Das Geklapper

Über Charles Bukowski

Von Frank SchäferRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Schäfer

Es gehört nicht zu den geringsten Qualitäten seiner Bücher, dass Bukowski einem den Eindruck vermitteln kann, Schreiben sei eigentlich ganz einfach.

Der Tod von Henrys Mutter machte keine Komplikationen. Nettes katholisches Begräbnis, wie es sich gehörte. Der Sarg blieb zu. Der Priester schwenkte ein paarmal sein Rauchfaß, und damit hatte es sich. Henry ging von der Beerdigung aus direkt zum Rennplatz, erwischte einen guten Lauf und bandelte schließlich mit einer Chinesin an, die ihn mit auf ihr Zimmer nahm. Sie machte Steaks, und dann stiegen sie ins Bett.

Als säße er einem gegenüber und erzähle so nebenher eine Geschichte, die er gerade erlebt hat, nichts Großes, Weltbewegendes, einfach eine Geschichte, die er auch jederzeit abzubrechen bereit wäre, wenn etwa das Bier zur Neige geht und er dran ist, runter zum Kiosk zu laufen.

Was wie eine Zurücknahme des Literarischen aussieht, ist in Wirklichkeit eine kalkulierte und sehr effektvolle Entschlackung. Bukowski ist ein anarchischer, formal undomestizierter Autor, aber nicht aus Not, sondern Kalkül.

Und entgegen der eigenen Koketterie mit seiner vermeintlichen Ungebildetheit und dem zunehmend schrumpfenden Vokabular weiß Bukowski durchaus, was er und warum er es tut. Er kann das auch formulieren – mit der bekannten schlampigen Grazie und seinem knochentrockenen Witz. Einem Zeitschriftherausgeber, der seine Gedichte abgelehnt hat, schreibt er:

Ihre Bemerkung, bei Ablehnung der letzten, daß meine Sachen nicht sorgfältig gearbeitet seien, hat mich nicht gekratzt. Natürlich ist mein Zeug nicht sorgfältig gearbeitet, sondern schnell hingehauen. Darum gehts doch grade. Ich notiere mir, was ich brauche. Lyrische Tricks und Formkram fand ich schon immer sterbenslangweilig. Es kann natürlich auch sein, daß ich Ihnen einfach lausige Gedichte geschickt habe.

Und schon früh, 1961, verteidigt er in einem Leserbrief mit guten Gründen seine Methode – das von einem Kritiker gescholtene „Eindringen von Prosa in die Lyrik“:

Wer je gezwungen war, an einem Lyrik-Seminar teilzunehmen, oder den Fehler machte, nach einer Dichterlesung zum Stehempfang dazubleiben, dem wurde beigebogen, was künstlerisch und poetisch die ‚richtige‘ Methode ist, und wenn ich mal einen verschmähten Ausdruck gebrauchen darf – mir ist das eine wie das andere einen Scheißdreck wert … Was ist denn verkehrt an einem Prosa-Statement von 6 oder 7 oder 37 Zeilen, wenn es zwecks Klarheit und besserer Lesbarkeit wie ein Gedicht daherkommt? Solange es sagt, was es sagen muß, und es genauso gut oder besser ausdrückt als die eiserne Gußform, die tönt: Ich bin ein Gedicht, also herhören! Was ist einzuwenden gegen eine Short-Story von 7 Zeilen oder einen Roman von 37 Zeilen, in Gedichtform präsentiert? Wenn es sich in der Form besser liest, als wenn man es zu einem normalen Satz oder Absatz englischer Normalprosa zusammenstauchen würde? Müssen wir immer alles definieren und in Kategorien zwängen? Kann Kunst, in Gottes Namen, nicht Kunst sein ohne Programm und Silbenzählerei?

Bei Bukowski kann es das.

Schreiben war für Bukowski ein großes Individuations- und Selbstbehauptungsprogramm. Wenn er sich nach dem dummmachenden Tagelöhner- und später Post-Job am Abend an die Schreibmaschine setzte, mit einem Sixpack oder einer Flasche Wein, schrieb er sich den Rotz, den Jammer und die Demütigungen von der zerfressenen Seele. Eine Art sublimierte Gegenwehr. Obwohl – so sublimiert nun auch wieder nicht. Bukowskis Texte sehen stets so aus, als sei es ihm gar nicht in erster Linie um Kunst gegangen, dabei ging es ihm einzig und allein darum. Nur sollte sie nicht danach aussehen, nach Prätention und Parfüm, nach Verbeugung vor der Tradition und der Form. Er brauchte und nahm sich seine Freiheiten. Wenn er sich schon in das 9-to-5-Korsett zwängen lassen musste, dann wollte er wenigstens auf dem Papier die Sau raus lassen, sich und sein Leben ganz unmittelbar in die Waagschale werfen ohne konventionelles metrisches Reglement und Reimschema. Bukowski schrieb auch als Lyriker so prosaisch, wie seine Plebejer-Existenz nun mal war, und trotzdem versuchte er ihr immer wieder aufs neue ein bisschen Glanz abzujagen, und sei es nur als sarkastische Pointe.

Er verfügte über keine wirklich klar umrissene Poetik, aber Intuition. Und ihr schien er mit den Jahren immer mehr zu vertrauen. „Lyrik interessiert mich eigentlich nicht. Ich weiß nicht, was mich interessiert. Vielleicht Unverschnarchtheit. Echte Lyrik ist tote Lyrik, egal wie hübsch sie daherkommt“, schreibt er 1953 an den Herausgeber eines Underground Magazins, am Ende seines fast zehnjährigen Suffintermezzos, währenddessen er die Schreibmaschine versetzt und so gut wie nichts publiziert hat.

Sechs Jahre später, noch immer ist kein Buch von ihm erschienen, aber diverse Zeitschriften haben Gedichte von ihm abgedruckt, ist er sich seiner Sache sicher. „Meine Gedichte sind nicht das Ergebnis sorgfältiger Planung“, schreibt er an James Boyer May vom Literaturmagazin „Trace“, „sondern entstehen blind, jedes Wort ist ein Zufallsfund und folgt einem eher fließenden Konzept, von dem ich mir mehr Lebendigkeit verspreche.“ Es geht ihm um den ganz unmittelbaren Ausdruck, mit allen Stärken und Schwächen. Deshalb hält er auch nichts von Überarbeitungen. „Wenn ich beim ersten Mal gelogen habe, bringt es nichts, die Lüge festzuklopfen, und wenn nicht, brauche ich mir nicht weiter den Kopf zu zerbrechen“, schreibt er seinem frühen Verleger Jon Webb. Vor allem stört sie den Produktionsfluss, und der ist Bukowski heilig. Ausschuss kalkuliert er durchaus mit ein, weil er auf die folgende Nacht vertraut.

Was sich immer wieder zeigt, ist die Homogenität seiner ästhetischen und weltanschaulichen Positionen. Bukowski findet erst als Mittdreißiger professionell zum Schreiben, als er mit Magenbluten im Armenkrankenhaus eingeliefert wird und gerade noch einmal davonkommt. Danach tippt er, um nicht ständig saufen zu müssen. Seine Outcast- und Antikunst-Attitüde ist jetzt bereits von genügend Erfahrung gesättigt, so dass er sie nur mehr variieren und in immer neuen Anläufen paraphrasieren, aber nichts mehr wirklich revidieren muss.

„Schreiben habe ich nie als Arbeit betrachtet“, schreibt er in einem Brief an John Martin von der Black Sparrow Press, seinem eifersüchtigen, manchmal auch herrschsüchtigen, aber für einen Chaoten wie Bukowski vermutlich idealen Stammverleger,

und selbst wenn einmal nichts Dolles dabei herauskommt, so mag ich doch die ganze Action, das Geklapper der Schreibmaschine, die ganze Besessenheit daran. Sogar schlechte Texte und Absagen belasten mich kaum, da ich weiß, dass ich es beim nächsten Mal besser machen kann. Allein das Geräusch der Schreibmaschine vermittelt mir eine Art Beständigkeit, die vieles heilt, bis sich die Summe aus Fehlern und Glücksgriffen tatsächlich besser liest und besser anhört als vorher. Nicht, dass dies in irgendeiner Weise wichtig wäre. Eben nur dieses Tack-tack-tack. Am schönsten ist es natürlich, wenn neben dem Geklapper der Schreibmaschine auch noch ein interessanter Text herauskommt, aber das passiert leider nicht jeden Tag. Zuweilen muss man tagelang darauf warten. Und man sollte auch wissen, dass selbst die großen Jungs, die dies schon seit Jahrhunderten tun, nicht jeden Tag Meisterwerke geschaffen haben … Deshalb tack-tack-tack …

Vor allem nach 1970, als er den Brotjob bei der Post endlich drangibt, um als freier Schriftsteller sein Leben zu fristen, strukturiert das Geklapper den Tag, beweist es ihm, dass er produziert, dass ihm diese Arbeit, die keine ist, die Subsistenz erwirtschaftet. Die ewige Angst des Proleten, nicht über die Runden zu kommen, verliert er nie vollständig.

Zu richtig großer Form läuft Bukowski auf, wenn man seine mühsam erkämpfte schriftstellerische Freiheit einzuschränken versucht, wenn etwa Magazin-Herausgeber Änderungen wollen, Verleger Martin ins Manuskript eingreift oder sich beschwert, dass sein Autor bei zu vielen Magazinen fremdgeht – oder wenn man ihm Sexismus, Misogynie oder Gewaltverherrlichung vorwirft und ihn schlimmstenfalls sogar zensieren will. Dann argumentiert er mit einer abgeklärten Stringenz und zugleich einem Ernst, die zeigen, dass es ihm hier um den Kern seines Schreibens geht – Wahrhaftigkeit.

Als Schriftsteller fotografiere ich – mit Worten –, was ich sehe. Wenn ich also über ‚Sadismus‘ schreibe, dann nur, weil er existiert. Ich habe den Sadismus nicht erfunden, und wenn in meinen Büchern noch weitere schlimme Dinge passieren, dann nur, weil sie in unserem Leben passieren. Ich bin nicht auf der Seite des Bösen, falls es so etwas wie das Böse überhaupt gibt. Weder befürworte ich, was in meinen Büchern an Bösem geschieht, noch weide ich mich an seiner Darstellung. Seltsam finde ich allerdings, dass die Leute, die sich über mein Werk aufregen, jene anderen Stellen, in denen von Lebensfreude, Liebe und Hoffnung die Rede ist, glatt übersehen, und solche Stellen gibt es durchaus. In meinem eigenen Leben gab es Höhen und Tiefen. Hätte ich immer über die Höhen geschrieben und die Tiefen nie erwähnt, wäre ich als Künstler ein Lügner. Zensur ist das bevorzugte Mittel derer, welche die Wirklichkeit vor sich und anderen verbergen wollen. Ihre Angst entspringt ihrer Unfähigkeit, Wirklichkeit zur Kenntnis zu nehmen, daher fällt es mir schwer, ihnen noch irgendwelche Schimpfworte an den Kopf zu werfen, im Gegenteil, mich stimmen sie eher traurig. Irgendwann in ihrer Entwicklung wurde ihnen das Gesamtbild unserer Existenz vorenthalten, und sie lernten, die Dinge immer nur aus einem einzigen Gesichtspunkt zu betrachten, wo es in Wahrheit viele gab.

Man kann Bukowski vieles vorwerfen, aber seine schriftstellerische Integrität hat er wie nur wenige zu verteidigen gewusst.

Mitte der Achtziger ist Bukowski ein gemachter Mann. Ein Star im Ausland, nicht zuletzt in Deutschland und Frankreich, in den USA immerhin ein Skandalautor. Er heiratet seine langjährige Freundin Linda Lee Beighle, mit der er vor geraumer Zeit schon aus East L.A. ins billige, beschauliche, von Einwanderern und Künstlern bewohnte Hafenviertel San Pedro gezogen ist, und endlich beginnen jetzt auch die Dreharbeiten zu „Barfly“, Barbet Schroeders Film, für den er das Drehbuch geschrieben und an dessen Realisierung er kaum noch geglaubt hat. Der Dirty Old Man ist angekommen, aber in der Zwischenzeit ist er wirklich alt geworden. Die Rolle, die er immer schon gespielt hat, seitdem er mit dem Schreiben ernst macht, also seit den Sechziger Jahren, wird nun von der Realität eingeholt. Wenn nicht sogar überholt. Alles

läuft prima
die Flasche geleert
und weg damit –
die Gedichte brodeln in meinem
Schädel

So beginnt Alt und versoffen, ein Gedicht aus dieser Zeit, „aber“, jetzt kommt eben ein „aber“ hinzu, und das beansprucht gleich mal eine ganze Zeile:

aber
auf halber Strecke zwischen 60 und
70
überlegt man manchmal,
bevor man die zweite Flasche aufmacht
Es wird nicht gerade ein Temperenzler aus ihm,
aber nach 50 Jahren
Saufmarathon
fragt man sich schon,
ob man
nach der nächsten Flasche
vielleicht lallend
in einem Pflegeheim landet
oder einsam zuhause
an einem
Herzinfarkt verreckt
und einem die Katzen das Fleisch abnagen,
während der Morgennebel
durch die kaputte
Fensterscheibe dringt.

Sich immer wieder in der Gosse zu suhlen, fällt ihm mittlerweile sichtlich schwer.

Viele meiner Leser wollen, dass
ich ständig über Bettgeschichten
mit irgendwelchen verrückten Schlampen
oder Nutten schreibe –
oder dass ich im Krankenhaus oder im Knast lande
oder dass ich verhungere
oder mir die Gedärme
aus dem Leib kotze.
Ich finde auch, dass Selbstzufriedenheit
keine unsterbliche Literatur hervorbringt,
Wiederholung aber auch nicht.

Und so sucht er nach neuen Themen, die seinem saturierten Status mit Haus, Jacuzzi und BMW eher gemäß sind. In den Gedichten dieser Zeit beginnt sein Alterswerk. Hier begegnet man einem anderen Bukowski. Einem, der Rückschau hält. Der noch einmal in warmherzigen Porträts sein literarisches Vorbild John Fante oder den frühen Freund und Förderer, Underground-Verleger Jon Edgar Webb auferstehen lässt. Der sich an seine verlorenen Jugendjahre erinnert und dafür sogar etwas Sentimentalität aufbringt, nicht mehr ganz so sarkastisch und drastisch abrechnet mit sich und der Welt. Auf einmal erinnert er sich an ein paar Nachbarskinder, mit denen er sich zwar „erbitterte Faustkämpfe“ liefert, „die meistens drei bis vier Stunden dauerten“, darunter macht er es immer noch nicht, aber die Wut von einst wirkt hier gedimmt, fast schon von Altersmilde moderiert.

Und noch etwas ist anders. Bukowski gibt seinem ganz profanen Alltag viel mehr Raum. Alles kann jetzt zum Gedicht werden, die Einkommenssteuererklärung, die letzte Mozart-Symphonie, die er im Radio gehört hat, ein kleiner Bankangestellter im braunen Anzug, der einen Randalierer zur Strecke bringt, ein Brief eines enttäuschten Fans, die Zeit in der Wartschlange – und sogar die Schreibblockade.

Der Sekundenzeiger der TIMEX läuft
und läuft immer noch…
Ich wollte immer ein Schriftsteller sein
und jetzt bin ich einer, der es nicht bringt.

Bisweilen gelingen ihm hier Zeilen von schöner, fast haikuhafter Schlichtheit. Und bisweilen sind das bloß Tagebucheinträge in Umbruchprosa.

Das eigene Sterben hat er auch früher nicht ausgespart, aber jetzt macht er keine Witze mehr darüber, sondern schlägt immer häufiger einen elegischen Ton an. Überdies beschleicht ihn die Angst, dass seine produktive Energie bald verläppern könnte. Sein Spätes, sehr sehr spätes Gedicht stenographiert geradezu mit, wie die Kräfte nachlassen, wenn er spät in der Nacht bei der zweiten Flasche und nach „7 oder 8 oder 9“ hingehauenen Gedichten feststellen muss,

dass das Tippen
zwar noch großen
Spaß macht
aber
immer inhaltsloser
wird.

Und schließlich erteilt er sich schon mal selbst die ästhetische Absolution.

Manchen ist es sicherlich
nicht entgangen, dass
es hier ein paar
„Ausrutscher“
gibt.
Aber mit 65
darf ich mir so
manche „Ausrutscher“ erlauben,
auch wenn mir diese
verweichlichten Kritiker
noch immer auf die Finger schauen.

Man kann hier mitlesen und sich anrühren lassen davon, wie Buk literarisch seine Dinge regelt und sich langsam auf den großen Abgang vorbereitet.

Anmerkung der Redaktion: Der Text erschien zunächst in: Drecksack. Lesbare Zeitschrift für Literatur 11/3 (Juli 2020): Bukowski wird 100 – Extrablatt! S. 3-4. Wir danken dem Autor für die Genehmigung zur erneuten Veröffentlichung in literaturkritik.de.