Unfinished Yoko Ono

Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen ehrt eine große Künstlerin der Moderne und legt einen sehenswerten Katalog vor: „Music of the Mind“

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Für die meisten wird sie immer die Frau sein, die die Beatles kaputt gemacht hat, weil sie das Liedermachertraumpaar Lennon/McCartney auseinandergetrieben haben soll. Für andere hingegen ist sie eine der treibenden Kräfte der Avantgardekunst der 1960er Jahre, die Ende der 1960er Jahre eine enorme öffentliche Bekanntheit erhielt, ja zur international beachteten Kunst- und Friedensaktivistin geriet. Yoko Ono, 1933 in Tokio geboren, war Ende der 1960er ein guter Name in der Neo-Avantgarde. Über die Liaison mit einem der prominentesten Akteure der noch jungen Popkultur eröffneten sich ihr ungeheure Möglichkeiten, künstlerisch und öffentlich aktiv und wirksam zu werden. Eben gemeinsam mit John Lennon – womit über ihn genug gesagt sein soll.

Die Kunsthalle Nordrhein-Westfalen zeigt Ende des Jahres eine umfangreiche Retrospektive des Werks Yoko Onos, zu der ein aufschlussreicher und anregender Katalog soeben auf deutsch erschienen ist. Die Ausstellung ist bis zum 1. September noch in London in der Tate Modern zu sehen, ab Ende September folgt die Düsseldorfer Fassung.

Vorgestellt werden im Wesentlichen allerdings die frühen Arbeiten Yoko Onos, die seit den frühen 1970er Jahren in New York lebt. Was bedeutet, dass vor allem ihre Konzeptarbeiten in den Blick genommen werden, die sie 1965 und in überarbeiteter Form im Jahr 1970 in einem Band mit dem Titel „Grapefruit“ vorgelegt hat (immer noch erhältlich und eine ungemein amüsante Lektüre). Die Arbeiten mit John Lennon bis um 1970 werden gleichfalls noch in den Blick genommen, kulminierend im „Bed-In for Peace“ aus dem Jahr 1969. Das Interesse der Retrospektive aber richtet sich offensichtlich mehr auf die Engführung von Kunstavantgarde und Popmusik, die Ende der 1960er Jahre zahlreiche Schnittpunkte hatten und mit der die Avantgarden auf einmal ein Massenpublikum erreichen konnten. Was so ein kleiner elektronische Loop am Anfang eines Songs eben so schafft.

Der Horizont einer künstlerischen Avantgarde, die nicht auf ein kleines, elitäres Kunstpublikum beschränkt ist, schien mit einem Mal auf. Diese Perspektive brach im Lauf der siebziger Jahre weitgehend zusammen, was auch dazu führt, dass das Interesse an Yoko Onos Werk zurückging. Ihre späteren bildkünstlerischen Werke werden zwar ebenso wie die Cover ihrer Alben, die sie bis in die jüngere Vergangenheit publiziert hat, vorgestellt. Darunter Alben wie „Yes, I am a Witch“ von 2007 (nicht im Katalog, aber hörenswert). Im Zentrum aber steht die junge Avantgarde- und Fluxusaktivistin.

Bekannt wurde Yoko Ono durch – teils musikalische – Perfomances und Arbeiten, für die sie recht offen gehaltene Anleitungen schrieb. Im Zentrum stand dabei vor allem Werke, bei denen das Publikum (real oder imaginiert) an der Realisierung beteiligt werden sollte. Das nimmt eine Überlegung auf, nach der die Bedeutung von Kunst zu wesentlichen Teilen in der Rezeption, und damit je individuell, wenn nicht subjektiv bestimmt wird. Yoko Ono geht aber einen Schritt weiter, indem sie in der Entstehung des Werks die Rolle des Publikums, des Rezipienten als konstitutives Element mit reflektiert, und sei es, indem sie die Aneignung des Werks und des Künstlers durch das Publikum in actu offenlegt. Und damit alle Brüche und Zumutungen, die in der Beziehung von Künstler, Werk und Publikum wirksam sein mögen.

Das zeigt sich nicht nur in ihren „Unfinished Paintings“, die Yoko Ono in den 1960er Jahren ausstellte: Betrachter sollten die Gemälde nicht nur betrachten, sondern waren aufgefordert, sie selbst mit zu gestalten. Auch in den Performances finden sich solche Ansätze, etwa in der wohl bekanntesten, ja berüchtigsten „Cut Piece“, bei der das Publikum Stücke von der Kleidung der auf dem Boden hockenden Künstlerin abschneiden sollte – was es dann bis auf das wohl letzte Stück tat. Zu sehen ist das auf zeitgenössischen Aufnahmen in Youtube, auf denen sich die befangene Atmosphäre der Perfomance erhalten hat.

Daneben finden sich Performances, die sich durch eine verblüffende Reduktion auszeichnen, was teils schon an der Niederschrift des Konzeptes zu erkennen ist, etwa bei „Lighting Piece“: „Light a match and watch till it goes out“. Das wars. In den Aufnahmen, die sich dazu finden lassen, hat das eine visuelle und eine akustische Dimension. Betrachter sehen und hören, wie das Streichholz entzündet wird und niederbrennt.

Der Katalog bringt eine große Fülle von Instruktionen Yoko Onos, zum Teil in der japanischen Verschriftung durch ihren ersten Mann, was eine eigene ästhetische Qualität hat. Die Werke selbst, vor allem die Performances werden durch zahlreiche Fotografien präsentiert, die teilweise selbst wieder seriellen Charakter haben. Dem Schönen entgeht man auch in der Avantgarde nicht. Hinzu kommen vor allem fotografische Dokumente aus dem Umkreis der Arbeiten, Aufführungen und Ausstellungen, mit denen auch die öffentliche Resonanz Yoko Onos vorgeführt wird. Eine werkbiografische Abhandlung und ein Werkkatalog schließen den Katalog ab, der damit – was ja Kataloge dieser Qualität auszeichnet – einen dokumentarischen Auftrag erfüllt. Neben den Eindrücken, die Abbildungen und begleitende Texte vermitteln, bleiben die hard facts der Werke und ihrer historischen Abfolge. Einige Songtexte und Plattencover, auch jüngeren Datums, ergänzen den Band.

Allerdings bleiben Vorbehalte. Ein letzter hartnäckiger Rest der Genieästhetik, von der man doch eigentlich dachte, dass sie mit den Modernen der 1960er Jahren endgültig beerdigt worden wäre, hält sich dann doch auch im Stil der Beiträge (wenn denn diese stilistischen Eigenheiten nicht auf die Übersetzung zurückgehen): Da muss dann das Werk „geschaffen“ werden, und wenn die Künstlerin irgendwo ihren Aufenthalt nimmt, „weilt“ sie dort selbstverständlich. Ein einfaches „machen“ und „sein“ reicht da anscheinend nicht aus – was gerade bei einer derart radikalen Konzept- und Fluxuskünstlerin wie Yoko Ono dann doch befremdlich wirkt.

Das mündet nolens volens gelegentlich ins stilistische Behäbige, wenn sich etwa in der Beschreibung einer Performance Onos (Acorn Event, 1968) die folgenden Sätze finden lassen: „Das größere Anliegen dieser Arbeit war es, Friedenssamen zu säen – als Symbol der Möglichkeit, dass sich Unterschiedliches vereinen lässt, dass Ost und West zusammenfinden können. Eine dekorative Bank erlaubte es, den gepflanzten Eichen beim friedlichen Wachsen zuzusehen.“ Einmal vom misslungenen Metaphernmix abgesehen (gesäte Samen zu sehen, wo Eichen gepflanzt wurden, was dann ein paar Jahre später Joseph Beuys mit seinen Kasseler 7000 Eichen wieder aufnehmen sollte), zeugt die Passage vor allem von dem Versuch, das kritische bis kontemplatorische Potenzial der Performance zu entschärfen: Man sieht die frisch vereinten Yoko und John auf der demonstrativ dekorativen Bank Händchen haltend und den Eichenpflänzlein beim Wachsen zusehen. Himmel! Spätestens jetzt ist aller Respekt vor der psychedelischen Wende Ende der sechziger Jahre perdu, wenn sich denn nicht in dieser Petitesse eine Leerstelle der Kunstgeschichtsschreibung, wenigstens dieses Bandes, zeigen würde. Die Fokussierung auf eben vor allem Biografisches resp. die Rekonstruktion der persönlichen Netzwerke, die auch in der Moderne der 1960er von besonderer Bedeutung waren, ist zwar nachvollziehbar. Immerhin gilt es hier Basisarbeit zu leisten und die historischen Dimensionen des Werks Yoko Onos herauszuarbeiten. Allerdings zeigen die Beiträge durchgehend einen genuinen Mangel, nämlich die fehlende Auseinandersetzung mit den ästhetischen Verfahren Yoko Onos. Sicher, ohne die New Yorker Szene, ohne London, Tokio oder wo auch immer Ono war, ist ihr Werk nicht vorstellbar. Aber der Ansatz kommt aber an seine Grenzen, wenn das künstlerische Konzept von den biografischen Erfahrungen abgeleitet wird bis hin zu den frühkindlichen Prägungen. Das mag einem modernen Bedürfnis geschuldet sein, Abstrakta, in diesem Fall abstrakte Kunst, zu authentifizieren. Letztlich steht dahinter aber nur ein methodisches Unvermögen, ästhetische Verfahren zu analysieren. Was als Analyse daherkommt, zeugt aber letztlich nur von der Beliebigkeit, mit der ästhetische Phänomene biografisch begründet werden. Sie werden auf diese Weise beliebig. Was die Neigung erhöht, die Rekonstruktion der Biografie aus der kunsthistorischen Forschung auszuschließen, wie das – für die Literaturwissenschaft – vor langen Jahren Tzvetan Todorov gefordert hat.

Keine Frage, zahlreiche Fotos etwa auch der konzeptionellen Entwürfe lassen Leser eine Spur aufnehmen, was Onos Kunst ausmacht. Aber mehr ist dann auch nicht, soll heißen – und man weiß nicht recht, ob das das Ziel des Bandes ist –, die gesamte performative, serielle wie musikalische Qualität müssen Leser selbst rekonstruieren. Die Texte hingegen springen, wenn sie überhaupt die Arbeiten in den Blick nehmen, von der Skizze zur Bedeutung, was gelegentlich an Banalität verblüffend ist. Was Yoko Ono da eigentlich macht, und wie und welches Konzept dahinter steckt: Fehlanzeige. Katalogleser können sich allerdings mit Youtube oder den Streamingdiensten behelfen, und sich eigene Eindrücke verschaffen. Es lohnt sich, Yoko Ono zuzusehen und zuzuhören.

Titelbild

Susanne Gaensheimer / Juliet Bingham / Jon Hendricks / Connor Monahan / Patrizia Dander (Hg.): Yoko Ono. Music of the Mind.
Hatje Cantz Verlag, Ostfildern/ Ruit 2024.
304 Seiten, 48,00 EUR.
ISBN-13: 9783775757164

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