Der Unterschied zwischen Verbrechern und Millionären

Clemens Bergers philosophischer Roman regt zum Nachdenken an – über Freiheit, Geld und Pandas

Von Christina DittmerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Dittmer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Pia und Julian arbeiten bei einer Sicherheitsfirma und befüllen jede Nacht Geldautomaten in Wien. Außerdem sind sie chronisch pleite. Wie die in Im Jahr des Panda erzählte Geschichte weitergeht, liegt auf der Hand. Bevor die zwei mit dem Geld aus der Stadt flüchten, drückt Pia wahllos Passanten 500-Euroscheine in die Hand. Einer davon ist zufällig Kasimir Ab, ein steinreicher Künstler, der es ziemlich skurril findet, dass Menschen hunderttausende Euros für seine Bilder ausgeben. Er ist fasziniert von Händen, malt diejenigen seiner Psychologin, seiner Geliebten oder von Pia, als sie den Sicherheitskameras den Mittelfinger zeigt. Kasimirs aktuell größtes Problem: Ein Japaner, der sich nach seinem bevorstehenden Tod mit dem von ihm erworbenen „Mädchenhänden mit Radiergummis“ verbrennen lassen will. Letzteres will der Künstler unbedingt verhindern, Geld hat er genug. Der alte Mann leider auch.

Ein Gegenpol zu Kasimir ist der sogenannte „Unbekannte Künstler“, der nachts auf Scopolamin in Wien sein Unwesen treibt. Die Droge, die in den 1950er-Jahren als Wahrheitsserum eingesetzt wurde, inspiriert ihn zu Guerilla-Kunstaktionen in der Stadt, an die er sich nach dem Rausch kaum mehr erinnern kann. Die Bekannteste tauft die Presse „500-Euroschein (mit Hund)“. Der Hund hebt sein Bein auf dem Graffiti gegen den überdimensionalen Schein – ist das antikapitalistischer Abscheu oder markiert er hier sein Revier?

Pia und Julian haben inzwischen den Süden erreicht, sie verständigen sich mit schlechtem Englisch und brüchigem Italienisch, streiten sich, vertragen sich und werden von der Polizei angehalten, weil sie auf der Fahrt einen Joint rauchen – während der Kofferraum voll von gestohlenem Geld ist. Schließlich versuchen sie in Neapel unterzutauchen, weil man das dort eben am besten kann. Pia wird unterdessen mit antikapitalistischen Sprüchen zur Facebook-Berühmtheit und von der linken Szene gefeiert, schließlich hat sie ja nichts Böses getan – nur die Bank bestohlen und keine Menschen. Einer ihrer größten Bewunderer ist ausgerechnet Kasimir Ab; Pia wiederum bewundert die Aktionen des Unbekannten Künstlers.

Der dritte Erzählstrang handelt von Rita, einer einsamen Tierpflegerin, die nicht verstehen kann, warum Menschen Pandas mögen. Das ändert sich abrupt, als Pandaweibchen Fu Mao im Zoo ein Junges bekommt und ausgerechnet ihr als einziger Pflegerin erlaubt, das Kleine zu berühren. Fortan setzt sich Ritas Geschichte in Form von Tagebucheinträgen aus der Sicht des Pandababys Fi Fo fort, das über seinen ersten Bambus berichtet und sich beschwert, dass sein Pandavater sich nicht um es kümmert. Auch denkt es über Ritas Tochter nach, mit der die Tierpflegerin keinen Kontakt mehr hat, worunter sie sehr leidet.

Die Tagebucheinträge sind eine Schwäche des Romans, denn sie sind schlichtweg zu lang und die Themen wiederholen sich, sodass man in Versuchung gerät, die Seiten nur zu überfliegen. Trotzdem liefern sie zuweilen neue Denkansätze, so beispielsweise wenn Fi Fo darüber nachdenkt, einen Zoo zu gründen, um Menschen aus verschiedenen Ländern hineinzusperren, damit Pandas sie sich anschauen können. Allerdings, so schlussfolgert Ghostwriterin Rita für das Pandababy, wäre dieser Zoo kein großer Renner, dafür wären Menschen den Pandas einfach zu egal.

Was unterscheidet eigentlich Kasimir und den Unbekannten Künstler voneinander? Warum ist Kasimir besessen von Händen, trägt aber selbst immer Handschuhe? Was haben Pandas mit den österreichisch-chinesischen Beziehungen zu tun? Wie verändert das Geld Pia und Julian? Und wann geht es ihnen aus? Wie sind all diese Figuren miteinander verbunden? Die Antworten auf (fast) alle dieser Fragen erfahren die Leser durch vieleüberraschende Wendungen und Hinweise erst im Laufe des Romans. Die Figurendarstellung ist dem Autor sehr gelungen. Die Protagonisten haben jeweils ihre individuellen Denkweisen, Vorzüge und Schwächen, wenn auch Pia manchmal ein wenig zu perfekt wirkt, was nicht zuletzt auch Julian bemerkt und an seiner Mittelmäßigkeit zu leiden beginnt.

Im Jahr des Panda ist ein philosophischer Roman und stellt die Frage, ob Geld tatsächlich Freiheit bedeutet oder vielmehr das Gegenteil: „Scheiß Geld.“ – „Nicht das Geld, Julian. Das ist nicht das Problem. Die Frage ist, was man damit anstellt.“

Um Freiheit geht es auch in der Pandageschichte, schließlich ist ein Zoo auch eine Art Gefängnis für Tiere. Zwar haben die Tiere dort ein eindeutig friedlicheres und entbehrungsärmeres Leben und werden auch viel älter als in der Freiheit, aber ist es das wert, dafür das ganze Leben lang auf beengtem Raum zur Schau gestellt zu werden? Der Panda selbst kann nicht antworten, das tut Rita für ihn, die ihre Gedanken mit den hypothetischen des Pandas vermischt.

Die erste Hälfte des Romans ist temporeich, spannend und mit Witz erzählt, während die zweite qualitativ etwas abfällt. Die Handlungen der Figuren werden teilweise weniger nachvollziehbar und zu oft widerholen sich einzelne Gedankengänge der Protagonisten. Dazu kommt das ermüdende Pandatagebuch mit Fi Fos detaillierten Beschreibungen des monotonen Lebens im Zoo. Durch die verschiedenen Erzählstränge hat das Buch nicht ein Ende, sondern viele verschiedene, die mehr oder weniger offenbleiben. Im Jahr des Panda ist durchaus ein anspruchsvolles Buch, das zum Nachdenken anregt. Ein wenig Geduld ist beim Lesen jedoch angebracht.

Titelbild

Clemens Berger: Im Jahr des Panda. Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2016.
672 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783630875316

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