„Lügenbaron“ Münchhausen feiert seinen 300. Geburtstag

Tina Breckwoldt erzählt neben seiner Lebensgeschichte auch von anderen Lügengeschichten

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Um bis in unsere Tage weltweit bekannt zu werden, musste man in der Vergangenheit ein Weltreich gründen, einen neuen Kontinent entdecken oder ein großes Kunstwerk schaffen. Baron von Münchhausen dagegen genügten ein paar Lügengeschichten. Daher vermuten viele, er sei eine literarische Figur. Doch weit gefehlt – Münchhausen war ein quicklebendiger Baron, dessen 300. Geburtstag am 11. Mai ist.

Anlass für Tina Breckwoldt, promovierte Assyriologin, sich auf die Spurensuche des „Lügenbarons“ zu machen. Entstanden ist eine sorgfältig recherchierte und schwungvoll geschriebene Biografie, die sich in vier Teile gliedert. Im ersten Teil Wann das Glück favorabel ist geht es um den historischen Münchhausen, der als Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen am 11. Mai 1720 in Bodenwerder an der Weser zur Welt kam. Die Familie von Münchhausen ist bis heute ein altes niedersächsisches Adelsgeschlecht, aus dem über Jahrhunderte eine Zahl großer und bedeutender Persönlichkeiten hervorgegangen ist. Da der Vater früh starb, wurde der Junge im Alter von zwölf Jahren als Page zu Verwandten ins zwanzig Kilometer entfernte Schloss Bevern geschickt. 1737 übernahm ihn dann Prinz Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel (1714–1776) als Pagen.

Da der Prinz der Verlobte von Anna Leopoldowna, einer Nichte von Zarin Anna I., war, folgte ihm der junge Münchhausen an den Zarenhof in St. Petersburg. Zahlreiche Erfahrungen während der mehrmonatigen Winterreise 1737/38 fanden später ihren Niederschlag in den Lügengeschichten. Kaum in Petersburg angekommen, folgte er seinem Herrn in den Russisch-Österreichischen Krieg gegen die Türken. Im Juli 1739 fand die glanzvolle Hochzeit von Anton Ulrich und Anna Leopoldowna in Petersburg statt. Ein Jahr später kam ihr Sohn Iwan VI. zur Welt, der nach dem Tod der Zarin Anna im Alter von zwei Monaten zum Zaren und Kaiser inthronisiert wurde. 1741 kam es jedoch zum politischen Umsturz, und die neue Zarin Elisabeth Petrowna entthronte den Säugling und schickte seine Eltern in die Verbannung.

Münchhausen – inzwischen Fähnrich – war während dieser Intrigen und Machtkämpfe in Riga stationiert, was ihn vielleicht vor der Verbannung rettete. Die militärische Karriere war unter diesen Umständen allerdings beendet, erst 1750 wurde er zum Rittmeister befördert. Münchhausen lebte weiterhin in Riga, verkehrte in deutsch-baltischen Adelskreisen und kam hier sicher mit der livländischen Erzähltradition in Berührung. Eine enge Freundschaft verband ihn mit dem Gutsbesitzer und Jagdgefährten Georg Gustav von Dunten, der seine Wurzeln ebenfalls in Niedersachsen hatte. 1744 heiratete Münchhausen dessen Tochter Jacobine und das Paar lebte sechs Jahre auf dem Gutshof der Familie, ehe es 1750 nach Niedersachsen zog. Nach der Klärung der Erbschaft übernahmen Hieronymus und Jacobine den Gutshof in Bodenwerder, wo sie oft Gäste empfingen. Im geselligen Kreis von Freunden und Bekannten wurde Münchhausen regelrecht zum Entertainer, gespickt mit Jägerlatein und jeder Menge Humor gab er seine fantasievollen Geschichten zum Besten.

Nach fast fünfzigjähriger Ehe starb Jacobine 1790 und Münchhausen stürzte in eine schwere Krise. Vier Jahre später heiratete der nun schon 74-jährige sein Patenkind, die zwanzigjährige Bernhardine Brunsig von Brunn. Nach schlimmen Zerwürfnissen reichte er jedoch die Scheidung ein; bei dem demütigenden Prozess verlor er sein ganzes Vermögen. Am 22. Februar 1797 starb Hieronymus von Münchhausen einsam und verarmt.

Münchhausen hat seine Geschichten niemals schriftlich festgehalten, vielmehr haben andere sie ihm abgelauscht und veröffentlicht. Allen voran der Gelehrte Rudolf Erich Raspe (1736–1794) und der Dichter Gottfried August Bürger (1747–1794). Münchhausen war über diesen geistigen Diebstahl empört und wollte beide verklagen, außerdem die Verleger. In Anbetracht der zu erwartenden hohen Gerichtskosten konnte man ihn nur mit Mühe davon abhalten. Das „Münchhausen“-Buch wurde Bürgers populärstes Werk, während Raspe bald in Vergessenheit geriet. Im Anschluss an die Münchhausen-Lebensgeschichte verfolgt Breckwoldt auch kurz ihre Biografien.

Im zweiten Teil des Buches Bis sich die Balken biegen setzt sie sich allgemein mit der Lüge und dem Lügen auseinander – vom Jägerlatein und Seemannsgarn bis zu den Fake News unserer digitalen Welt. Der dritte Teil Das Blaue vom Himmel beleuchtet dann mögliche Quellen und Vorläufer der Münchhausen-Geschichten wie Märchen, Schwänke, Schelmengeschichten oder Volksbücher. „Münchhausen-Vorfahren“ waren z. B. Sindbad der Seefahrer, Till Eulenspiegel, Schelmuffsky (Romanfigur von Christian Reuter (1665–nach 1712)) oder Captain Lemuel Gulliver, der Held von Jonathan Swifts legendärem Klassiker.

Das Erbe des Barons ist bis heute lebendig, davon zeugt eine unübersehbare Menge an Münchhausen-Ausgaben und Übersetzungen in rund fünfzig Sprachen und Dialekten. Im vierten Teil Dass Cuireuse anzumercken – Was der Baron alles auslöst umreißt die Autorin, wo der literarische Münchhausen überall Eingang gefunden hat – in der Musik, im Film und natürlich in der Werbung. Der Name Münchhausen zieht noch immer und was seine Geschichten betrifft, sind es ja keine echten Lügen, denn keine ist glaubhaft; vielmehr geht es um Flunkerei und Fantasie. Komplettiert wird die Neuerscheinung durch ein Glossar mit den wichtigsten Personen, eine Bibliografie und einige historische Abbildungen.

Titelbild

Tina Breckwoldt: Die ganze Wahrheit über Münchhausen & Co. Über 300 Jahre Lügengeschichten.
Benevento, Elsbethen 2020.
288 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783710901027

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