Krimi? Was für ein Krimi?
Simone Buchholz reist in „River Clyde“ nach Schottland
Von Walter Delabar
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSicher, es gibt ein Verbrechen in diesem raschen, mit leichter Hand und zugleich treffendem Stil geschriebenen Roman: Ein paar Immobilienhaie wollen das große Geld, aber die Wahrsagerin, die sie am Anfang des Romans befragen, warnt sie davor, sich gegenseitig den Garaus zu machen. Was sie naheliegend und geflissentlich ignorieren, weil: Viel unter weniger Leuten verteilt ist mehr. Also, so what? Aus sechs mach zwei mach einen mach keinen. Womit der Fall sich geradezu selbst löst und die Luden von St. Pauli auch mal was recht machen. Nebenher und wie gesagt, ganz beiläufig.
Dass die Polizei vom ersten Mord an hinter ihnen her ist, ist fast schon nebensächlich, zumal die observierenden Beamten wenig Einsatz zeigen. Dazu haben sie eigentlich viel zu viel mit sich selbst und mit einem Handyspiel zu tun, Staatsdiener sind halt auch Menschen – oder dergleichen.
Womit es sich dann mit dem Verbrechen hat. Denn der Löwenanteil dieses vorgeblichen Krimis, der einen den ganzen Text hindurch immer mit diesem Versprechen bei der Stange hält (na, irgendwann muss doch irgendwer irgendwen totschlagen, oder?), führt seine Leser/innen eigentlich vor allem nach Schottland, woher die Protagonistin von Simone Buchholz, die Hamburger Staatsanwältin Chastity Riley, über ein paar Ecken stammt.
Nun ist es ein arges Manko der Kriminalliteratur, dass sie es immer wieder einmal gern mit einer „dunklen“ Vergangenheit hat, hier einem „Familiengeheimnis“, das von „Gewalt und Verlust“ geprägt ist. Dass wir alle irgendwie an unseren Erfahrungen hängen und viele dabei auch Extremen ausgesetzt waren, die andere erspart geblieben sind, sei dahingestellt und auch gar nicht ins Lächerliche gezogen. Mindestens so medienerfahren sind wir alle, wenn denn nicht Freudlektüren dahinterstecken mögen. Aber es hat schon seine Berechtigung, wenn die Leute, die die FAZ-Krimiseite betreuen, vor einiger Zeit eine Seite mit Phrasen zusammengestellt haben, die wir froh sein könnten, nicht mehr zu lesen. Und dazu gehören auch „dunkle Geheimnisse“.
In diesem Fall haben wir es bei Riley mit einer Heldin zu tun, die unter dem Verlust des Vaters (Selbstmord, die Mutter ist lange vorher weg), aber eben auch unter dem desaströsen Ende ihrer letzten Episode leidet. Wohlgemerkt, es geht hier nicht um wirkliche Personen, sondern um Literatur, in der eben die Annahme, dass das Leid ihre Essenz darstellt, eine große Attraktivität besitzt. Allerdings darf es dazu auch andere Ansichten geben.
Aber was solls, Chastity, die Keusche, hats nun mit dem Leiden, am Verlust von Kollegen und anderen Lieben, und überhaupt. So hängt sie am Beginn dieses Buches unter den Rhododendren eines Hamburger Parks, um es danach mit einem ihrer Kollegen heftig zu treiben, bevor sie sich dann nach Glasgow aufmacht, um eine unverhoffte Erbschaft anzutreten. Von dort ist der Ururgroßvater (ich wüsste nichtmal, wie meiner heißt) einst aufgebrochen, damit sie in Hamburg ankommen kann. Hierhin treibt sie ein Brief zurück. Eine entfernte Verwandte ist verstorben, und hat ihr ein Haus vererbt.
Was nun beginnt, ist eine einigermaßen stereotype Suchbewegung, die – schottisch geprägt – vor allem viel mit Whiskey und Bier zu tun hat, mit Pubs, in die sie gerät, und schließlich mit einem gewissen Tom, der seinerzeit der Lover jener entfernten Verwandten war, auf die Chastitys Reise zurückgeht. Chastity Riley macht sich also auf die Reise in die eigene Vorgeschichte, nach ihren Wurzeln (aha), nach den sich wiederholenden Mustern, die ihre Familie geprägt haben. Und siehe da, der Selbstmord des Vaters steht da nicht ganz allein. Auch in den Vorgängergenerationen ist der vorschnelle Tod allzu gebräuchlich. Wie immer das auch gehen soll, wenn der eine vom vorigen eigentlich nichts wirklich weiß und in der Generation danach außer dem Wissen um das Land, aus dem irgendein Vorfahr mal ausgewandert ist, nichts mehr wirklich bewusst ist.
Und damit nicht genug, dass der River Clyde die ganze Zeit mitredet, auch das Haus, das Riley erbt, redet mit ihr. Bis dann schließlich sogar die Großtante erscheint, geisterhaft und überhaupt, und mit der jungen Verwandten spricht. Das ist nett gemacht und sogar angenehm zu lesen, weil das Gespensterleben schon durchsichtig genug der Fantasie der Protagonistin entspringt. Nach so viel Alkohol, kann man auch sagen, kein Wunder.
Dennoch ist alles ein bisschen viel Mystery, auch wenn die ewigen Fragen nach dem Tod der Erblasserin die Erwartungshaltung, es hier nun vielleicht doch mit einem Krimi zu tun haben, recht hoch halten. Bis dann auch dem willigsten Krimileser (m/w/d) klar wird, dass da nichts mehr kommt. Aber dann ist es schon zu spät.
Soll man sich also beschweren, dass man nicht geliefert bekommt, was einem vorne auf dem Deckel versprochen wird, einen Krimi? Nicht wirklich, auch wenn sich Buchholz nicht beschweren sollte, wenn beim nächsten Buch keiner mehr auf die Titelanzeige reinfällt. Es sei denn, es gelänge ihr, dieses Buch als das notwendige Zwischenrippenstück dastehen zu lassen, mit dem die Riley-Romane einer alten Generation mit denen einer neuen verbunden werden. Aber das bleibt abzuwarten.
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