Besuch vom lieben Wolf

In Sofia Coppolas „Die Verführten“ stört ein Soldat die betuliche Ruhe eines Mädchenpensionats

Von Dominik RoseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dominik Rose

Es beginnt wie in einem Märchen: Ein junges Mädchen – zwar ohne rotes Käppchen, dafür mit adretten schwarzen Zöpfen, einer weißen Schürze und einem Korb in der Hand – schlendert ein Liedchen summend durch den Wald, um Pilze zu sammeln. Wir befinden uns im Virginia des Jahres 1864, dem dritten Jahr des amerikanischen Bürgerkriegs, wie ein kunstvoller Schriftzug den Zuschauer informiert. Im Hintergrund sind Kanonenschüsse zu hören, was der idyllischen Szenerie eine bedrohliche Note verleiht. Und tatsächlich, im Dickicht lauert die Gefahr – zwar nicht in Gestalt des bösen Wolfs, dafür in der feindlichen blauen Uniform der Nordstaaten: Corporal John McBurney (Colin Farrell), im Kampf schwer verwundet, erschrickt die kleine Miss Amy (Oona Laurence) fast zu Tode, gewinnt jedoch mit seinem einnehmenden Wesen rasch ihr Vertrauen, sodass sie ihn in das angrenzende „Pensionat für junge Damen“ bringt, ein prachtvolles Plantagen-Anwesen, in dem Schulleiterin Martha Farnsworth (Nicole Kidman) und Lehrerin Edwina (Kirsten Dunst) die verbliebenen fünf Schülerinnen in Schönschrift, Stickerei und französischer Deklination unterweisen. Entgegen der offiziellen Anweisung, einen feindlichen Soldaten sofort den eigenen Truppen zu übergeben, entschließt man sich dazu, den Verwundeten erst einmal dazubehalten und zu pflegen – ausliefern kann man ihn ja später noch. Mit der Ruhe ist es jedoch bald schon vorbei.

Sofia Coppolas neues Werk, das auf einer Gothic Novel von Thomas Cullinan basiert und bereits 1971 von Don Siegel mit Clint Eastwood in der Hauptrolle verfilmt wurde, greift ein prägendes Motiv ihrer früheren Filme auf: die Einsamkeit und Isolation weiblicher Hauptfiguren aus zumeist privilegierten Kreisen – etwa die in einem Tokioer Luxushotel gestrandete Charlotte (Scarlett Johansson) in Lost in Translation oder Kirsten Dunst als genusssüchtige Marie Antoinette im gleichnamigen Film über die französische Königin. Insbesondere der Vergleich zu The Virgin Suicides, Coppolas Regiedebüt über fünf Schwestern, die von ihren überbehütenden Eltern in einem Vorstadtheim vor den (sexuellen) Verlockungen der Außenwelt weggesperrt werden, liegt nahe. Die Außenwelt, das ist in Die Verführten der Bürgerkrieg, der bis auf ein paar vorbeiziehende oder an der Tür klopfende konföderierte Soldaten und das ferne Kanonengrollen, das den Außenszenen wie ein düsterer Gruß aus einer anderen Welt unterlegt ist, eher eine Randnotiz bleibt. Das jene Zeit sozialpolitisch beherrschende Thema der Sklaverei spielt gar keine Rolle, was dem Film in den USA einige Kritik eingebracht hat. Die Sklavin Hallie, die in Cullinans Romanvorlage und der Don Siegel-Adaption noch für den Haushalt hatte sorgen müssen, ist in der Neuverfilmung verschwunden und hat eine vornehme weiße Damengesellschaft zurückgelassen.

Und der geht es den Umständen zum Trotz erstaunlich gut. Eine solidarische Gemeinschaft, der es an nichts zu fehlen scheint und die den Tag mit Schulunterricht und gelegentlicher Gartenarbeit verbringt, inmitten majestätischer Südstaateneichen, durch deren Blätter die Sonnenstrahlen malerisch funkeln. Sofia Coppola übertreibt es allerdings ein wenig mit der Natursymbolik, denn die üppig wuchernde Natur, die in unzähligen, kunstfertigen Einstellungen ins rechte Licht gerückt wird, steht natürlich symbolhaft für die unter der strengen Südstaatenetikette lodernde Sexualität der Bewohnerinnen. Sehr gekonnt hingegen zeichnet der Film die innere Dynamik, die im vormals reinen Frauenhaushalt mit der Ankunft des Soldaten ihren Lauf nimmt. Die schwermütige Edwina verfällt dem listig-charmanten McBurney nahezu widerstandslos, während die frühreife Alicia (Elle Fanning) auf die Verführungsreize der Jugend setzt. Selbst Schulleiterin Miss Martha, von Nicole Kidman mit hoheitsvoller Strenge gespielt, wird sich angesichts der männlichen Präsenz im Haus ihrer sinnlichen Entbehrungen bewusst. Eine gewisse Spannung gewinnt der Film durch die Unentschiedenheit seiner sozialen Versuchsanordnung: Ist McBurney der Gefangene der Frauen oder ihr Erretter? Ist er tatsächlich so einfühlsam, wie er tut, oder doch eher berechnend? Wird er am Ende ausgeliefert oder geheiratet?

Die Verführten überzeugt vor allem mit seinen elegant komponierten Bildern, den geschmackvollen Kostümen (kein Vergleich zu den sackähnlichen Kleidern, die Don Siegel seinen Darstellerinnen in der früheren Verfilmung übergeworfen hat) und der feinen Beobachtungsgabe seiner Regisseurin. Allerdings ist insbesondere die erste Hälfte zu schleppend erzählt. Bei allem ästhetischen Bilderzauber mangelt es dem Film an Substanz und Dramatik. Das hängt vielleicht – neben dem weitgehenden Ausklammern der historischen Bezüge – auch damit zusammen, dass die Rolle McBurneys, von Colin Farrell als süßholzraspelnder Charmeur angelegt, gerade im Vergleich zum zynisch-draufgängerischen Eastwood viel zu zahm rüberkommt. Umso erstaunlicher wirkt dann – nach einer dramatischen Eskalation (Seitensprung, Treppensturz, Amputation) – seine schlagartige Verwandlung in einen krakeelenden Wüterich, der die Weinvorräte plündert, die Frauen bedroht und den Kronleuchter von der Decke schießt. Plötzlich verwandelt sich die kunstvoll-gediegene Sittenstudie in eine tiefschwarze Rachestory, ganz so, als sei Coppola ganz spät bewusst geworden, dass ihr der Rest des Films doch zu harmlos geraten ist.

Die Verführten
Originaltitel: The Beguiled
USA 2017
Regie: Sofia Coppola
Buch: Sofia Coppola nach dem Roman von Thomas Cullinan
Darsteller: Nicole Kidman, Kirsten Dunst, Colin Farrell, Elle Fanning, Oona Laurence
Produktion: American Zoetrope, FR Productions
Verleih: Universal Pictures
Länge: 93 Minuten
FSK: ab 12 Jahren
Kinostart: 29. Juni 2017

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