Konventionell unkonventionell
„Müll“ von Wolf Haas ist nun auch als Taschenbuch erschienen – ein typischer Brenner-Krimi, was schön und schade zugleich ist
Von Jana Behrends
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWolf Haas hat sich seit den Neunzigerjahren mit seinen Brenner-Krimis eine große Fangemeinde erschrieben. Unter seinen Leser:innen sind Wendungen wie „Jetzt ist schon wieder was passiert“, oder „Frage nicht“ stehende Begriffe geworden. Und auch sein letzter Roman Müll, vergangenes Frühjahr zuerst im Hardcover und nun auch als Taschenbuch erschienen, reiht sich hier ein: Der Roman sprang sofort auf die Bestsellerlisten und auch die Kritik war begeistert. Von „Wolfhaasisch“ war etwa in der „Zeit“ die Rede, von einem „Krimi-Meisterstück“ in der Berliner Morgenpost.
Und es ist kein Wunder, dass der Roman so erfolgreich war und ist. Denn Müll ist wieder ein klassischer Brenner geworden: Launiger Erzähler, unvollständige Sätze, Wiener Schmäh, seitenlange Abschweifungen und der typische Haas-Ton, den man als Leser:in sofort erkennt. Das ist schön und macht Spaß, auch wenn die Geschichte manchmal ein bisschen vor sich hinstolpert. Auf einem Wiener „Mistplatz“ , auf hochdeutsch: Recyclinghof, finden die Mitarbeiter mehrere Leichenteile in den Wannen – und dann nicht einmal korrekt einsortiert. Unter ihnen ist die Hauptfigur Simon Brenner. Erfahrene „Brenner“-Leser:innen wissen: Der ehemalige Polizist kann gar nicht anders, als selbst in die Ermittlungen einzusteigen und über zahlreiche Umwege den Fall aufzuklären. Diesmal sorgen unter anderem die Frau eines Schönheitschirurgen und ein Praktikant für die typischen Wendungen. Mehr soll hier nicht verraten werden – ist ja immer noch ein Krimi.
Es geht um Mord, dann doch nicht, um Organhandel im deutsch-österreichischen Grenzgebiet und um das sensible Thema Widerspruchslösung und die Frage, was mit den Organen nach dem Tod geschieht. Denn während in Deutschland explizit einer Entnahme nach dem Tod zugestimmt werden muss, ist das Thema in weiten Teilen Europas anders geregelt. Hier muss man widersprechen, wenn man einer Entnahme nicht zustimmt:
Dadurch, dass wir an der Grenze daheim sind, gibt es natürlich ein ewiges Hin und Her mit der Zustimmungsregelung. Ist der jetzt auf der Seite gestorben, oder ist der auf der anderen Seite gestorben. Auf der deutschen Seite musst du zustimmen, einen Kilometer weiter musst du widersprechen. Am Anfang von der langen S-Kurve müssen sie dich noch fragen, und am Ausgang der Kurve gehörst du ihnen. Verrückt im Prinzip.
Haas beherrscht auch hier wieder die Kunst, mit wenigen Worten viele Details zu zeigen – etwa in der Beschreibung eines Transportunternehmers, der wegen seiner Liebe zur „effizienten Stauraumnutzung“ nur mehr Tetris auf dem Handy daddeln kann. Oder die Langeweile während einer Observation, die in der Beschreibung deutlich öder klingt als im „Tatort“, weil eben nicht nach wenigen Minuten etwas Spannendes passiert:
Gegen Mitternacht ist ihm vorgekommen, er ist verflucht, und er muss jetzt in alle Ewigkeit in dieses hell erleuchtete Fenster schauen und kriegt Zahlen und Warenlisten vorgelesen und Absender und Adressaten, quasi ungeschminktes Menschheitskonzentrat.
Zu Beginn des Romans heißt es: „Ohne die Wiederverwertung wäre die Welt schon längst untergegangen. Und der Kreislauf fängt bei der exakten Trennung an.“ Und leider drängt sich ein bisschen der Eindruck auf, dass auch Haas der Wiederverwertung nicht ganz abgeneigt ist – das Konzept „Brenner-Roman“ funktioniert zwar weiterhin gut, könnte aber gelegentlich ein bisschen Frische verkraften.
Das ist schade, weil Haas in den letzten Jahren spannendere und innovative Literatur veröffentlicht hat, die vor guten Ideen nur so sprudelte. Da waren zum Beispiel der großartige experimentelle Interview-Roman Das Wetter vor 15 Jahren, in dem Leser:innen sich die Handlung nur aus einem fiktiven Interview zwischen dem Autor und der spöttisch „Literaturbeilage“ genannten Interviewerin erschließen mussten. Oder die Verteidigung der Missionarsstellung: Hier experimentierte Haas, ohne sich zu verkünsteln, weiter mit Lesegewohnheiten. Leser:innen fanden etwa bei der Beschreibung eines Paisley-Musters dieses typografisch im Text. Haas verdichtete die Atmosphäre außerdem mit vermeintlichen Lücken, die gar keine waren:
[ZWEI SEITEN LANDSCHAFTSBESCHREIBUNG, BLICK AUS DEM ZUGFENSTER, BLICK IN DEN ZUG, DIE LEUTE, DIE GEPÄCKSTÜCKE, DIE EXOTIK BLABLA EIN BISSCHEN BILDUNGSZEUG UND REISEKLIMBIM. UND NICHT VERGESSEN, WIE DIE ALTE CHINESIN IMMER IM SCHLAF AUFGEBRACHT MURMELND PROTESTIERT, WENN DIE EIGENTÜMERIN IHRER SCHLAFSCHULTER NIESEN ODER SCHNÄUZEN ODER HUSTEN MUSS. UND DAS PROBLEM, SICH IN ASIEN ZU SCHNEUZEN!]
Müll ist dagegen wieder deutlich konventioneller – auch wenn das Jammern auf hohem Niveau ist. Haas freier, lustvoller und vergnügter Umgang mit Sprache färbt auch hier automatisch auf uns Lesende ab. Manche Szenen schreien danach, wieder mit Josef Hader in der Hauptrolle verfilmt zu werden. Und gegen Ende des Romans beschert er uns sogar noch sicher einen der poetischsten Unfälle, die je geschrieben wurden:
Und viel langsamer, als die Zuschauer es von so einem schweren Fahrzeug erwartet hätten, ist der Altglaslaster im See versunken. Und erst nach einer Ewigkeit, wie er ganz vom Wasser verschluckt war, sind die Glasscherben oben über den Rand geschwappt und haben den See überschwemmt mit ihrem Zauberglanz. Und ob du es glaubst oder nicht. Die Leute, die das gesehen haben, sind noch tagelang nicht aus dem Schwärmen herausgekommen, wie der untergehende Walfisch immer mehr und noch mehr von dieser glitzernden Fontäne über den See gegossen hat, in dem sich das Sonnenlicht gebrochen hat, Regenbogen nichts dagegen.
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