Eine Mordlustige Saatkrähe

Mit „Krähentod“ schreibt Katja Bohnet einen spannenden, kurzweiligen Thriller mit solidem Plot und holprigem Stil

Von Florian DelvoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Florian Delvo

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Krähentod ist der dritte Teil Katja Bohnets Thriller Reihe mit den LKA Ermittlern Rosa Lopez und Viktor Saizew. Fans der Serie werden sich freuen, lieb gewonnene Figuren wiederzutreffen und in nostalgische Erinnerungen an die Vorgänger abzudriften. Aber keine Angst: Krähentod setzt kein Vorwissen voraus. Neue LeserInnen können beruhigt mit dem dritten Teil in die Reihe einsteigen. Aber lohnt sich der Einstieg überhaupt?

Bohnet-AnhängerInnen wissen bereits, was sie erwartet. Genrefans, die neu in die Welt des Berliner Ermittlerduos eintauchen, können sich auf einen Thriller freuen, der mit den Romanen von Genre-Größen wie Sebastian Fitzek in einer Liga spielt. Viktor Saizew will und braucht Urlaub vom turbulenten Alltag im Berliner LKA, weswegen er in sein Heimatland Russland reist. Doch kaum ist er am Moskauer Flughafen angekommen, wird er direkter Zeuge eines Mordes, der ihn in einen Fall verwickeln und ihm die verdiente Ruhe verwehren wird. Die Tatwaffe erkennt Viktor sofort: Eine Jarygin PJa, Dienstwaffe der russischen Streitkräfte und Polizei mit dem Spitznamen „Saatkrähe“. 

In Berlin wird kurz darauf eine russische Journalistin auf offener Straße mit einer Pistole des selben Typs erschossen. Durch diesen Mord wird Viktors ehemalige Partnerin Rosa Lopez aktiviert, die sich eigentlich aus dem LKA zurückgezogen hat, um sich um ihr Baby und ihre Ehe zu kümmern. Es stellt sich schnell heraus, dass die beiden Morde mehr miteinander verknüpft als die Tatwaffe. Von da an entspinnt sich eine Verschwörung aus Intrigen, Morden und Liebschaften, die bis in die höchste Ebene der russischen Regierung und Gesellschaft reichen.

Die Stärke des Romans liegt im Plot und der Story, die spannend und flott erzählt wird. Die einzelnen Szenen des Romans werden in einem filmischen Stil inszeniert, in denen Katja Bohnet als studierte Filmwissenschaftlerin durchschimmert. Dadurch liest sich Krähentod wie ein Blockbuster Action-Thriller. Die stringente Präsentation des Plots wird durch das Leitbild der „Saatkrähe“ zusammengebunden, die darüberhinaus auch die Figuren miteinander verknüpft. Dieser rote Faden ist es auch, der dem Thriller seinen Titel verleiht. Eigentlich hat Katja Bohnet damit exquisite Zutaten für einen Genre-Hit gesammelt.

Allerdings mischt sie ihrem Thriller Elemente bei, die ihn verwässern. Der größte Kritikpunkt an Krähentod besteht darin, dass die Figuren unglaubwürdig etabliert werden. Alles, was in ihren Köpfen vorgeht, wird im Detail auserzählt und vorgekaut. So wirken ihre Gedanken und Aussagen oft konstruiert. Noch schlimmer ist es, dass den LeserInnen jegliche Arbeit abgenommen wird. Nichts muss man sich selbst erschließen, es gibt keine Deutungsoffenheit, keinen Ansatzpunkt, um tiefer in die Handlung und Figuren einzutauchen. Die Erzählung rauscht an einem vorbei wie ein Blockbuster Action-Thriller, den man zum zweiten Mal um Viertel nach Acht im Fernsehen sieht. Ein weiterer Aspekt raubt den Figuren noch mehr Kredibilität. Sämtliche Haupt- und Nebenfiguren in Krähentod haben eine krasse und tragische Biografie. Sie sind selbstmordgefährdet, sie wurden vergewaltigt, sie durchlebten eine schwere Kindheit, sie leiden an Krebs, sie machen Scheidungen durch, sie haben Burnout, sie mussten Fehlgeburten verkraften oder ihre Eltern wurden ermordet. Diese Leidensflut wirkt derart überwältigend, dass man sich schnell daran gewöhnt und abstumpft. Die Schicksale der Hauptfiguren büßen an Tragik ein und es wird ihnen die Fallhöhe genommen. Als Resultat rutscht die Erzählung in eine ignorante Oberflächlichkeit ab, nur um möglichst viele Schockmomente anzuhäufen. Dadurch fühlt sich Krähentod stellenweise wie Katastrophentourismus an.

Ebenso oberflächlich werden auch gegenwärtige Themen in Stammtischmanier abgefrühstückt. Es braucht keinen Thriller, um uns darauf aufmerksam zu machen und zu diskutieren, dass SUVs angeberische Umweltmonster sind, dass Frauen und Mütter in der Arbeitswelt immer noch nicht gleichberechtigt sind oder dass Medienkonzerne die Wahrheit manipulieren und fast mächtiger als die Politik sein können. Besonders wenn diese Themen mit Sätzen wie „Gab es eine digitale Wahrheit?“ abgehandelt werden, denen es gänzlich an Subtilität und Tiefgang mangelt. In solche intellektuelle Ergüsse reihen sich auch Sätze wie: „Mit weit aufgerissenen Augen sah sie Lopez an. Weil Erkenntnis Augen öffnete.“ Das tut so weh, dass man das Buch öfters Mal weglegen muss, um sich zu erholen.

Peinlich wird es, wenn Bohnet immer wieder Bezüge zu Meilensteinen der Literaturgeschichte herstellt. Von der antiken Tragödie inspiriert baut sie beispielsweise einen Chor in die Erzählung ein, der aus zwei mysteriösen betrunkenen Obdachlosen besteht. Diese kommentieren ab und zu die Handlung und prophezeien weitere Entwicklungen. Dazu gesellen sich andere plumpe Referenzen zu Literaturklassikern wie zum Beispiel Antigone. Diese Elemente wirken deplatziert und versuchen sich erfolglos einem Publikum anzubiedern, das sich für intellektuell hält. Will sich Katja Bohnet damit über LeserInnen lustig machen, für die eine Kategorie der „hohen Literatur“ existiert, oder versucht sie vergeblich, aus der Genreliteratur auszubrechen? Der Roman versagt bei beiden Vorhaben.

Auch wenn der Plot von Krähentod eigentlich stark ist, so schwächelt er doch in einem Aspekt. Im Endspurt hat es Bohnet zu eilig und schließt den Roman überhastet ab. Handlungsstränge werden unbefriedigend zu Ende geführt und abstruse Zufälle häufen sich, die sogar die Täter stoppen. Die Ereignisse überschlagen sich und rutschen in die Unglaubwürdigkeit ab. 

Schlussendlich ist es trotzdem möglich, mit Krähentod Spaß zu haben. Dank der soliden Plot-Grundlage kann man die Schwachstellen des Romans ignorieren und über das mittelmäßige Ende hinwegsehen. Immerhin gibt es noch einen vierten Teil der Reihe, der darüber hinwegtrösten kann. Lässt man sich also auf diese Kompromisse ein und hat Lust auf das Genre, bekommt man einen spannenden, kurzweiligen Thriller geboten.

Anmerkung der Redaktion: Die Rezension gehört zu den studentischen Beiträgen, die im Rahmen eines Lehrprojekts im Sommersemester 2021 entstanden sind und gesammelt in der Septemberausgabe 2021 erscheinen.

Titelbild

Katja Bohnet: Krähentod. Thriller.
Knaur Taschenbuch Verlag, München 2019.
397 Seiten, 14,99 EUR.
ISBN-13: 9783426522325

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch