Fröhlicher Gesang der Lerchen und der Geistlichkeit

Kraftvolle Prosa belegt, warum Iwan Bunin 1933 als erster russischer Schriftsteller den Literatur-Nobelpreis erhielt

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie kaum ein anderer russischer Schriftsteller hatte Iwan Bunin (1870 – 1953) die Tradition der russischen Klassiker konsequent weitergeführt. Kennzeichnend für seine realistische Schreibweise war, dass er den Blick auf das Ungewöhnliche inmitten eines ganz normalen Umfeldes gerichtet hat. In dieser Mischung entstand jene oft unterschwellig angedeutete spannungsgeladene Prosa, die unverkennbar Bunins Handschrift auszeichnet.

Der vorliegende Band enthält 14 Erzählungen unterschiedlichen Umfangs, die in ausdrucksstarker Weise Zeugnis über Bunins Höhepunkt seiner künstlerischen Kraft geben. Das Figurentableau wie auch die Verortungen dieser Erzählungen sind im ländlichen Russland angesiedelt, das Bunin während seiner Kindheit und Jugend ausführlich kennenlernte. Sein ganzes Leben lang hatte Bunin jener bäuerlichen und kleinbürgerlichen Welt nachgetrauert, ohne jedoch Härten wie Herausforderungen dieser Welt auszublenden.

Bunin redet keiner idealisierten Idylle das Wort. Statt billigem Blut-und-Boden-Mythos hat er sich dem wirklichen Leben zugewandt. Seine Ästhetik ist keinen weltanschaulichen Verpflichtungen unterworfen, sondern einzig der künstlerischen Kraft der Wahrnehmung verpflichtet. Auf diese Weise entstehen eindrucksvolle Porträts wie jenes einer alten Bäuerin:

Ihr Rock aus grobem, hausgewebtem Stoff ist kurz, ihre Beine sind lang und sehen aus wie Stöcke, die Füße rissig vor Schmutz, Kälte und Schrunden, gleichen Hühnerklauen. Der Bauch steht vor, der Rücken ist krumm von schwierigen Geburten und schweren gußeisernen Töpfen. Im Ausschnitt ihres von Asche dunklen Hemdes sieht man schlaffe, hängende Brüste, wie die einer alten Hündin, und zwischen diesen an einer speckigen Schnur ein großes kupfernes Kreuz.

Die vorliegenden Erzählungen sind im Laufe des Jahres 1913 entstanden. Das russische Land stand in der Umbruchszeit einer im Anlaufen begriffenen Industrialisierung mit all ihren Widersprüchen für eine weitgehend bäuerliche Bevölkerung. Unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg zeichneten sich jedoch eher diffuse Schatten eines kommenden Unheils ab.

Das markante Gefälle zwischen Stadt und Land, der nicht überbrückbare Gegensatz zwischen Moderne und Tradition kommt in der Erzählung „Ioann Rydalez“ zum Ausdruck. In der Folge entfaltet sich eine gewaltige Bandbreite an Emotionen und Motiven. Auf wenigen Seiten kommt eine amerikanische Lokomotive ebenso vor wie das heilige Narrentum des alten Russland. Der Ausklang an Wehmut versperrt sich einem rationalen Nenner.

In der Erzählung „Frühling“ wird ein Fürst vorgestellt, der längst nicht jene Vorstellungen erfüllt, die sich landläufig für einen Vertreter dieses Standes einstellt: „Auch diesen Winter hat er sich dem Trunk ergeben – vor lauter Einsamkeit, wie alle sagen.“ Vor dem geschilderten Hintergrund des im Lande erwachenden Frühlings sucht der Fürst, wieder seinen Platz im Alltagsgeschehen seines Gutes wie auch im Dorf zu finden. Er begegnet den spaßigen Bräuchen des einfachen Gesindes und er nimmt traditionsgemäß an der Feierlichkeit des Thomas-Sonntags teil, als das ganze Dorf im Freien für die Aussaat betete. In charakteristischer Weise gelingt es Bunin auch hier, mit wenigen aber markanten Pinselstrichen ein farbiges Porträt in Worten zu zeichnen: „Die Kerzenflämmchen zitterten und flackerten, der sorglose, fröhliche Gesang der Lerchen störte den Gesang der Geistlichkeit nicht, sondern ergänzte ihn auf schöne Weise…“. Inmitten dieser überlieferten Abläufe scheint der Fürst zu spüren, daß seine Zeit dennoch abgelaufen ist. Er verlässt das Dorf und ist bei der Aussaat schon nicht mehr dabei.

Auch in den anderen Erzählungen wird der Blick auf ambivalente Persönlichkeiten gelenkt. Ein subtiler psychologischer Blick begleitet in „Dürres Gras“ die Umstände des alten Awerki von einer Erkrankung bis hin zu seinem Ableben. Die dörflichen Szenerien inmitten ländlicher Idylle versprechen nur auf den ersten Blick hin Frieden und Ruhe. In der Erzählung „An der Landstraße“ wird darüber berichtet, wie Paraschka, die Tochter Ustins, langsam aber sicher ihrer Kindheit entwächst. Zunächst zeichnet sich eine lauernde Gefahr nur in diffuser Weise ab. Starke Gefühle und unerklärliche Leidenschaft setzen ein. Eine sich unmerklich anbahnende erotische Spannung führt letztendlich zu einer Katastrophe.

In der Sowjetunion war Bunin seit seiner Emigration nach Paris im Jahr 1920 eine Unperson. Als russischer Patriot hatte Bunin den gewaltsamen Umsturz der Oktoberrevolution in seiner geliebten Heimat vehement abgelehnt. Erst in der „Tauwetter-Phase“ einer vorsichtigen Entstalinisierung in den späten 1950er – Jahren waren wieder Veröffentlichungen in der Sowjetunion möglich geworden. Mit Frühling liegt bereits der siebte Band einer vorzüglich aufbereiteten Iwan Bunin-Werkausgabe vor. Die geschmeidige Übersetzung durch Dorothea Trottenberg wird durch ein kundiges Nachwort von Thomas Grob ergänzt. Anmerkungen der Übersetzerin sowie ein Fotoporträt Iwan Bunins belegen die umsichtig wie liebevoll gestaltete Ausgabe dieses Bändchens.

Titelbild

Iwan Bunin: Frühling. Erzählungen 1913.
Herausgegeben von Thomas Grob.
Übersetzt aus dem Russischen von Dorothea Trottenberg.
Dörlemann Verlag, Zürich 2016.
287 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783038200314

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch