Im Jammertal
Mirko Bonnés Roman „Lichter als der Tag“ erzählt von einem verpassten Leben
Von Simone Sauer-Kretschmer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseMirko Bonnés Roman Lichter als der Tag beginnt mit der Schilderung einer ganz besonderen Stimmung, erzeugt durch Licht. Der Erzähler erinnert sich an Szenen seiner Jugend, die in ein Licht getaucht waren, das er an wenigen glücklichen Tagen in der Halle des Hamburger Hauptbahnhofs wiederfindet. Das Licht erscheint plötzlich und zufällig und ebenso ergeht es Raimund Merz, so der Name der Hauptfigur, scheinbar mit allem, was in seinem Leben vor sich geht. Merz’ Leben passiert, wird für ihn gelenkt und von anderen entschieden.
Merz gerät in einen Flashmob, der die Zeit kurz anhält: Im Bahnhof, dem Ort ständiger Bewegung, voll von lauten Geräuschen, Hektik und Eile, ist es mit einem Mal ganz ruhig, denn die Menschen um Raimund herum stehen still. Kinder, Jugendliche und Erwachsene, sie alle verharren wie Statuen; nur die Ahnungslosen, die nicht begreifen, dass hier gerade etwas vor sich geht, stürmen weiter. Ausgerechnet in diesem sowieso schon surrealen Moment sieht Raimund sie: Inger, im Mohnblumenkleid, immer noch so schön wie damals und – der Leser ahnt es sofort – auch immer noch Raimunds große Liebe und Teil seiner Lebenslüge. Denn Inger hat damals nicht Raimund, den schwärmerischen Idealisten, sondern den weitaus lebenspraktischeren Moritz geheiratet, der noch dazu Raimunds bester Freund war.
Um das Wahlverwandtschaften-Setting perfekt zu machen, fehlt noch eine Vierte im Bunde, die mit Raimunds Ehefrau Floriane gefunden ist. Die Ehe von Raimund und Floriane wird schnell als Fassade entlarvt und es ist klar, dass für Raimund endlich die Zeit gekommen ist, jahrelang überfällige Entscheidungen zu treffen. Er versucht, sich aus einem Leben zu befreien, das er nie gewollt und das eigentlich auch nie zu ihm gepasst hat. Folglich begibt er sich auf die Suche nach dem Mann, der er ursprünglich mal werden wollte und zu dem natürlich Inger und nicht Floriane gehört.
Das ist die Rahmenhandlung des Romans, der mit so vielversprechenden Bildern und Assoziationen beginnt, dann aber rasant abflaut und eine nur mäßig interessante Geschichte erzählt, die einem außerdem noch aus unzähligen ähnlichen Romanen bekannt vorkommt. Raimund Merz, seine Vorgeschichte und sein Verlangen sind so vorhersehbar, dass man sich manchmal fragt, welche subtilen Wendungen man überlesen haben könnte, da das doch wohl nicht alles gewesen sein kann. Merz will Inger, die Malerin, mit der ihn verbindet, dass sie das Licht sehen kann, während Floriane nur dem beruflichen Erfolg hinterherjagt und vom Ehrgeiz und ständigen Kampf ganz verbittert erscheint. Was der Erzähler dabei vergisst ist, dass Merz ja nicht gezwungen wurde, mit Floriane verheiratet zu sein und auch nicht dazu, es zu bleiben.
Ein womöglich falsch gelebtes Leben kann man unterschiedlich intensiv bedauern, aber Raimund Merz jammert einfach zu viel und das ist in der Summe schwer zu ertragen. Besonders, weil er dabei einer Frau, nämlich seiner, die die Rechnungen bezahlt, dafür die Schuld zuweist. Gut und Böse, Schön und Hässlich sind hier so klar und stereotyp verteilt, dass es beinahe seltsam anmutet. Am Ende nimmt der Roman noch einmal Fahrt auf und auch Raimund Merz ist aus seinem Dornröschenschlaf erwacht. Das stimmt versöhnlich, tröstet aber nicht darüber hinweg, wie der Leser dorthin gekommen ist.
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