Das Mittelalter als lebendige Kulisse im Disney-Film

Virtuelle Reisen der Kindheit durch die Disney-Welten des Mittelalters

Von Nathalie GlasowRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nathalie Glasow

„Bei Disney-Filmen werde ich heute noch immer wieder total nostalgisch.“ Diesen Satz haben wir, die wir alle Generationen von Disney-Kindern sind, schon mehrfach gehört, eifrig unsere Zustimmung dazu ausgesprochen oder ihn sogar selbst gesagt. Aber warum? Es ist kein Geheimnis: Disneys berühmte Geschichten schenken uns seit fast einem Jahrhundert ein Kollektiv an Erinnerungen. Disney-Filme schaut man mit den Eltern, Geschwistern oder Cousins und Cousinen und singt auch noch im Erwachsenenalter textsicher den einen oder anderen Song aus seinem Lieblingsfilm mit. Doch bleibt die Frage, ob die Nostalgie, die wir verspüren, wenn wir solche Filme schauen, wirklich nur mit der eigenen Kindheit verknüpft ist, oder ob wir uns nicht noch viel weiter zurücksehnen in eine andere unwiederbringliche Zeit. Viele der Disney-Filme spielen in fantastischen Mittelalter-Szenarien und eröffnen uns bereits als Kindern zahlreiche Perspektiven in diese zauberhafte Welt „vor langer, langer Zeit“.

Abgesehen von den Film-Soundtracks aus den Disney-Studios, beeindrucken die Zuschauer vor allem die Darstellungen von Burgen, Schlössern und Kleidern, denen in den Disney-Cartoons eine besondere Fläche eingeräumt wird. Man wünscht sich als Kind in die Atmosphäre der Schlösser. Deshalb haben die Filme eine besondere Wirkung: Sie transportieren durch kunstvolle Bildgewalt facettenreiche Eindrücke vom Mittelalter und so heften sich früh bestimmte Assoziationen und Emotionen an die Umgebung der Disney-Filme, die häufig von der Bildwelt des Mittelalters leben.

Drei ausgewählte Beispiele berühmter Disney-Filme spiegeln das mittelalterliche Fundament auf dem die Geschichten in der Moderne erzählt werden besonders gut wieder: Schneewittchen und die sieben Zwerge, Dornröschen und Der Glöckner von Notre Dame spielen in verschiedenen Zeiten und Orten eines Mittelalters, das es so nicht gegeben hat und das trotzdem viel Wahres über eine Epoche enthält, in der mancher Tagtraum sein Zuhause hat.

Das Haus der Psyche im Disney-Klassiker „Schneewittchen und die sieben Zwerge“

Das eigene Haus ist uns wie der eigene Kopf – sollte man meinen – eine Basis und im Ganzen zugänglich und bekannt. Doch noch immer haben Menschen ab und an eine gewisse Angst vor dem Keller ihres Hauses und seiner Spiegelfunktion der eigenen Abgründe. Denn was in solch verborgener Umgebung lebt, hat sicher einen guten Grund dafür. Das gilt für die Spinne ebenso wie für die Schauergestalten mit böser Absicht, die man als Kind im Dunkel vermutet. Seit Sigmund Freud 1923 diese Kerkertür mit seinem Modell der Psyche für uns aufgesperrt hat, finden sich viele Künstler und Filmemacher, die das „Haus der Psyche“ ins Rampenlicht holen wollen.

Im Disney-Klassiker Schneewittchen und die sieben Zwerge von 1937 (englischer Originaltitel Snowwhite and the seven Dwarfs, Regie David D. Hand) zeichnen sich die Architektur der Schlösser und Darstellungen der Landschaft oft als Spiegel des Inneren der Charaktere aus. In mehreren Szenen gibt es eine Aufteilung der Gebäude, in denen besonders das Unterbewusstsein auch architektonisch im Unterirdischen angesiedelt ist, also im Kerker oder Brunnen, und daher stark an eine Aufteilung der Psyche nach Freud erinnert. Schneewittchen singt zu Beginn ihre tiefsten und völlig reinen Wünsche in einen Brunnen hinein, dessen Wasser ihr kaum verzerrtes Spiegelbild zeigt. Dieses antwortet ihr mit einem Echo im gemeinsamen Duett. Schneewittchen hat noch keine erschreckenden Abgründe, sondern nur Ängste, die durch die Außenwelt ausgelöst werden, wie etwa durch einen nächtlichen Wald oder die Stiefmutter, die einen Kopfgeldjäger auf sie ansetzt. Sie selbst ist, wenn sie allein ist oder ihrer Spiegelung begegnet, keiner Gefahr ausgesetzt.

In diesem Film spielen die Schauermärchen, die seit Jahrhunderten die Ängste von Kindern schüren, eine wichtige Rolle. Sie lassen uns seit Kindheitstagen das Thema Mittelalter, Märchen und Psyche nur schwer voneinander trennen. Die Anfangsszene des Films zeigt die aufgeschlagenen Seiten eines alten Märchenbuchs, dessen mittelalterliche Buchmalerei den Anfang und das Ende der Geschichte erzählt. Das goldverzierte Buch wird wie von Zauberhand aufgeschlagen und eröffnet mit der gotischen Schrift und den farbigen Initialen sogleich die Schrift- und Bildwelt des Mittelalters. Man wird als Zuschauer also in das Thema Mittelalter eingeführt und so zu einem Betrachter eines märchenhaften Schatzes, dessen Inhalt genauso bezaubernd wie kunstvoll schillernd ist.

Hier wird das mittelalterliche Setting als Märchenkulisse und das Märchen als Bühnenbild der Gefühlswelt genutzt. Die eigenen Wünsche, Ängste und auch der eigene Wahn als metaphorischer Schöpfbrunnen werden in Schneewittchen und die sieben Zwerge in zahlreichen Spiegelmotiven verbildlicht.

Die Antagonistin, die schöne, aber böse Königin, ist die in vielen Märchen als Schreckensfigur erscheinende Stiefmutter Schneewittchens. Sie leben beide im gleichen Schloss, wobei Schneewittchen allerdings in Lumpen gekleidet das Leben einer Bediensteten führt. Die Königin hingegen ist standesgemäß gekleidet und verbringt die meiste Zeit vor ihrem sprechenden Spiegel, den sie, von ihrer und Schneewittchens Anmut besessen, immer wieder nach dem aktuellen Grad der eigenen Schönheit befragt. Weil der Spiegel der bösen Königin ihre verbitterten Wünsche kennt, stellt er eine tiefe Ebene der nächsten psychologischen Dimension dar und ist deshalb zu einer grimassenhaften und doch allwissenden Maske verwandelt. Optisch der berühmten und wortwörtlich verrückt dargestellten Uta von Naumburg aus dem Naumburger Dom des 13. Jahrhunderts nachempfunden, ist die böse Königin, bevor Schneewittchen heranwächst, noch die Schönste „im ganzen Land“. Ihre Züge sind linear und elegant, aber starr, als wäre die berühmte Skulptur kurzerhand aus dem Stein erwacht. Die böse Königin erinnert in ihrer manischen Besessenheit nach Schönheit und dem Verstecktsein im Schloss an Ludwig II., unseren Märchenkönig. Helmut Berger verkörpert dessen Krankheitsgeschichte 1972 in Luchino Viscontis Spielfilm Ludwig und führt das ewige Zitate-Ping-Pong zwischen Disney und Mittelalter-Sehnsucht fort. Gegen Ende verkümmert auch Ludwig optisch immer mehr zu einer Art Horrorgestalt, bis sein Gesicht zu einer wachsartigen Maske wird. Interessant ist, dass das Spiegelbild der bösen Disney-Königin, eine ebensolche Maske ist, die mit einer Männerstimme zu ihr spricht. Mit dem Auftritt von Schneewittchen wird die Königin zur Zweitschönsten. Als die böse Stiefmutter darauf ihren „Keller“, das Verlies, im Wahn betritt, verwandelt sie sich in einer eindrucksvollen Metamorphose in eine hässliche, alte Hexe. Als eine solche Schauergestalt lebt sie in einer Architektur von Nischen, Kerkern, verkleideten Fenstern mit zugezogenen Vorhängen und demnach in ständiger Dunkelheit. Schneewittchen betritt, bis auf das Zwergenhaus, kaum ein Gebäude und ist daher ständig in der Natur und im Licht. Auch die Architektur und die Umgebung weisen die Zuschauer also darauf hin, vor wem sie sich zu fürchten haben und wo man diese Gestalten findet.

Die Zwerge werden weniger als ernstzunehmende menschliche Charaktere vorgestellt, sondern vielmehr als sieben weitere Waldbewohner, die alle in einem zweistöckigen Häuschen leben, die Hausarbeit verlernt haben und tagsüber nach Schätzen unter der Erde graben. Sie schauen verständnislos in ihre eigene Reflexion im Wasser und scheinen sich gar nicht zu erkennen. Deshalb haben sie auch keine Angst vor der Dunkelheit einer Mine oder den Schatten im Wald, sie sind schlichtweg im Freud‘schen Sinne mit ihrem „Es“ im Reinen und psychologisch gleichgestellt mit den anderen tierischen Helfern und Freunden Schneewittchens. Ihr Haus liegt in einer friedlichen Waldlichtung und wirkt durch seine Größe, auch im Vergleich zu Schneewittchen, wie ein Miniaturgebäude oder ein Puppenhaus. Dort spielen auch die für mittelalterliche Disney-Filme typischen Wasch- und Putz-Szenen, die dem Klischee vom schmutzigen Mittelalter entgegenwirken.

Das Spiegelmotiv zieht sich bis zum gläsernen Sarg, in dem Schneewittchen – optisch unverändert –, also ohne Zeichen des Verfalls durch den Tod, schläft. Als nahezu architektonisches Objekt suggeriert er das Glashaus, also völlige Transparenz, auch das Innenleben betreffend. Die Königin, die ihr wahres Selbst, eine Hexe, hinter ihrer schönen Fassade und auch hinter Mauern und Vorhängen versteckt, steht im krassen Gegensatz zu Schneewittchen, die charakterlich genauso ästhetisch ist wie sie erscheint. Darum kann sie wie ein Kunstwerk hinter Glas betrachtet werden, ohne zu vergehen. Dass die äußerliche Erscheinung und das Wesen des Charakters bei Schneewittchen übereinstimmen, ist ein wiederaufgegriffenes ästhetisches Ideal des Mittelalters, das sich in ihr erfüllt. Es ist also kein Wunder, dass die böse Königin, wenn sie stirbt, nicht zurückverwandelt wird. Ihr wahres Gesicht ist das einer alten Hexe und so stimmt auch ihr Äußeres letztlich mit ihrem Inneren überein.

Nachdem die Hexe tot und Schneewittchen vom Prinzen aus ihrem gläsernen Sarg in der Waldidylle gerettet wird, führt er sie auf seinem Pferd in Richtung Schloss, das man aus der Ferne sieht und das hier deutlich als apotheotisches Schloss in den Wolken inszeniert ist. Das erinnert an die Idee des Schlosses als Abbild des himmlischen Jerusalems und verweist auf eine Art Heimkehr. Es leuchtet und strahlt umrahmt von einer Landschaft aus Sonne und Wolken, wie der Himmel auf Erden. Das Paar verharrt vor dieser Aussicht, während das Märchenbuch sich ein letztes Mal an die Zuschauer wendet mit dem Satz „und sie lebten glücklich bis ans Ende“. Aus dieser Distanz betrachtet ist das Schloss der absolute Sehnsuchtsort eines romantischen Mittelalters und birgt genauso viele Rätsel, Geschichten und Überraschungen, wie die menschliche Psyche, die optisch betrachtet, enträtselt werden kann. Die Disney-Studios suggerieren, dass ihre Filme bei dieser Entschlüsselung, durch ihre Funktion als Spiegel oder wortwörtlich als Abbild verschiedenster Charaktere, helfen können und Zusammenhänge über das Mittel der Nostalgie verständlich machen.

So gesehen ist Schneewittchen und die sieben Zwerge Disneys Einführung in die menschliche Sehnsucht nach der Märchenwelt des Mittelalters mit dem Schloss als absolutem Ideal. Märchen, Mittelalter und menschliche Gefühle werden in Disney-Filmen untrennbar miteinander verschmolzen und lassen uns, Generationen von Kindern der Disney-Welten, immer auch an das Märchen-Mittelalter denken, wenn wir uns an unsere Kindheit erinnern.

Schneewittchen und die sieben Zwerge. 1937, Regie: David D. Hand, USA, © Disney. Min: 82:55.

Die Funktion von Form und Farbe in Architektur und Landschaft von Walt Disneys „Dornröschen“

Das Märchen um die Schlafende Schöne im Walde, im französischen Original La Belle au bois dormant, von Charles Perrault aus dem 17. Jahrhundert hat besonders durch die Aufnahme in die Kinder- und Hausmärchensammlung der Brüder Grimm von 1812 an Bekanntheit zugenommen. Speziell das 19. Jahrhundert zeichnet sich durch seine romantisierende Mittelalter-Sehnsucht aus, doch auch heute noch ist dieser über 400 Jahre alte literarische Stoff so gut wie jedem ein Begriff. Vielfach und in verschiedensten Medien (vom Roman über Theater, Musik und Film) bis heute rezipiert, erreicht diese unvergessene Liebesgeschichte die Kinder zahlloser Generationen. Man sollte also meinen, in einem weiteren Zeichentrickfilm aus dem Hause Disney zum Thema „schlafende Prinzessin“ gibt es nicht viel, was den Zuschauer in Erstaunen versetzen kann. Doch dann erscheint 1959 die Disney-Version Dornröschen (im englischen Original The Sleeping Beauty,Regie Les Clarc, Clyde Geronimi, Eric Larson und Wolfgang Reitherman) und ist im positiven Sinne schockierend. Die Verfilmung dieses Märchen-Klassikers ist der letzte Film, an dem Walt Disney noch selbst in der Produktion mitwirkt und überrascht trotz der allseits bekannten Geschichte besonders auf visueller Ebene. Ähnlich der Rahmenerzählungen älterer Disney-Filme wie Schneewittchen und die sieben Zwerge (1937), Pinocchio (1940) oder Cinderella (1950), beginnt auch Dornröschen nach Disney-Manier mit dem Aufschlagen eines Märchenbuchs. Doch schon in den ersten Szenen wird klar: Das Design der Figuren und Gebäude im Vergleich zu den rundlichen, weichen Zügen bisheriger Disney-Filme wird aufgebrochen.

Die eher einfach gehaltene Handlung wird durch stark geometrisierte und stilisierte Formen sowie breite Farbspektren von Erd- bis Neonfarben untermalt und modernisiert. Die Form- und Farbgebung der Szenerie teilt die Welt ein in eine „gute“ und eine „schlechte“ Natur. Die gute Natur im Reich von König Stefan, Dornröschens Vater, ist, wie seine eigene Statue, linear, schmal und von geometrischer Ordnung. Alles erscheint langgezogen, eckig und spitz, selbst die Proportionen und Gesichtszüge des Königspaares erinnern an die schmale Grazie eines gotischen Bauwerks, in dem sich das Geschehen abspielt. Das Schloss, die Lanzen und die Hüte der Gäste, die zu Dornröschens Geburt im Königshaus zu Gast sind, all das sticht optisch nadelspitz hervor und präfiguriert damit die Spindel, an der sich die Prinzessin an ihrem 16. Geburtstag stechen wird.

Die ungeladene böse Fee namens Malefiz erscheint gekränkt ob dieser Missachtung in der bunten Gemeinschaft und belegt den hallenartigen Festsaal im Moment ihrer Ankunft mit einem Grauschleier. Sie repräsentiert die schlechtartige, wilde und ungezähmte Natur und erscheint daher immer in Verbindung mit Naturgewalten wie Feuer, Blitz oder Donner und ist auch charakterlich voller spitzzüngigem Hohn. Gekleidet ist sie in ein dämonisches schwarzes Gewand und als Kopfbedeckung trägt sie ein zu Teufelshörnern stilisiertes Doppelhennin. Sie lebt zurückgezogen, ist in der Lage, sich in einen Drachen zu verwandeln und erinnert dadurch stellenweise an eine bösartige Version der mittelalterlichen Sagengestalt Melusine. Ihr blasses aber anmutiges Gesicht in Kombination mit ihrem langen Mantel wirft das Bild eines Vampirs auf, der durch seine spitzen, scharfen Zähne ebenfalls verletzt und seine magischen Fähigkeiten durch böse Mächte erlangt hat. Auch Malefiz nutzt ihre Magie nur für Schlechtes und so verflucht sie das neugeborene Königskind und verkündigt, dass die Prinzessin an ihrem 16. Geburtstag durch eine Spindel zu Tode kommen wird.

Der Feier wohnen auch die guten Feen und bunt gekleideten Naturgeister Flora, Fauna und Sonnenschein bei. Sie mildern diese Verwünschung ab zu einem hundertjährigen Schlaf, der durch „der wahren Liebe Kuss“ beendet werden kann. Sie schmieden mit den Eltern der Prinzessin einen Plan, der das Mädchen vor dem Unheil bewahren soll. Unbemerkt schleichen sich die Feen mit dem Säugling Aurora, was übersetzt etwa „Morgenröte“ bedeutet, aus dem Schloss. Sobald Aurora aus dem Gebäude verschwindet, scheint dauerhaft Nacht im Reich ihrer Eltern zu sein. „Röschen“, wie sie zu ihrem eigenen Schutz von ihren Patinnen gerufen wird, lebt mit den drei Damen, die sie für ihre Tanten hält, in einem Wald fernab des heimatlichen Schlosses. Dort wirkt Aurora wie eine Nymphe, denn wo sie steht, singt oder geht, scheint die Sonne und die Tiere erwachen aus ihrem Schlaf. Sie erfüllt unwissend die Bedeutung ihres königlichen Namens. Auch die Natur ihrer Heimat ist eine Kombination aus stark auf eckige geometrische Formen reduzierte Bäume im Hintergrund und gleichsam veristisch gemalte Details im Vordergrund. Es scheint fast so, als wäre in ihrer Nähe alles detailreich und malerisch gezeichnet und je weiter weg sich ein Baum von ihr befindet, desto pixelartiger und plakativer wirkt er. In diesem Wald sollen die guten Feen Aurora vor dem Fluch, mit dem Malefiz sie belegt hat, beschützen, bis sie 16 ist und Prinz Philip angetraut werden soll.

Von dieser Abmachung zwischen den ihr unbekannten Eltern und den Feen weiß Aurora nichts und nimmt daher ihre vorbestimmte Hochzeit mit dem Prinzen nicht gut auf, als sie zu ihrem 16. Geburtstag endlich von ihrer Herkunft erfährt. Denn zuvor hatte sie im Wald zufällig einen Mann getroffen, den sie, obwohl sie seine Identität nicht kennt und er sie für ein Bauernmädchen hält, liebt. Sie glaubt, ihn vorher nur „einmal im Traum“ gesehen zu haben, doch tatsächlich wurden sie sich als Aurora geboren wurde bereits als Verlobte vorgestellt. Doch unter den gegebenen Umständen erkennen sie einander nicht und lehnen daher beide ihre vorbestimmte Verlobung ab. Als Aurora blass und todtraurig den Weg ins Schloss ihrer Eltern antritt und dort ihre Hochzeit erwartet, erscheint Malefiz als neongrünes Licht, das Aurora hypnotisiert und durch einen Geheimgang in einen Turm zu einem magischen giftgrünen Spinnrad führt. Aurora und der Zuschauer werden gleichermaßen optisch gebannt von dem starken Kontrast des grau-schwarzen Gemäuers und dem herausstechenden Grün der Spindel. Wenn der Finger des Mädchens die Spindel berührt, schließt man als Zuschauer ebenfalls kurz geblendet die Augen, weil das ganze Bild in einem grellen Grün aufleuchtet. Da die Feen von einem 100 Jahre andauernden Schlaf ausgehen, belegen sie auch den Rest des Königreichs mit einem Schlafzauber und legen es still, bis zu dem Tag, an dem man es wieder erwecken kann. Dies ist eine Wunschvorstellung vieler Mittelalter-Begeisterter, die anstelle von unvollständigen Überresten mittelalterlicher Relikte gerne ein solch eingefrorenes Bild, einen Screenshot, von einem der dort erstarrten Mittelalter-Szenarien besitzen würden. Im Film festgehalten ist der vollbesetzte Thronsaal, ein heiteres Trinkgelage und Wachen, deren Lanzen und Banner langsam zu Boden sinken, sodass es scheint, als würde die Architektur ebenfalls eingeschläfert werden.

Der Einzige, der nicht schläft, ist der Geliebte Auroras, Prinz Philip. Er ist unterwegs, um die Prinzessin von dem Fluch zu erlösen. Dazu muss er sich erst der bösen Hexe Malefiz stellen, die das Schloss mit einem dichten, wilden Zaun von blitzartig sprießenden Dornen umschließt. Den Ursprung hat das Wort „Hexe“ im althochdeutschen Wort „Hag“ und bedeutet nicht nur „Zaun“, sondern auch „Hecke“. Damit offenbart sich die Hexe als Zaunreiterin und Grenzgängerin zwischen zwei Welten und verkörpert wortwörtlich ein dorniges Gewächs, an dem man sich verletzen kann.

Mit Hilfe der drei guten Feen bezwingt Philip die magische Dornenhecke und wird darauf erneut von Malefiz empfangen, die sich mit Blitz und Donner in einen Drachen verwandelt, der gelbgrünes Feuer speit. Fast explosionsartig verbreiten sich die durch den Drachen entfachten Flammen im Dornenwald. Auch in dieser Szene ist der farbliche Kontrast der kalten, hellen Farben des Feuers und des schwarz-violetten Drachens besonders stark.

Vor dem gänzlich gelben Hintergrund heben sich die zwei dunkel gehaltenen Gegner wie die schwarzen Silhouetten eines Schattenpiels ab und als Philip den Drachen mit dem Schwert ersticht, scheint es, als wäre Malefiz in Scherben zersprungen oder wie ein geplatzter Ballon in Fetzen gerissen. Das leuchtende Schwert steckt im Boden und erinnert sofort an die nicht minder berühmte Artussage. Damit wird der Prinz zum Ritter, der die Schlafende erweckt, die als Einzige in malerischen Zügen gestaltet ist, also lebendiger aussieht als der plakative Rest.

Optisch übt der Expressionismus am Anfang des 20. Jahrhunderts einen großen Einfluss auf die Gestaltung des Films aus. Auch die Expressionisten rekurrieren auf Grundformen der Geometrie, etwa das Dreieck oder den Kreis. Das kann malerische Züge annehmen oder linear konstruiert sein. Doch im Vordergrund steht in jeder Hinsicht die Sprengung: Die Sprengung der traditionellen Malerei und auch der unter dem wilhelminischen Kaiserreich starr gewordenen, militarisierten Gesellschaft. Diese wird durch die Werke des Expressionismus, der sich unzähmbar „Gefühl“ auf die Fahnen schreibt, ebenfalls wachgerüttelt.

In der letzten Szene tanzt das junge Paar im Thronsaal, wobei die drei Feen auf das Geschehen von einem Balkon aus wortwörtlich in einer Überschau betrachten. Während die Fee Fauna sich gerührt über den guten Ausgang der Geschichte freut, streiten sich die anderen beiden noch immer über die Farbe des Kleides. Als Aurora und Philip über die Geschichte hinweg in den Wolken tanzen, wechselt deshalb ihr Kleid etwa alle drei Sekunden die Farbe von blau zu rosa; eine Eigenschaft, die auch bestimmten Stoffen des Mittelalters nachgesagt wurde.

Dies kann man als schlüssige Allegorie auf die verschiedenen Betrachtungsweisen des Mittelalters begreifen, da Einige kritisch in permanenter Diskussion darüber vertieft sind, wie genau das Mittelalter gewesen sei und ob moderne Darstellungen realistisch sind, wohingegen Andere sich einfach wegtragen lassen durch den Zauber und die Phantastik, die man mit dieser Epoche verbindet.

Disney liefert für beide Haltungen, die Träumer wie die Historiker, genug Material und lässt „das Mittelalter“, wie man es auch definieren mag, aufleben. In Dornröschen geschieht das in einer kühnen Kombination mit dem Expressionismus, der auch als „verzerrte Gotik“ beschrieben wird.

Dornröschen. 1959, Regie: Les Clarc, Clyde Geronimi, Eric Larson und Wolfgang Reitherman, USA, © Disney. Min: 26:22.

Die Personifizierung der Kathedrale im „Glöckner von Notre Dame“

Manche Orte, sagt man, haben eine Seele. Die Kathedralen der Gotik sind durch ihre riesigen bunten Fenster als ein solcher genius loci konstruiert. Die vielleicht berühmteste gotische Kathedrale hat nicht nur, wie der Film der Disney Studios Der Glöckner von Notre Dame von 1996 (im Original The Hunchback of Notre Dame, Regie Gary Troesdale) zeigt, eine Seele, sondern sogar ein Geschlecht. Sie wird bereits im Namen personifiziert: Die Notre Dame, also wortwörtlich „unsere Dame“ wird im Zeichentrickfilm im spätmittelalterlichen Paris als klangvoll hallende Ikone inszeniert, die monumental aus der fachwerklichen Altstadt herausragt. Die Hauptstadt Frankreichs dient der Handlung des Films als mystischer Schauplatz, in dem jedes Gebäude dieser Kulisse mit einer eigenen Aura ausgestattet und von den Charakteren besungen wird. Im Fall der Notre Dame bekommt das Gebäude sogar selbst eine Stimme und nimmt als weitere Figur am Geschehen teil. Die Kathedrale nimmt unterschiedlichste Positionen ein: Mal tritt sie als Zufluchtsort auf, als Abenteuerspielplatz und Zuhause, das mit seinen Glocken den Takt für die Bewohner von Paris vorgibt und so alles im Rhythmus hält. Als ordnende Instanz wird sie so vom Erzähler, einem Gaukler, eingeführt und tritt bereits in der ersten Szene als eine Art Hüterin auf.

Der Glöckner von Notre Dame beginnt dramatisch:Der in Disney-Filmen obligatorische Schurke, Richter Claude Frollo tötet aus Unachtsamkeit vor dem Eingang der Notre Dame eine asylsuchende Zigeunerin, die einen Säugling bei sich trägt. Der Erzdiakon betont nach diesem Geschehen Frollos untilgbare Schuld, indem er ihn belehrt mit den Worten: „Du kannst dich und die deinen belügen und du stellst dich so fromm wie ein Lamm, doch du kannst nichts verleugnen, die Zeugen, sie starren dich an, schau in die Augen Notre Dames“. Dazu werden die Heiligenfiguren der Kirchenfassade eingeblendet, wie sie mit starren Blicken zu Frollo schauen und ihm wird zum ersten Mal seine Schuld bewusst, die ihn im Verlaufe der Handlung immer wieder in Form von schlechtem Gewissen und Halluzinationen heimsuchen. In diesen Szenen wird deutlich gezeigt, dass, obwohl Frollo ein Richter ist, letztlich die Kirche beziehungsweise das Gericht Gottes über jeden einzelnen entscheidet, egal, welchen Stand er auf Erden zu haben glaubt.

Frollo wird befohlen, das Kind der Getöteten wie sein eigenes aufzuziehen, was er widerwillig annimmt. Dieses Kind, das Frollo aufgrund seines Aussehens Quasimodo, also den Unvollendeten, nennt, wächst im Glockenturm der Notre Dame auf, den der Junge niemals verlassen darf, weil er, wie Frollo behauptet, ein Monstrum sei.

Teil der Stadtgemeinschaft zu sein ist der größte Wunsch des missgestalteten Helden. Er verbringt die ersten 18 Jahre seines Lebens im Glockenturm und damit in großer Distanz zur Stadt, sodass er lediglich als Beobachter fungiert und sich sehnsuchtsvoll eine Miniatur der Stadt baut, die er endlich aus der Nähe sehen und ein Teil von ihr werden will. Die einzigen, ihm freundlich gesinnten Wesen, sind die Glocken, denen er Namen gibt, und die Wasserspeier, die aufgrund von Quasimodos Einsamkeit lebendig werden und ihren Freund und ihr gemeinsames Zuhause verteidigen. Außer seinem herzlosen Ziehvater scheint Quasimodo noch niemals jemandem begegnet zu sein und daher kennt er außer den Namen, die in der Messe der Kirche fallen, keine Namen und nennt daher alle Glocken „Marie“.

Quasimodo kennt das imposante Gebäude auswendig und macht die Architektur in den zahlreichen Kletterszenen zu seinem Abenteuerspielplatz. So werden die Feinheit und zugleich die optische Gewalt eines gotischen Bauwerks aus verschiedenen Perspektiven dargestellt, ohne wie eine Kunstdokumentation auf die Zuschauer zu wirken, denn der Blickwinkel ist der eines Kindes, das sich selbst gerne an einem solchen Klettergerüst austoben würde.

Nachdem Quasimodo jahrelang die Mauern seiner Kirche erkundet hat, möchte er ein neues Kapitel aufschlagen, was die Handlung zu einer Adoleszenz-Geschichte werden lässt. Der Protagonist sucht seinen Platz in der Welt und begreift im Prozess des Erwachsenwerdens, dass er dazu an der Gesellschaft teilnehmen muss. Die Gemeinschaft als Sehnsuchtsort existiert aber nur in seiner Vorstellung. Sobald er zum ersten Mal in Berührung mit dem Volk kommt, wird er gefesselt, öffentlich gedemütigt und durchlebt eine komprimierte Version vom Schauder des Mittelalters und der Pubertät zugleich.

Als Quasimodos erster Ausflug in die Stadt eskaliert, ist die einzige Person, die ihn freundlich behandelt und vor dem Hass der Anderen schützt, die Zigeunerin Esmeralda. Sie wird als verführerischer Vamp eingeführt, die auf der Straße für Geld tanzt. Sie erfährt ebenfalls Ungerechtigkeit und Diskriminierung, weil sie zu einer Minderheit gehört. Trotzdem ist sie eine emanzipierte und ebenso schlagfertig wie schöne Frau mit der Mimik und Gestik einer klassischen „Latina“, deren Charme jeder Mann des Films, einschließlich Quasimodo, Frollo und der Hauptmann der Soldaten, Phoebus, erliegt. Letzterer genießt nicht von Anfang an ihre Gunst, denn auch Esmeralda ist nicht frei von Vorurteilen gegenüber Soldaten. Schließlich entsteht zwischen den Beiden doch noch ein Band der Liebe. Dies geschieht zum Leidwesen Quasimodos, der neben der Demütigung durch die öffentliche Fesselung und den Stadtbewohnern, die ihn spontan mit faulendem Obst bewerfen, nun auch die Folter durch unerwiderte Liebe erfährt.

Neben der Fesselung Quasimodos werden dem Zuschauer auch andere als „typisch mittelalterlich“ verstandene Folterpraxen vorgeführt. Sie werden jedoch separat zu Quasimodos Leidensweg durch einen trotteligen, alten Pechvogel, der von einem Strafwerkzeug ins nächste stolpert, abgemildert und karnevalisiert. Gezeigt werden beispielsweise der Pranger und Hängekäfige. Auspeitschungen werden angedeutet und die Hexenverbrennung von Esmeralda, die Frollo ansetzt, wird im letzten Moment durch den Helden verhindert. Auch die Vorstellung vom Tugendbegriff im religiösen Mittelalter und der damit einhergehende Druck auf die Charaktere wird ein Hauptthema des Films. Jede der Hauptfiguren entwirft eine eigene Vorstellung von dem, was sie unter Gemeinschaft versteht und wird doch immer nur mit dem Stadtvolk als feindlicher Masse konfrontiert, die die Vorstellung des „finsteren Mittelalters“ verkörpert. Die Hauptfiguren stellen sich allesamt die Frage, ob sie gute oder schlechte Menschen sind und wodurch sich eine Antwort, ein Beweis dafür finden lässt. Dazu wird der Begriff „Monstrum“ verwendet und alles kreist darum, ob man zu den Menschen oder den Tieren gehört, also ein Monstrum ist. Das städtische Getümmel in den zahlreichen kleinen Gassen der Pariser Altstadt wird semantisch aufgewogen gegen die Einsamkeit der Hauptcharaktere, die alle, auch der Schurke Frollo, als eine Form der Vereinsamung und Isolation durchleben.

Die Bürger von Paris feiern im Film hedonistisch den Karneval und lassen sich innerhalb von Sekunden von einer ausgelassenen Gemeinde zum wütenden Mob verwandeln. Sie symbolisieren eine diffuse Feindlichkeit, die die Ungerechtigkeiten des hier entworfenen Mittelalters praktizieren.

Die Oben-Unten-Semantik der Gotik wird durchgängig beibehalten und je weiter oben sich eine Figur befindet, desto reiner ist ihr Charakter. Der Hauptcharakter erklettert routiniert die Türme der Kathedrale und ist so durch seinen Wohnort Gott am nächsten, wohingegen gegen Ende des Films der Boden des Marktplatzes durch ein kriegsähnliches Geschehen in Feuer und Lava  aufgeht. Die Kirche ist dann wortwörtlich der einzige sichere Ort für die Helden und rettet sie vor dem Sturz ins Höllenfeuer. Diese Vorstellung von mittelalterlichem Christentum ist durch den Schwerpunkt Kirche als Dreh- und Angelpunkt für den von Gott instruierten, menschlichen Zusammenhalt passend in die rettende Funktion der Architektur übersetzt. Dieses Zusammenfinden, symbolisiert durch die Liebe zu Esmeralda, benennt Quasimodo in seinem Lied Das Licht des Himmels und befürchtet, aufgrund seines Aussehens nie davon berührt zu werden, wechselt jedoch von Angst zu Hoffnung. Am Ende des Liedes fährt die Kamera zu Frollo, der ebenfalls in Liebe zu Esmeralda singt, sie aber in seinem Lied Das Feuer der Hölle nicht als Engel, sondern als Dämon, Hexe und femme fatale beschreibt. Der Gesang ist begleitet von gesichtslosen Mönchschören. Sie besingen in lateinischer Sprache das Gewissen Frollos, sodass ein Abwechseln entsteht zwischen dem Mann, der brüllt, er sei nur verhext und unschuldig, worauf die feuerroten Mönchsgewänder ihm den Ausweg versperren und im Chor „mea culpa, mea maxima culpa“, also „meine Schuld, meine größte Schuld“, antworten. Die Kirche als Druck ausübende Gewalt wird besonders in Frollos Handlungsstrang geschildert. Als er Esmeralda kurz vor dem Ende des Films im Namen der Kirche verbrennen will und Quasimodo im Glockenturm festkettet, entsteht in Paris eine Art Bürgerkriegsszenario, dessen Mitte die Kathedrale bildet und am Kriegsgeschehen teilnimmt.

Der Glöckner reißt sich los von seinen Ketten, um Esmeralda zu retten und bringt dadurch einige Pfeiler der Kirche zum Einsturz. Die Wasserspeier und Quasimodo verteidigen sich mit allem, was sie finden und benutzen die Steine der beschädigten Kirche als Munition. Als die zahlreichen weißen Tauben, in der Kirchenmalerei oft als Motiv für den heiligen Geist verwendet, aus dem Glockenturm von einem der Wasserspeier auf die Gegner gehetzt werden, wird die in fiebriges Licht getauchte Kirche gezeigt und ein weibliches Gelächter erschallt dazu wie Siegesgeheul.

Als Frollo mit einem teuflisch aussehenden, lebendig gewordenen Wasserspeier in einer Umarmung ins Feuer stürzt, sind kurz danach Nacht, Feuer und Rauch verschwunden. Die Helden lassen sich vor der ruinösen Kathedrale vom geeinten Volk feiern und Quasimodo erlebt endlich das Gefühl, dazu zu gehören. Der Erzähler fasst Quasimodos Geschichte zusammen mit den Worten „als Nächstes versteckt sich ein Rätsel im Klang aller Glocken Notre Dame: Wer ist das Monstrum und wer ist der Mann?“ und erklärt so, dass es Teil der Aufgabe der Menschen ist, herauszufinden, wer sie sind und dass von Menschen entwickelte Begriffe oft nicht ausreichen, um einander zu verstehen.

Die Bürger von Paris tragen Qusimodo hinein in die Stadt und weg von der Notre Dame, wohingegen Esmeralda und ihr Freund, der Soldat Phoebus, denen Quasimodo seinen Segen gibt, am Eingang der Kirche stehen bleiben. Die Kirche als Hafen der Ehe glänzt über dem weiß gekleideten Paar und hat nun die Funktion des Märchenschlosses, das aus der Perspektive Gottes, also von über den Wolken betrachtet wird, womit der Film schließt.

Im Vergleich zu älteren Disney-Filmen wie Schneewittchen (1937) oder Cinderella (1950) sind die Charaktere der jüngeren Filme deutlich moderner und vielschichtiger. Sie alle suchen in einem häufig mittelalterlich angehauchten Setting ihre Bestimmung und brechen in irgendeiner Form die Regeln ihrer Welt. Das bindet die Kindheit des Protagonisten an das Mittelalter, aus dem der jugendliche Held mit seinem neuzeitlichen Geist herauswächst. Er einigt seine Gesellschaft, wie Christus, durch seinen Leidensweg und führt sie im Fall von Quasimodo in die Moderne. Dennoch wird die „mittelalterliche“ Vorstellung von einer göttlichen, alles regelnden Ordnung im Film bis zum Ende beibehalten, sodass es wie Gottes Wille erscheint, wenn Quasimodo sich beweisen kann und die isolierten Helden am Ende eine Form von Gemeinschaft erleben können. Die Kirche ist dabei das Instrument Gottes die als lebendige, machtvolle Helferin eingesetzt und demnach personifiziert wird als beseeltes Bauwerk.

Der Glöckner von Notre Dame. 1996, Regie: Gary Troesdale, USA, © Disney. Min: 01:02.

Diese Beispiele zeigen zum einen, wie komplex komponiert Disneys Zeichentrickfilme sind und wie sie uns von Kindesbeinen an glauben machen, dass wir und damit unser persönliches Happy End eine Chance in der Welt haben. Walt Disney hüllt dieses Happy End kunstvoll und verschlüsselt in die Gewänder des Mittelalters und verwebt unsere Kindheit und die damit einhergehende Idealvorstellung vom Leben in einer Zeit, in die man sich seit Jahrhunderten zurücksehnt, weil wir sie als Teil unserer Identität begreifen – immer noch und immer wieder.

Literaturverzeichnis

Aronstein, Susan; Pugh, Tison: The Disney Middle Ages. A Fairy-Tale and Fantasy Past. New York 2012.

Claeys, Gregory: Ideale Welten. Die Geschichte der Utopie. Darmstadt 2011.

Freud, Sigmund: Das Ich und das Es. Leipzig 1923.

Kreitling, Holger: 800 Jahre Karriere. Helden und Wunder sind auch heute willkommen: Der französische Historiker Jacques Le Goff über die Bildwelten des Mittelalters. Die Zeit 2005. https://www.welt.de/print-welt/article178847/800-Jahre-Karriere.html, aufgerufen am 10.07.2018.

Merkel, Kerstin: Neue Beobachtungen zur Kleidung der Naumburger Stifterfiguren, in: Krohm, Hartmut (Hg.): Der Naumburger Meister. Bildhauer und Architekt im Europa der Kathedralen. Band 3. Forschungen und Beiträge zum internationalen wissenschaftlichen Kolloquium in Naumburg vom 05. bis 08. Oktober 2011.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg