Vom besten Staate

Zu Bernard Bolzanos wichtigstem Vermächtnis

Von Diogo Campos SasdelliRSS-Newsfeed neuer Artikel von Diogo Campos Sasdelli

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Büchlein vom besten Staate ist Bernard Bolzanos (1781-1848) wenig bekannte utopische Schrift. Der Philosoph aus Prag ist heutzutage vor allem wegen seiner Beiträge zur Logik und zur Mathematik bzw. wegen seiner Wissenschaftslehre bekannt. Umso bemerkenswerter, dass er selbst das Büchlein als das „beste, wichtigste Vermächtnis, das er der Menschheit zu hinterlassen vermag“, betrachtete. Ganz im Sinne der utopischen Tradition enthält das Büchlein Vorschläge für bessere bzw. vernünftigere Staatseinrichtungen, unter welchen die Menschen allgemein glücklicher leben könnten: Im Mittelpunkt stehen also nicht die Menschen  oder die Menschennatur, sondern deren politische Einrichtungen. Wie auch in Rousseaus Gesellschaftsvertrag werden die Menschen betrachtet, wie sie sind. Die Gesetze und die Staatseinrichtungen werden hingegen betrachtet, wie sie sein können bzw. sollen. 

Bolzanos Utopie weist viele interessante Besonderheiten auf, wie etwa den allgemein moderaten und kritikoffenen Tonfall, in dem die Gedanken dargestellt werden. Noch heutzutage beachtenswert sind vor allem seine Vorschläge zur Gleichheit zwischen Frau und Mann, zu intergenerationeller Gerechtigkeit und zu einem vernünftigeren Umgang mit Naturressourcen. Wie es aber bei utopischen Schriften nicht selten der Fall ist, lassen sich auch Bolzanos Ideen nicht vom damaligen Kontext trennen: Die meisten von ihm vorgeschlagenen Staatseinrichtungen beziehen sich auf gesellschaftliche Probleme und Herausforderungen, die es größtenteils längst nicht mehr gibt. Bemerkenswerterweise scheint unser Staatsmodell – der liberale, demokratische Rechtsstaat – in vielerlei Hinsicht besser zu sein als der bestmögliche Staat, den sich Bolzano zu seiner Zeit vorstellte. 

Insgesamt ist das Büchlein in 28 Abschnitte unterteilt, in welchen ganz verschiedene Aspekte des Lebens im besten Staate bzw. dessen Einrichtungen dargestellt werden – von Bestimmungen bezüglich der Staatsbürgerschaft bis zum Tod. Die im Büchlein dargestellte Utopie ist universalistischer Natur und geht über die Vorstellung des Nationalstaats hinaus. Bürger vom besten Staate soll etwa jeder Mensch sein dürfen, der als solcher anerkannt werden möchte und die Gesetze des Staats entsprechend beachtet. Sollte es nicht möglich sein, dass die ganze Menschheit unter einem einzigen Weltstaat vereinigt wird, so sollte zumindest ein Weltbund von Staaten errichtet werden. Ferner unterstützt Bolzano eine föderalistische, dezentralisierte Staatsstruktur, die etwa aus Gemeinden, Kreisen, Ländern usw. bestehen soll. 

Typisch für die utopische Tradition ist außerdem eine scharfe Kritik des Rechts auf Eigentum. Bolzano fordert zwar keine vollständige Abschaffung, setzt allerdings strenge Grenzen für die Ausübung des Eigentumsrechts fest. So dürften gewisse Güter wie etwa Bücher aufgrund der Gemeinnützigkeit nicht privat, sondern ausschließlich vom Staat besessen werden. Darüber hinaus müsste der beste Staat dafür sorgen, dass keine allzu große materielle Ungleichheit unter den Bürgern entsteht. So darf man in Bolzanos Utopie z.B. das eigene Eigentum ohne Genehmigung nicht beliebig verschenken. Erbschaftsrechte werden dementsprechend auch nicht anerkannt.

Wie auch bei anderen Utopien sind viele der Vorschläge Bolzanos von unserer heutigen Vorstellung einer freiheitlichen Rechtsordnung sehr weit entfernt und ähneln nach heutigem Verständnis vielmehr einem totalitären Staat: Im besten Staat Bolzanos gibt es Bestimmungen etwa zu den Freizeitaktivitäten oder zur Bekleidung der Bürger. Aus welchem Grund auch immer hält er die dramatischen Künste für einen „Verstoß gegen den guten Geschmack“. Jährlich soll ferner in jeder Gemeinde eine Art Sittengericht veranstaltet werden, bei welchem jeder Bürger aufgefordert wird, ein Urteil über seine Mitbürger abzugeben, etwa darüber, womit sie sich beschäftigt und wie sie gelebt haben.

An sich können von einer Lektüre insbesondere Studenten der Philosophie und der Politikwissenschaften profitieren, die sich für utopische Schriften interessieren. Leider enthält diese Ausgabe ungewöhnlich viele Druck- und Tippfehler, beispielsweise sind mehrere Abschnittangaben auf den entsprechenden Kopfzeilen falsch. In dieser Hinsicht wäre es zu wünschen, dass die Herausgeber bzw. der Verlag die Mängel alsbaldig korrigieren, da sie (auch ihrer Anzahl wegen) weder der Würde des Autors noch dem Ruf des Verlags entsprechen.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Bernard Bolzano: Vom besten Staat.
Hg. von Kurt F. Strasser. Philosophische Bibliothek 732.
Felix Meiner Verlag, Hamburg 2019.
178 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783787337101

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