Kingslayer und Queenslayer

Drei Neuerscheinungen befassen sich auf höchst unterschiedliche Art mit der Erfolgsserie „Game of Thrones“

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Forschung und Wissenschaft, vor allem die amerikanische, zunehmend auch die deutschsprachige – legen quasi im Wochentakt neue Studien zum Romanzyklus und zur Serie vor“, konstatiert Elke Brüns in ihrem Büchlein Game of Thrones. 100 Seiten. Im Folgenden sollen drei Neuerscheinungen zu der Serie besprochen werden. Wissenschaftlich im engeren Sinn ist zwar keine von ihnen, doch wurden zwei der Bücher von WissenschaftlerInnen verfasst. Es handelt sich jedoch nicht um Fach-, sondern um Sachbücher, wobei sich der Umstand, dass die AutorInnen aus den Wissenschaften kommen, durchaus positiv bemerkbar macht. Die eine, Elke Brüns, ist Literaturwissenschaftlerin, der andere, Thorsten Dietz, Theologe. Während Brüns ihren Blick über die vielfältigen Handlungsstränge und etliche in der Serie verhandelte Themen schweifen lässt, konzentriert sich Dietz in Gott in Game of Thrones ganz auf die Rolle der zahlreichen Religionen, die ihm zufolge den „Hintergrund“ des Serien-Geschehens bilden. Sie will der Autor in den „Vordergrund“ rücken.

Der dritte hier anzuzeigende Band unterscheidet sich grundlegend von den Büchern der beiden WissenschaftlerInnen. Es handelt sich um den ebenso großformatigen wie schwergewichtigen Bildband Game of Thrones. Die Fotografien von Helen Sloan. Als Set-Fotografin der Serie war sie entsprechend nah am Geschehen und konnte aus einem Fundus von „über eine[r] Million Einzelbilder“ jene „Fotografien herauspicken“, die für sie „die größte Symbol- und Aussagekraft besitzen“. Etliche ihrer Bilder wirken wie Stills aus der Serie selbst. Das wundert nicht, denn die Fotografin erklärt: „Solange es sich vermeiden lässt, bitte ich Schauspieler nicht, für ein Foto zu posieren, nachdem ihr Take im Kasten ist. Ich fotografiere immer beim Filmen einer Szene“. Darüber hinaus bietet der Band auch „Charakterporträts“ aller wichtigen Figuren. Unter ihnen nicht wenige, die man ohne jede Übertreibung als ikonisch bezeichnen kann, wie etwa die bekannte Aufnahme von Daenerys Targaryen vor ihrem Schimmel oder Brienne of Tarth mit ihrem Schwert Oathkeeper. Andere Aufnahmen gewähren einen Blick hinter die Kulissen oder auf die Dreharbeiten.

Auf Bilder von Drachen oder anderer digital erzeugter visueller Effekte müssen die Lesenden hingegen aus nachvollziehbaren Gründen verzichten. Auch hat die Fotografin keine Nacktaufnahmen der ProtagonistInnen in den Band aufgenommen. Gelegenheit dazu hätte sie, insbesondere was die Schauspielerinnen betrifft, reichlich gehabt.

Sloan hat ihre Fotografien nicht etwa entlang der Chronologie des Geschehens in der Serie angeordnet, sondern in sieben Kapitel unterteilt, welche die „sieben Gesichter des einen Gottes im Glauben an die Sieben widerspiegeln“: Der Vater, die Mutter, die Jungfrau, das alte Weib, der Krieger, der Fremde und der Schmied. Sechs von ihnen stehen der Fotografin zufolge jeweils für eine andere der „Facette[n] des Lebens“, welche „die Figuren und Handlungsstränge verbinden“. Eine Ausnahme bilden die unter der Überschrift „Der Schmied“ versammelten Aufnahmen. Sie zeigen „die immense Arbeit hinter den Kulissen“.

Jedem der Abschnitte ist ein kurzer erläuternder oder einen Aspekt der Serie interpretierender Text vorangestellt. So heißt es etwa im Vorspann zu den unter „Die Mutter“ rubrizierten Aufnahmen, „keine Bande in Westeros ist heiliger“ als die Familie. Das ist ebenso zutreffend wie typisch für so ziemlich jede amerikanische Serie.

Der Abschnitt „Das alte Weib“ wiederum wird mit einer Bemerkung über die Figur Sansa Stark eingeleitet, die sich im Laufe der Serie „von der naiven Jugendlichen zur weisen, mutigen Frau [entwickelt]“, und zuletzt „gezeichnet, aber nicht gebrochen“ sei. Daran ist einiges richtig. Dass sie weise würde, ist aber zu viel gesagt, mag sie in den letzten Episoden auch klug genug sein, nicht länger auf die Intrigen von Petyr Baelish hereinzufallen. Auch bleibt sie sich in einem zentralen Punkt gleich: Sie will einen hohen Platz im Kreise der Mächtigen einnehmen. Sei es an der Seite des Königs der Sieben Lande wie zu Beginn der Serie oder als Herrscherin über den Norden wie zu deren Ende.

Sloan hat nicht nur die einzelnen Abschnitte des Bandes mit Vorbemerkungen versehen, sondern dem Band einen sehr persönlich gehaltenen Text über ihren Werdegang vom kleinen irischen Mädchen zur Set-Fotografin von Game of Thrones vorangestellt, in dem sie voller Lob für alle ist, die am Set ihren Weg kreuzten. Auch die beiden Produzenten der Serie David Benioff und D. B. Weiss loben in ihrem Vorwort alle über den grünen Klee, die irgendwie mit Game of Thrones zu tun hatten. Man kennt dergleichen bis zum Überdruss aus den DVDs amerikanischer Film- und Fernseh-Produktionen üblicherweise beigegebenen Making of. Sloans Einleitung verärgert zudem mit ihrem ebenso aufdringlichen wie unwürdigen Produkt-Placement.

In den Büchern von Brüns und Dietz wird man mit derlei nicht behelligt. Anstoß nehmen kann man in Dietz’ „religiöse[m] Buch“ hingegen an einer gewissen Apologie des Christentums, in dessen „Zentrum“ der „Geist der Verzeihung“ stehe und in dessen Gott dem Autor zufolge „Gerechtigkeit und Liebe zusammenfallen“. Sein Buch richtet sich an „die Ungläubigen, die Sehnsucht nach Glauben kennen“, ebenso wie an „die Glaubenden, die ihren Glauben nicht als sicheren Besitz betrachten“. Das klingt fast so, als müsse man befürchten, ein Erbauungsbüchlein in den Händen zu halten. Dem ist nicht so, wenngleich es die Textsorte einige wenige Male anklingen lässt.

Dietz konzediert Game of Thrones, eine „intelligente Religionskritik“ zu üben, die helfen könne, „verschiedene Sichtweisen auf religiöse Fragen ertragen zu lernen“. Dies gelte sowohl für Gläubige wie für AtheistInnen und AgnostikerInnen. Daher schlägt er vor, die Serie „als Einladung zu einer persönlichen religiösen Reise zu sehen“, und kündigt – wenig überraschend – an, er werde sich „[i]mmer wieder […] [s]eine eigenen – christlichen – Gedanken machen“. Seine Formulierungen setzen dabei nicht selten implizit die Existenz Gottes voraus. So etwa, wenn er meint: „Menschen ringen mit Gott“. Neutraler und sicher zutreffender wäre die Feststellung, dass etliche Menschen mit ihrer Vorstellung (eines) Gottes ringen. Dann und wann flicht Dietz sehr persönliche Abschnitte ein. Etwa, wenn er seine Entwicklung vom jugendlichen Atheisten und Kommunisten zum Christen schildert.

Da die Welt der Serie, insbesondere die des Kontinents Westeros, „uns einen Spiegel vor[hält]“, unternimmt der Autor einen „Brückenschlag“ zwischen ihren Religionen und der „Gottesfrage unserer Welt“. Dabei kommt ihm zugute, dass er sich offenbar nicht nur in den Religionen dieser Welt bestens – jedenfalls weit besser als Laien – auskennt, sondern auch in der vielfältigen Götterwelt der Serie. Zudem argumentiert er allgemeinverständlich und ist überhaupt angenehm zu lesen.

Ein gewisses Manko liegt darin, dass er – ebenso wie Brüns – nach der deutschen Synchronisation zitiert. Das führt gelegentlich zu gewissen Unschärfen. Wenn eine Figur einer anderen vorhält: „If he’s [the Red God] so all-powerful, why doesn’t he just tell you what the fuck he wants?“ mag man das zwar einigermaßen angemessen mit der Frage übersetzen können: „Wenn er ach so allmächtig ist, warum sagt er dir verdammt noch mal nicht, was er will?“. Ein „Kingslayer“ ist aber nicht ganz das Gleiche wie ein „Königsmörder“ und die Aufforderung „Trust your self“ eine andere als die „Hab’ Selbstvertrauen“.

Stirnrunzeln ruft hervor, dass Dietz meint, „Menschen, die sich beobachtet fühlen, verhalten sich moralischer“. Es mag sein, dass sie sich den Erwartungen der sie Beobachtenden entsprechender, gegebenenfalls also moralgemäßer verhalten. Sicher aber nicht moralischer. Denn ein moralisches (und nicht bloß moralgemäßes) Verhalten setzt notwendig einen ethischen Beweggrund voraus. So ist etwa auch ein Verhalten, dessen Grund darin liegt, sich von Gott beobachtet zu glauben, nicht moralisch, sondern allenfalls moralgemäß. Dietz aber erklärt: „Man braucht den Glauben an Gott, um moralisch handeln zu können.“ Denn „[o]hne Gott wären moralische Gebote unbegründet“. Da scheint das Gegenteil doch überzeugender: Nur ohne Gott kann man moralisch, nämlich aus ethischen Gründen heraus handeln, mit Gott beziehungsweise aus Gottesglaube allenfalls moralgemäß.

Dietz folgt zunächst einigen der wichtigsten Figuren auf ihrem Weg durch die Serie. Nicht weniger ausführlich befasst er sich mit den Religionen der Serie wie dem Fundamentalismus der „Spatzen“ oder der Verehrung des „Roten Gottes“, die allerdings wohl mehr einem magischen Kult als einer Religion gleicht.

Nicht immer mag man seinen Befunden zustimmen. Dass die Angehörigen der Familie Stark „die Sympathieträger schlechthin“ sind oder werden, trifft gerade auf Bran Stark ganz und gar nicht zu und auf Sansa nur bedingt. Die Begründung für Dietz’ Ansicht, „[d]er Wandel von Jamie Lennister“ sei „einer der am großartigsten gelungenen Handlungsstränge“, wiederum idealisiert die Figur, wie es denn auch überhaupt fraglich ist, ob sie sich sonderlich gewandelt hat. Jedenfalls steht sie am Ende dort, wo sie zu Beginn stand. Seine Liebe zu seiner Zwillingsschwester Cersei ist alles, was für Jamie zählt. Alle Tugenden, so er denn welche hat, sind dann vergessen. Aus besseren Gründen sieht hingegen Elke Brüns in Theon Greyjoys (dt. Synchronisation „Theon Graufreud“) Entwicklung „ein Meisterstück psychologischer Figurengestaltung“.

