Darstellung kreist allerdings um Berta Hüttler, eine vermutlich gänzlich fiktive Figur. Teilweise wird der Roman aus ihrer Ich-Perspektive erzählt. Als Schwester Eduards kommt sie nach dem Tod der Eltern mit der Unterstützung des kaum älteren Johann Karl Sothens in den Gasthof ihrer Tante „Zum Goldenen Ochsen“ nach Brünn. Hier entwickelt Berta auch ihr Wissen über die Brieftaubenzucht weiter. Diese bestimmt nach ihrer Rückkehr nach Wien ihr Leben. Sothen, der das Mädchen mit der angeborenen Hasenscharte umwirbt und Berta schließlich von sich abhängig macht, nützt ihre Kenntnisse: „Ich möchte, dass du deine beste Taube nimmst und mit ihr nach Brünn fährst, und zwar am Tag der Lottoziehung. […] In Brünn wartest du, bis die Ergebnisse der Ziehung ausgehängt werden, dann schreibst du sie auf ein Zettelchen und befestigst es an der Taube. Die Taube fliegt nach Wien und wird von mir in Empfang genommen.“ In Wien durfte noch gesetzt werden, bis der Reiter mit den gezogenen Zahlen die Stadtgrenze erreichte.

Die Tauben von Brünn spielt in der Biedermeierzeit. Das Politische im engeren Sinne wird verdrängt, ein gewisser Rückzug ins Private ist angesagt. Das spiegelt sich insgesamt im Roman. Wir Leserinnen und Leser erfahren eine Menge über das alltägliche Leben der Zeit, über Tauben, Aberglauben, Wissenschaft und Glücksspiel. In Parabeln wird davon berichtet, wie Menschen abhängig gemacht werden können und wie sich zuletzt doch zumindest Ansätze von Gerechtigkeit durchsetzen. Berta, das entstellte Waisenkind ohne formale Bildung ist nicht nur ein armes Hascherl, sondern durchaus zum aufrechten Gang fähig.

Balàka zeigt in ihrem Roman, wie Menschen ähnlicher sozialer Herkunft, schließlich gänzlich unterschiedlichen ökonomischen Erfolg und divergierende Lebensläufe hervorbringen. Verbrechen, zumindest kleinere, sind verbreitet. Aus der Distanz des auktorialen Erzählers betrachtet erscheint auch vieles amüsant, ohne dass dabei die Figuren der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Überhaupt liegt Balàka nichts daran, den „Schuft“ eindeutig bloßzustellen. Aber wir sehen dennoch, was die Gier nach Geld, wenn diese allein das Leben bestimmt, bedeutet: Ausbeutung, Unterdrückung, Scheinheiligkeit, Unfreiheit.

Neben den Hauptfiguren macht uns die Autorin mit Nebenfiguren bekannt, wie man sie etwa von Doderer kennt. Sie sind aus dem Leben gegriffen, grotesk, verschlagen und liebenswert. Leider geht Bettina Balàka gegen Ende das epische Schreibtalent etwas verloren. Man möchte gerne mehr davon lesen.

Titelbild

Bettina Balàka: Die Tauben von Brünn. Roman.
Deuticke Verlag, Wien 2019.
189 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783552063990

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