Ich poste, also bin ich
„So schöne Lügen“: Die New Yorker Journalistin Tara Isabella Burton erzählt in ihrem furiosen Romandebüt von einer toxischen Frauenfreundschaft
Von Oliver Pfohlmann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseErzähltechnisch gesehen sind Smartphones Spannungskiller. Denn Spannung dadurch zu erzeugen, dass zwischen Figuren im entscheidenden Moment wichtige Informationen nicht weitergegeben werden können, wird für Autoren in Zeiten allgegenwärtiger Erreichbarkeit immer schwieriger zu erklären. Okay, zur Not ist halt gerade der Akku leer oder das Handy ins Klo gefallen. Nur durchschauen Leser das natürlich schnell als billigen Trick – sozusagen als Äquivalent fürs durchgeschnittene Telefonkabel vordigitaler Zeiten. Über die Problematik „Erzählen im Handy-Zeitalter“ wurde schon in der New York Times reflektiert; hierzulande hat Kathrin Passig in ihren Grazer Vorlesungen zur Kunst des Schreibens unlängst beobachtet, dass das iPhone immer mehr Autoren mit ihren Narrationen in technikarme Epochen flüchten lässt.
So gesehen kommt Tara Isabella Burtons So schöne Lügen zur rechten Zeit. Im Romandebüt der 29-jährigen New Yorker Journalistin entpuppt sich das Handy als eine literarische Spannungsmaschine von beklemmender Dämonie. Burtons Thriller über eine toxische Frauenfreundschaft funktioniert über weite Strecken gerade deshalb, weil Informationen wie Likes oder Statusupdates heute in Echtzeit geteilt werden können und sich so regelrechte Zombie-Existenzen erschaffen lassen. Weshalb der deutsche Titel zwar treffend ist (und eine offensichtliche Anspielung auf Serienhits wie „Pretty little liars“), aber bei weitem nicht so gut wie der Originaltitel Social Creature.
Schließlich sind alle Figuren dieses Romans, der in der Jeunesse dorée des heutigen New York spielt, Kreaturen der sozialen Netzwerke. Und so süchtig nach Bestätigung in Form von Likes und Kommentaren, dass diesen Mittzwanzigern das digitale Leben längst wichtiger scheint als ihr reales. Vor allem aber führt eine von ihnen, die kapriziöse Party-Queen Lavinia, die noch das grottigste Selfie via Instagram-Filter in einen Beweis für eine weitere „Nacht ihres Lebens“ verwandelt, nach ihrem irdischen Dahinscheiden in der zweiten Romanhälfte ganz buchstäblich ein gespenstisches Fortleben als reines Social-Media-Geschöpf.
Was deshalb möglich wird, weil Lavinias Mörderin nicht nur ihre Kreditkarte, ihr von den Eltern finanziertes Luxusappartement auf der Upper East Side und ihren Ex-Freund Rex übernommen hat, sondern eben auch Lavinias Handy. Burtons provozierend sympathische Hauptfigur heißt Louise Wilson; zu Romanbeginn haust sie noch in einer „kakerlakenverseuchten Bude“ und jongliert mit drei Teilzeitjobs, um sich ihren Traum von einem Leben als Schriftstellerin in New York zu erfüllen. Doch dann wird sie durch einen Zufall zu Lavinias neuester „bester“ Freundin, bis hin zum geteilten Tattoo „Mehr Poesie“ auf dem Arm. Und weil Louise besser als ihre Vorgängerinnen Lavinias Hunger nach narzisstischer Spiegelung zu stillen versteht, wird sie zum Dank auf exklusive Partys und zur Saisoneröffnung der Met mitgeschleppt und mit wichtigen Leuten der Literaturszene bekanntgemacht. Am Ende darf sie sogar bei Lavinia einziehen – der Höhepunkt einer tödlichen Spirale wechselseitiger Abhängigkeit, bei der Louise erkennt: „Es ist so leicht, sie anzulügen.“
Später, als Lavinias Leiche längst in einem Überseekoffer im East River treibt, simuliert Louise für alle Partybekanntschaften und -verehrer der Toten ganz einfach mit fliegenden Fingern einen via Facebook verfolgbaren monatelangen Selbstfindungstrip quer durch die Staaten, gefakte Selfies und Kommentare im schrillen Lavinia-Stil auf den Seiten ihrer Freunde inklusive. Alles frei nach Descartes: Ich poste, also bin ich. Und wenn das einmal doch nicht reicht, ruft Louise einfach mit verstellter Stimme an und erklärt dem naiven Rex oder Lavinias Schwester, warum sie sich keine Sorgen machen müssen.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt hat sich Burtons weibliche Version von Patricia Highsmiths talentiertem Mr. Ripley fürs Social-Media-Zeitalter in einen veritablen Pageturner verwandelt. Denn was So schöne Lügen vorführt, ist nicht nur die WhatsApp-mäßige Verdichtung von Zeit in sozialen Netzwerken, sondern auch, wie sehr das Handy zur allmächtigen Steuerzentrale unserer Existenz geworden ist und wie derjenige, der darauf Zugriff hat, auch zugleich unser Leben in der Hand hat.
Dass die launenhaft-lächerliche Lavinia mit ihren Oscar-Wilde-Zitaten, Vintage-Kleidern und dem Traum von einem Boheme-Leben à la Lou Salomé sterben muss, ist übrigens kein Spoiler. Burtons penetrante Erzählerin kündigt diese Wendung schon auf den ersten Seiten an („Wir wissen alle, was passiert: Lavinia wird nicht überleben. Doch was ihr verstehen müsst, ist: warum.“). Auch sonst schaltet sie sich gerne ein, etwa mit Wendungen wie „Die Sache ist die“, und macht mit ihrem Gossip-Ton den Leser zum klatschsüchtigen Komplizen („Ihr und ich, wir sind schon auf Partys gewesen. Wir wissen, wie das ist.“).
Diese Rollenzuweisung gehört ebenso zu den Charakteristiken dieses furiosen Debüts wie die rasanten Dialoge, die diversen literarischen Vornamen wie Cordelia oder Beowulf sowie authentische New-York-Lokalitäten wie das Bemelmans oder die Bulgarian Bar. Hinzu kommen die bizarren Details, in denen sich der Möchtegern-Individualismus Lavinias äußert wie zum Beispiel ihr Haselnuss-Zimt-Pfirsich-Kardamom-Tee aus Usbekistan oder ihre persönliche Parfümmischung, die „nach Lavendel und Tabak und Feige und Birne und allem Schönen dieser Welt“ riecht. Treffend heißt es einmal über Lavinias Distinktionsbedürfnis, das noch jeden schnöden Spaziergang in eine „pèlerinage“, einen Pilgergang, verwandelt: „Irgendwie ist das Ganze auch abgelutscht, genau wie Klimt-Poster“.
Übrigens: Burtons Roman erschien in den USA, als just gerade „Anna Delvey“ alias Anna Sorokin aufgeflogen war. Gemordet hat die inzwischen verurteilte russisch-deutsche Hochstaplerin zwar nicht, aber dafür über Monate hinweg New Yorks High Society nach Strich und Faden ausgenommen. Ihr noch immer abrufbares Instagram-Profil hätten wohl auch Lavinia und Louise gelikt.
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