Sicher nicht verkehrt ist Dietz’ Interpretation von Aryas „Weg“ als „postreligiöse wie spirituelle Suchbewegung“. Doch erschöpft dies die Entwicklung der Figur keineswegs. Gleiches gilt für die religiösen Aspekte von Dietz’ Analysen der Figuren Daenerys Targaryen und Jon Snow (dt. Synchronisation Jon Schnee), in denen er „die zentralen Erlöserfiguren“ der Serie ausmacht, die „offensichtlich biblischen Motiven nachempfunden“ seien. Handele es sich bei Daenerys um „eine klassische Mosesfigur“, so sei Jon „fast ein wenig zu plump an das Vorbild Jesus angelehnt“. Allerdings sieht Dietz in der „christusähnliche[n] Figur auch ein[en] skeptische[n] Kommentar zum Christentum“. Nicht so recht zum Bild einer Christusfigur passt, dass er Jon als „treudoof“ und „so wahnsinnig rechtschaffen und redlich“ charakterisiert, dass man glauben könne, er sei „in seiner Kindheit durch zu häufiges Vorsingen des Liedes ‚Üb immer Treu und Redlichkeit’ irreparabel realitätsblind gemacht“ worden. Kein Wort der Kritik verliert Dietz über Jons verräterischen Meuchelmord an Daenerys, die er ersticht, während sie sich küssen. Auch dieser ‚Judaskuss’ passt nicht so recht zu der von Dietz behaupteten Christusfigur. Wobei Jon die Exekution sogleich selbst vollzieht und er seinen ersten Verrat an Daenerys bereits früher begangen hat. Wird Jamie in der Serie immer wieder als Kingslayer geschmäht, weil er Daenerys’ Vater ermordete, so ist der Queenslayer Jon in dieser Hinsicht sicher nicht besser. Beide rechtfertigen ihre Tat damit, so abertausende Menschenleben retten zu wollen.

Dennoch zählt das, was Dietz über Daenerys’ Weg sagt, zu den klügsten Passagen seines Buches. Sie sei „[e]ine Ikone aller gekippten Revolutionäre, die aus verwundetem guten Herzen böse geworden sind“. Klug erkennt er zudem, dass diese Entwicklung nicht nur ihr selbst anzulasten ist, sondern auch „der Kraft der quasireligiösen Sehnsüchte und Hoffnungen, die auf sie gesetzt worden sind“. Weitgehend unbeachtet lässt er, dass sie – so eine denkbare Möglichkeit – durch ihren Vater, den Mad King, erblich vorbelastet ist, und dass sie nicht nur von Jon, sondern von fast allen ihren Vertrauten verraten wurde, sofern sie nicht von Feinden grausam getötet wurden.

Daenerys trat an, den Eisernen Thron zu erobern, um das sich ewig drehende Rad wechselnder Tyrannen, unter dem die geknechteten Menschen zermalmt werden, nicht etwa nur anzuhalten, sondern zu zertrümmern und so eine Zeit in die Wege zu leiten, in der es „[k]ein Plündern, Umherstreifen, Rauben oder Vergewaltigungen“ gibt. Doch macht die letzte Staffel „binnen weniger Folgen“ die in Daenerys gesetzt „Hoffnung der Armen zum Albtraum der Menschen“. Statt sie zu befreien, löscht sie der Feueratem ihres letzten Drachen aus. Dabei sieht natürlich auch Dietz, dass man es sich mit der Figur „nicht so einfach machen [darf], wie es die achte Staffel tut“, die in diesem Punkt „dramaturgisch nicht überzeugend“ ist. Doch hätte man dem Autor zufolge „auch auf nachvollziehbareren Wegen an diese Stelle kommen können“. So ist es, und zwar nicht nur dramaturgisch, sondern auch psychologisch und handlungslogisch. Dass aber, wie die Serie suggeriert, die „Zertrümmerung des Rades, das endgültige Ende jeder Unterdrückung“ und somit alleine schon die Hoffnung auf das Ende jeder Tyrannei eine Utopie sein soll, die quasi notwendigerweise selbst in Tyrannei umschlägt, ist nicht nur an Daenerys‘ Schicksal wenig überzeugend dargestellt, sondern ganz grundsätzlich zweifelhaft. Dietz jedenfalls „gedenk[t]“ der Drachenmutter „[m]it Entsetzen“, aber auch „[m]it Nachsicht“.

Am Ende seines Buches parallelisiert er Daenerys‘ Drachen und Gott. „Drachen sind schrecklich und schön, schaurig und Ehrfurcht gebietend. Mit Worten kaum zu beschreiben. Mit Gott ist es ähnlich.“ Und es gibt noch eine weitere Gemeinsamkeit, würden AtheistInnen hinzufügen: Beide existieren nicht.

Daenerys’ letzter lebender Drache „tötet nicht den Mörder seiner Mutter. Er vernichtet den Thron, weil die Gier nach diesem Thron seine Mutter zur Massenmörderin gemacht hat“, so die Analyse von Dietz. Ob das Motiv des Drachen tatsächlich Daenerys’ „Gier“ nach dem Eisernen Thron gewesen ist, mag dahingestellt sein. „Der Thron war das Rad, das so viele Menschen getötet hat“, fährt Dietz fort, „[d]er Drache zerbricht das Rad“. Und damit, so lässt sich anfügen, vollendet er das Werk von Daenerys. Einer Meldung der Münchner Boulevard-Zeitung tz zufolge stand der Thron laut Drehbuch jedoch nur zufällig im Feuerstrahl des Drachen. Sollte das zutreffen, würde es nur belegen, wie schlampig am Ende der Serie gearbeitet wurde, deren letzten beiden Staffeln in zunehmendem Maße an allerlei Mängeln kranken, von inkonsistenten Handlungssträngen über eine lückenhafte Handlung bis hin zu einer unglaubwürdigen Entwicklung einer Reihe von Figuren.

„Gläubige“, lautet jedenfalls Dietz’ Fazit, „können in der Serie verstehen lernen, warum Religion auf manche so abschreckend wirkt. Skeptiker können eine Ahnung bekommen, warum Glaubensfragen trotz allem immer wieder aufbrechen“.

Natürlich sieht auch der Theologe Dietz, dass es in der Serie „um vieles andere als Religion [geht]“. Etlichem davon wendet sich Brüns zu, die „[i]m Zentrum der Serie […] zwei Formen des Politischen“ ausmacht: „die Herrschaftssicherung durch Allianzen, Kriege und Taktiken und die radikale Vision einer anderen Welt“.

Ihr Buch setzt mit einer etwas langatmigen Nacherzählung der wichtigsten Handlungsstränge der ersten Staffel ein. Doch hat es weit mehr zu bieten, als eine dröge Wiedergabe dessen, was Fans der Serie längst bekannt ist. So würdigt sie die „atemberaubende Anzahl von Landschaften, Städten, Kulturen, Religionen, Kulten, Traditionen und Bewohnern“, die „serientypische[n] Ambivalenzen“ der Figuren und Ethnien sowie nicht zuletzt die Leistung der Kostümbildnerin Michele Clapton, die „zur Freude der Fans“ in die Ausstattung der Figuren „Hinweise auf Charakterentwicklung, Handlung und Beziehungen [einbaute]“. Vor allem aber wartet Brüns mit manch instruktiver Erkenntnis auf. So konstatiert sie etwa, dass die Serie zwar von einer „apokalyptische[n] Grundfigur“ getragen wird, jedoch „ein Bild der Hoffnung [bietet], dass nämlich, paradox genug für Fantasy, die Vernunft siegen wird“.

Die Serie zeige „einen geopolitischen Raum, der durch Krieg, Intrigen und religiösen Fanatismus gezeichnet ist, dessen Institutionen und Werte zunehmend zerfallen“. Dabei setze Game of Thrones „verschiedene Herrschaftsformen in Szene: auf Westeros regiert ein aristokratischer Feudalismus, im Osten der Tribalismus der Dothraki, während die Brüder der Nachtwache ihren Lordkommandanten demokratisch aus ihren eigenen Reihen wählen und die Wildlinge im Norden eine Mischung aus Faustrecht und Althing-Strukturen leben“. Bei Letzteren sind sogar die Frauen stimmberechtigt. Und ganz in im Süden, im Lande Dorne, aber auch nur dort, werden sie nicht einmal von der Erbfolge ausgeschlossen. Das über all dem „das Damoklesschwert der Auslöschung der Menschlichen Spezies schwebt“, wird von den Königshäusern in ihrem Ringen um den Eisernen Thron schlicht ignoriert. Selbst Daenerys vermag das lange Zeit nicht zu sehen.

Ähnlich wie Dietz folgt auch Brüns den Entwicklungen einzelner Figuren, die „vor dem Hintergrund einer eigentlich immobilen Gesellschaft kometenhafte Aufstiege und Abstürze“ erleben. In der Charakterisierung von Lord Baelish unterläuft Brüns allerdings ein merkwürdiger Widerspruch, kaum hat sie angemerkt, dass er seine Frau „bei der erstbesten Gelegenheit durch das berühmt berüchtigte Mondtor“ in den Tod „stößt“ , erklärt sie, „[d]ieser ewig lächelnde, elegante Höfling“ würde „niemals selbst zu körperlicher Gewalt greifen“.

Ein besonderes Augenmerk legt die Autorin auf den „Wechsel der Geschlechterrollen“ und die „sehr unterschiedlichen“ Frauenfiguren, die bei aller Verschiedenheit doch eines gemeinsam haben: „Sie alle kämpfen gegen die Beschränkungen, die ihre Rolle als Frau ihnen auferlegt.“ Dass ihnen die „patriarchal geprägt[en]“ Gesellschaften der Serie „etliche Zumutungen“ auferlegen, kann Brüns „kaum verwundern“. Die Frage sei vielmehr, „ob die Serie selbst sich an der Frauenverachtung beteiligt und diese ausbeutet, oder ob sie als künstlerisches Produkt eine kritische Position einnimmt bzw. ermöglicht“.

Ihr Urteil fällt ambivalent aus. Insbesondere die ersten Staffeln sind von erzählerisch unnötigen sexuellen Gewaltdarstellungen geprägt. Im Laufe der Serie werden die Nacktdarstellungen von Frauenfiguren jedoch seltener und die Vergewaltigungen verschwinden ganz. Brüns führt das auf die Proteste der ZuschauerInnen zurück. Sie mögen dazu beigetragen haben. Doch ist es auch in der Entwicklung der weiblichen Figuren selbst begründet. Ihre zunehmende Machtfülle wird dadurch visualisiert, dass sie in immer geschlosseneren, oft Rüstungen ähnlichen Kostümen auftreten, die nicht einmal mehr nackte Arme sehen lassen. Besonders deutlich wird das im Falle von Daenerys, während Cersei an einem zwischenzeitlichen Tiefpunkt ihrer ‚Karriere’ den Walk of Shame durch die Hauptstadt von Westeros völlig nackt antreten muss.

Es sind vor allem diese beiden Gegenspielerinnen, die an Macht gewinnen. Doch auch etliche andere Frauen werden auf unterschiedliche Weise als klug und stark dargestellt wie etwa die Hure Shae, die schwertgewaltige Brienne of Tarth, die zur mörderischen Rächerin heranwachsende Arya Stark oder die Wildlingsfrau Ygritte.

Sie alle wurden von George R. R. Martin erdacht, dem Autor der Buchreihe Ein Lied von Feuer und Eis, auf der die Serie fußt. Seine starken Frauen mögen vielleicht nicht überraschen, erklärte er doch einmal: „I’m a feminist at heart.“ Das mag sein, davon ist in der letzten Staffel allerdings nichts mehr zu sehen. Im Gegenteil: Die größte aller Heldinnen, die als einzige Figur die unterdrückten Völker befreien will und nicht nur aus schierem Machtwillen um den Eisernen Thron kämpft, wird zur (wahnsinnigen?) Mörderin Hunderttausender, während die ebenso gefährliche wie intrigante und skrupellose Cersei am Ende zu einer schwachen hilflosen Frau mutiert, die taten- und hilflos zusieht, wie ihr Reich in Flammen aufgeht. Selbst die aufrechte und loyale Kämpferin Brienne wird in der letzten Staffel zu einem heulenden Häufchen Elend, weil sie ihr Liebhaber, der sie erst vor wenigen Tagen ‚entjungferte‘, verlässt. Andere starke, positive Frauen wie die Hure Shae, die von Daenerys befreite Sklavin Missandei oder die Kämpferin des Nordens Ygritte werden schon vorher getötet.

Allerdings ist zu bedenken, dass die letzten beiden Staffeln den Ereignissen in Martins Büchern vorauseilen. Es mag dies eine Ehrenrettung des Schriftstellers sein. Zumal er sich während der Arbeit an den zunehmend schwächer werdenden Staffeln sieben und acht zurückgezogen hatte.

Auf die letztendliche Entmächtigung all dieser ehedem starken Frauen geht Brüns merkwürdigerweise nicht näher ein. Dafür macht sie einen „[k]leine[n] historische[n] Fortschritt“ am Ende der Serie aus: „Künftig soll der König von der Versammlung der adligen Häuser gewählt werden, das Erbrecht wird abgeschafft“. Gewählt wird allerdings kein Mensch. Genauer gesagt, es wird ein ehemals menschliches Wesen zum neuen Herrscher bestimmt, das im Laufe der Serie zum Überwesen mutiert ist: Bran Stark. Deshalb ist es auch nicht zutreffend, dass mit seiner Wahl „das Phantasma“ der „Rettung durch strahlende Helden und Heilsbringerinnen verabschiedet“ wird, wie Brüns meint. Nur Menschen und schon gar nicht Frauen wie Daenerys taugen nicht dazu. Dafür wird mit Bran, dem ebenso emotionslosen wie allwissenden Überwesen, das Ereignisse in Vergangenheit, Gegenwart, und Zukunft sehen kann, ein perfektes Überwachungsregime als positive Lösung präsentiert. Nicht von ungefähr stellt Dietz fest: „Man wird nicht sagen können, dass Bran nach seiner Verwandlung auf die Zuschauer einen durchweg positiven Eindruck macht“. Im Gegenteil. „Bran“, so Dietz weiter, „ist gruselig. Er ist übermenschlich und unmenschlich zugleich“.

Während sein Buch trotz der einen oder anderen christlichen Schwäche aufgrund seiner profunden Kenntnisse und instruktiven Einsicht auch von AgnostikerInnen und AtheistInnen mit einigem Gewinn gelesen werden kann und Brüns’ Bändchen das komplexe Verhältnis von Sex und Gewalt in Game of Thrones erhellt, sowie allerlei Wissenswertes zu den „Genealogien und Geschlechtern“ und anderen Aspekten der Serie offeriert, ohne dass man darum mit all ihren Befunden einverstanden sein muss, besticht Sloans Fotoband allein durch seine aussagekräftigen Aufnahmen.

Titelbild

Elke Brüns: Game of Thrones.100 Seiten.
Philipp Reclam jun. Verlag, Ditzingen 2019.
100 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783150205563

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Thorsten Dietz: Gott in Game of Thrones. Was rettet uns, wenn der Winter naht? Überraschende Erkenntnisse über die Religionen von Westeros.
adeo, Asslar 2020.
224 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783863342487

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Michael Kogge / Helen Sloan: Game of Thrones. Die Fotografien.
Fotografien von Helen Sloan.
Dorling Kindersley Verlag, München 2019.
415 Seiten, 59,95 EUR.
ISBN-13: 9783831038770

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