Später Ruhm

Mit Antonio di Benedettos „Zama wartet“ sucht ein Meisterwerk seine Leser

Von Michi StrausfeldRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michi Strausfeld

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ich ging aus der Stadt hinaus, flussabwärts, zur einsamen Begegnung mit dem Schiff, auf das ich wartete, ohne zu wissen, wann es kommen würde“. Damit beginnt dieser Roman, der erstmals 1956 in Argentinien publiziert wurde und dessen erstaunliche Modernität auch den heutigen Leser sogleich in Bann zieht. Der Ich-Erzähler Don Diego de Zama lebt seit mehr als einem Jahr in einer kleinen Stadt irgendwo im tropischen Hinterland am Río Paraguay. Seine Frau und die Kinder blieben zurück, denn es sollte nur ein kurzfristiger Aufenthalt sein, bevor er wieder in die ‚Zivilisation‘ zurückkehren würde. Das Geschehen spielt in den Jahren 1790, 1794 und 1799, als die spanischen Kolonialherren die Geschicke im Land bestimmten und alle wichtigen Posten in der Verwaltung an die aus der Heimat entsandten Beamten ging. Zama hatte als criollo, also als in Argentinien geborener Weißer, keine Aufstiegschancen – im Gegenteil bedeutete seine Versetzung eine Rückstufung, ehemalige Verdienste in der friedlichen Bekämpfung feindlicher Indios zählten nicht.

So wartet Zama also auf das Schiff mit Briefen, von der Frau und von der Verwaltung, und die Jahre verstreichen. Während er zunächst noch neugierig diese so fremde Welt kennenlernen möchte, vor allem die Frauen, sich in Liebesabenteuer und erotische Zärtlichkeiten hineinträumt, in Wirklichkeit aber eher schüchtern ist, sich in plötzlichen Aufwallungen aber auch als Draufgänger erweist, verliert er im Laufe der Jahre die festen Vorsätze und zeugt einen Sohn mit einer spanischen Witwe, denn eine Beziehung mit einer Indigenen wäre unter seiner Würde. Er schrieb weitere Gesuche an den König mit der Bitte um Erhöhung des nur unregelmäßig ankommenden und überaus bescheidenen Lohns – und vor allem um die Versetzung, zurück zu seiner Familie. Und wartet, immer vergeblich, wartet verbissen weiter.

Schließlich, wiederum Jahre später, möchte er einen letzten Versuch wagen, um seine Versetzung zu erzwingen und meldet sich freiwillig, um einen gefürchteten Banditen und seine Bande gefangen zu nehmen. Dafür muss er sich in das feindliche Gebiet der indigenen Stämme begeben … in eine gänzlich fremde und unbekannte Welt eintauchen. Mit einem Trupp Soldaten macht er sich auf den Weg, untersteht aber den Befehlen des Regimentskommandeurs, in seinen Augen eine Kränkung. Schon bald erweist er sich als hilflos angesichts der Herausforderungen der Natur, denen er nicht gewachsen ist, kann das Pferd nicht bändigen, das von einer Schlange angegriffen wird, weiß nicht, wie er die Indigenen behandeln soll, verliert sich zwischen Wahnvorstellungen und Wünschen, je weiter der schrumpfende Söldnertrupp vorrückt. Und seine Ängste steigern sich, als der gesuchte Bandit in der eigenen Gruppe auftaucht, er sich an den gesuchten Unbekannten aus früheren Zeiten erinnert. Was tun? 

Dieser Roman, der zum ersten Mal 1967 auf Deutsch publiziert wurde, zum zweiten Mal in einer überarbeiteten Übersetzung 2009, erhält nun eine dritte Chance, als Meisterwerk wahrgenommen zu werden. Sicher helfen das exzellente Nachwort von J.M.Coetzee und  die überschwänglichen Rezensionen in den USA nach der Erstübersetzung 2016, sicher hilft auch die großartige und mit vielen Preisen ausgezeichnete Verfilmung von Lucrecia Martel 2017, die der Buchvorlage mehr als gerecht wird. 

Der Autor (1922–1986) hätte sich darüber gerne gefreut. Sein Schicksal war bedrückend, denn die Militärdiktatur hatte ihn bald nach der Machtübernahme 18 Monate lang grundlos inhaftiert und gefoltert. Auf Druck von ausländischen Schriftstellerkollegen konnte er nach Spanien emigrieren, aber dort erging es ihm wie seinem Protagonisten: er wartete auf prekäre Auftragsarbeiten, um höchst bescheiden überleben zu können, er wartete auf Anerkennung, auf Hilfe, auf Geld, auf die Möglichkeit einer Rückkehr, war un alma en pena, wie man Spanisch sagen würde. Als er nach dem Sturz der Diktatur 1983 in seine Heimatstadt Mendoza zurückkehren konnte, war er ein zutiefst verstörter, gebrochener Mann.

Seit seinem Tod ist sein Ruhm kontinuierlich gewachsen. Kollegen wie Borges und Cortázar hatten ihn und seine Romane und Erzählungen früh gelobt, aber seine Werke waren thematisch so überraschend modern (man verlieh ihnen das Etikett „existentialistisch“), dass sie nicht in die damalige Zeit passten. Viele Kritiker sagen, sie seien für spätere Generationen geschrieben worden. Nach der Lektüre von Zama wartet, die auch sprachlich betört, werden hoffentlich viele Leser sogleich verstehen, dass Autor und Werk einen Platz im Pantheon universaler Meisterwerke verdienen.

Titelbild

Antonio Di Benedetto: Zama wartet. Roman.
Aus dem argentinischen Spanisch von Maria Bamberg.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2021.
254 Seiten , 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783803133335

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