Frauen als Mittel zum Zweck

Der Sammelband „Kafkas Schwestern“ bietet Besseres, als seine Einleitung befürchten lässt

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ziel der Beiträge des aus einem „binationalen Lehr- und Forschungsprojekt“ der Universitäten Pilsen und Augsburg erwachsenen Bandes ist es laut seiner Einleitung, zu „zeigen, dass und in welcher Weise die Forschung zu Kafka bereichert wird, wenn schreibende Frauen einbezogen und die Werke der Frauen gelesen werden, die sich mit Kafkas Person und Werk auseinandersetzten“. Es geht also gar nicht um die vorgestellten Frauen um ihrer selbst willen. Vielmehr sind sie nur Mittel zum Zweck, um die Forschungen über einen Mann, nämlich Kafka voranzutreiben. Das reiht sich nahtlos in die vielfältige und Jahrhunderte lange Funktionalisierung von Frauen für Belange von Männern ein. Da hilft es auch wenig, wenn Mitherausgeberin Bettina Bannasch in der Einleitung weiter erklärt, dass „viele […] Texte“ der vorgestellten Schriftstellerinnen „von einer Verschränkung frauenemanzipatorischer Diskurse mit anderen Emanzipationsprozessen [charakterisiert sind]“.

Bei den Schriftstellerinnen des unter dem Titel Kafkas Schwestern firmierenden Bandes handelt es sich selbstverständlich nicht wirklich um Schwestern oder auch nur nahe Verwandte des bekannten Autors, ja nicht einmal ausschließlich um Zeitgenossinnen. Vielmehr werden in den elf Aufsätzen auch einige Autorinnen, die erst nach Kafkas Tod publizistisch aktiv wurden, in den Blick genommen.

Zu denjenigen, die wie Kafka zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebten und wirkten, zählt hingegen Margarete Susman, deren „Kafka-Lektüre“ des Jahres 1929 von Birgit R. Erdle beleuchtet wird. Erdle zufolge „konstruiert[e]“ die Schriftstellerin in ihrem Essay Das Hiob-Problem bei Franz Kafka über die Figur des unglücklichen Hiob eine „Wahlverwandtschaft“ zu dem nicht eben glücklicheren Literaten. „Der Nexus“ zwischen der fiktionalen biblischen Figur und dem realen Prager Autor „impliziert“ ihr zufolge bei Susman „eine als geschichtsbedingt gedachte Radikalisierung“, die darin liegt, „dass göttliche Gerechtigkeit und menschliche Gerechtigkeit“ bei Kafka „nicht mehr zusammenkommen. Mehr noch: Sie scheinen sich gar nicht mehr aufeinander zu beziehen“. So zumindest die Argumentation Erdles.

Mit Milena Jesenská wendet sich Lucyna Darowska einer Schriftstellerin zu, die einen noch etwas höheren Bekanntheitsgrad als Susman genießt. Dies allerdings völlig zu Unrecht fast ausschließlich als Freundin Kafkas. Daher ist es zu begrüßen, dass sich Darowska nicht auf die Verbindung zwischen beiden kapriziert, sondern sich mit den Reportagen der „bedeutende[n] Journalistin und Widerständlerin“ befasst, von der nicht weniger als 1164 Feuilletons, Reportagen und Übersetzungen“ in verschiedenen Archiven harren, von denen viel zu viele weiterhin auf ihre Wiederentdeckung warten. Jesenskás „reflexive[r] Blick“ ist Darowska zufolge „von Beginn an rebellisch“ gewesen – und zwar in dem Sinn, als „er sich immer wieder querstellt gegen alles, was sie als negativen Referenzpunkt versteht“. Das betreffe zum Beispiel die Ehe und die „konventionelle Vorstellung von Eheglück“.

Anna-Dorothea Ludewig begibt sich hingegen auf eine „Spurensuche“  des „Leben[s] und Wirken[s] der Schwägerinnen Elsa Brod und Nadja Taussig“, während Marie Brunová erstmals dem „vergessenen jüdischen Schicksal“ der Schriftstellerin Malvine Schick Rosenberger nachgeht, die nicht einmal Renate Walls Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen im Exil 1933-1945 bekannt ist. Mögen die „harmlose[n] und unterhaltsame[n] Geschichten“ der in den Jahren 1930 bis 1942 Mitvorsitzenden des Prager Klubs deutschsprachiger Schriftstellerinnen auch nicht sonderlich bedeutend erscheinen, so hat sie es doch allemal verdient, dem Vergessen nun zumindest ein wenig entrissen zu sein.

Gleich drei tschechischen Autorinnen des „frühen zwanzigsten Jahrhunderts“ und ihren literarischen oder persönlichen Verbindungen zu Kafka wendet sich Petr Kučera zu: Teréza Nováková, Růžena Svobodova und Anna Maria Tilschová. Zwar hätten sie und einige ihrer Geschlechtsgenossinnen „Grenzen [überschritten], die den zuvor schreibenden Frauen gesetzt waren“. Doch wiesen ihre Texte „implizite[n] Manifestationen von Antisemitismus oder Fremdenfeindlichkeit bzw. eine Überlegenheitsgefühl gegenüber den unteren Schichten“ auf, die der Autor dadurch relativiert, dass sie „in der damaligen Mittel- und Oberschicht üblich“ gewesen seien. Das „literarische Schaffen“ von Frauen, so Kučera weiter, habe damals „auf den ersten Blick völlig andere Impulse und Ziele“ gehabt, als das ihrer Kollegen. So fehle der Literatur der (genannten) Frauen jene „starke Konzentration auf sprachliche Kreativität“, die für schreibende Männer „charakteristisch“ sei. Dennoch seien die Schriftstellerinnen „nicht völlig abgeschnitten von den Bemühungen der Männer“ gewesen.

In zwei weiteren Artikeln werden noch zwei Autorinnen vorgestellt, die nicht eben zu Kafkas Nachgeborenen zählen, aber doch erst nach dessen Ableben als Autorinnen das Licht der Öffentlichkeit betraten. Zum einen ist dies Lenka Reinerová, die einmal als Mitarbeiterin der Arbeiter-Illustrierten-Zeitung auftritt und sodann als Autorin, die Kafka in ihrem Werk würdigte. Bei der anderen handelt es sich um Libuše Moníková, deren literarisches Schaffen von Dana Pfeiferová und Marketá Balcarová auf je unterschiedliche Weise mit Kafka verbunden wird.

Ungeachtet der in der Einleitung angekündigten Funktionalisierung der Schriftstellerinnen zum Zwecke der Kafka-Forschung fördern mehrere Beiträge des Bandes Unbekanntes über die im Titel als Kafkas Schwestern vorgestelltenAutorinnen und ihr Schaffen zu Tage. Dies gilt namentlich für die bis dato völlig unbekannte Malvine Schick Rosenberger. Doch ist auch der Beitrag von Lucyna Darowska positiv hervorzuheben. Ebenso wie die Aufsätze über Susman und Jensenská zählen sie zu den interessantesten Beiträgen des, vielleicht mit Ausnahme von Kučeras Text, insgesamt durchaus lesenswerten Bandes.

Titelbild

Bettina Bannasch / Markéta Balcarová: Kafkas Schwestern. schreibende Frauen aus dem Umfeld Franz Kafkas und des Prager Kreises.
Königshausen & Neumann, Würzburg 2025.
283 Seiten, 44,00 EUR.
ISBN-13: 9783826089909

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch