Ein Schlüsseldokument des feministischen Denkens und der Demokratiegeschichte

Gisela Bock hat Olympe de Gouges’ „Erklärung der Frauenrechte“ neu herausgegeben

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Über nahezu zwei Jahrhunderte hinweg war die 1793 von den jakobinischen Herren guillotinierte Frauenrechtlerin Olympe de Gouges so gut wie vergessen und ihre zwei Jahre zuvor erschienene Publikation Les Droits de la femme (Die Rechte der Frau), in deren Zentrum die heute so be- und gerühmte Déclaration de droits de la femme et de la citoyenne (Erklärung der Rechte der Frau und der Bürgerin) steht, war nur in einzelnen Sätzen oder kurzen Auszügen überliefert – und das nicht selten entstellt. Erst seit einigen Jahrzehnten liegt ihr bekanntester Text wieder in ungekürzter Form vor. In deutscher Sprache kam seither sogar ein rundes Dutzend verschiedener Übersetzungen auf den Markt. So erschien etwa in der Schweiz 1999 eine Übertragung von Karl Heinz Burmeister, die inzwischen weitere Auflagen erreichte. Auch einige andere Publikationen der in zahlreichen Textsorten beschlagenen Autorin wurden seither ins Deutsche übersetzt.

Die renommierte Historikerin Gisela Bock hat der Reihe der Übersetzungen der Rechte der Frau nun eine weitere hinzugefügt. Doch nicht nur das; für die von ihr herausgegebene zweisprachige Ausgabe der im Original gerade einmal 24-seitigen Broschüre de Gouges’ hat sie einen profunden Begleittext geschrieben. Er firmiert als Einleitung und trägt den Titel „Menschenrechte, Männerrechte, Frauenrechte“. Bock konzentriert sich insbesondere auf die Erklärung der Rechte der Frau und der Bürgerin, in der die Autorin de Gouges’ „kühnsten und originellsten“ und somit zweifellos zu Recht bekanntesten Text erkennt. Bemerkenswert ist etwa, dass de Gouges im sechsten Artikel ihrer Erklärung fordert, „alle Bürgerinnen und Bürger müssen persönlich oder durch ihre Vertreter“ an der Gesetzgebung mitwirken können und „zu allen Würden, Stellungen und öffentlichen Ämtern zugelassen werden“. Damit hat sie nicht weniger geleistet, als die erst im 19. Jahrhundert lauter werdende Forderung nach dem Frauenwahlrecht vorzuformulieren. Ein „historisches Novum“, wie Bock konstatiert, die in ihrer Einleitung zeigt, dass und wie die Autorin der Rechte der Frau die Geschlechterdifferenz „zur Basis der Menschenrechte auch für das weibliche Geschlecht“ macht.

Verfasst hat de Gouges dieses „Schlüsseldokument“ nicht nur „der Geschichte der Frauen, der Frauenbewegung und des feministischen Denkens“, sondern ebenso „des modernen politischen Denkens überhaupt“ in enger Anlehnung an die von der französischen Nationalversammlung 1789 verkündete Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen. Gouges’ Déclaration de droits de la femme et de la citoyenne folgt ihr Artikel für Artikel, um sie „imitierend umzustülpen“, wie die Herausgeberin pointiert formuliert. Dankenswerter Weise hat Bock die Menschenrechtserklärung von 1789 ebenfalls in ihre Edition aufgenommen.

Bock interpretiert de Gouges’ Erklärung nicht nur als Ganze, sondern jeden einzelnen ihrer 17 Artikel. Überdies geht sie den Fragen nach, warum die Frauenrechtlerin ihre Broschüre der Königin gewidmet hat und warum sie von den Jakobinern hingerichtet wurde. Doch erläutert Bock die Erklärung der Rechte der Frau und der Bürgerin nicht nur, sondern „verortet“ sie in den „zeitgebunden Kontexten“ und spürt ihre historischen und ideengeschichtlichen Quellen und Bezugnahmen auf. Zu ihnen zählen nicht zuletzt Beiträge der „großen damaligen Geschlechterdebatten“. Damit vermeidet Bock, de Gouges als einmalige und überragende Erscheinung in der Geschichte der Querelles des femmes ihrer Zeit zu überhöhen.

Die neue Edition von Olympe de Gouges Erklärung der Rechte der Frau und der Bürgerin ist somit aus zwei Gründen zu begrüßen. Der eine liegt in der anhaltenden Bedeutung des Textes selbst, der andere in den instruktiven Erläuterungen seiner Herausgeberin.

Kein Bild

Olympe de Gouges: Die Rechte der Frau / Déclaration des droits de la femme.
Herausgegeben, übersetzt und mit einer Einführung von Gisela Bock.
dtv Verlag, München 2018.
160 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783423289825

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch