Familienangelegenheiten
Angelia Mechtels satirischer Blick in „Das gläserne Paradies“
Von Walter Delabar
Darf man eingestehen, eine Autorin der jüngeren Vergangenheit nicht zu kennen? Eigentlich nicht, zumal dann nicht, wenn sie ein solches Kaliber hat wie Angelika Mechtel. Und doch passierts, wie eben jetzt. Denn Angelika Mechtel, 1943 in Dresden geboren, 2000 in Köln verstorben, war nicht nur eine produktive Autorin, sondern hat sich auch institutionell engagiert, unter anderem im PEN Zentrum Deutschland. Zudem hat sie ihre literarische Karriere auch noch in der „Gruppe 61“ begonnen, der sowieso einigermaßen Aufmerksamkeit gebührt. Aber dennoch, bislang ist sie dem Schreiber dieser Zeilen schlichtweg durchgerutscht. Kann man aber jetzt nachholen.
Quasi als Pendant zu Laura Colwins Roman Familienglück hat Rowohlt nun Angelika Mechtels Satire Das gläserne Paradies hervorgekramt und damit ein amüsantes Stück Literatur der 1970er Jahre präsentiert. Der Roman ist 1973 eher versteckt in Starnberg erschienen, kommt also jetzt erst zu einem großen Verlag. Dem Text ist seine Entstehungszeit eingeschrieben, allein mit der zeitüblichen Moral respektive den politisierten Ansprüchen, die es braucht, um Anfang der 1970er im Literaturbetrieb zu bestehen. Aber dennoch ist er bis heute derart auf den Punkt gebracht, dass man sich glatt an neuere Themen erinnert fühlt.
Spätestens bei Onkel Egon, der begeistert Schrumpfköpfe sammelt und sich zum Kaiser von Europa ausrufen lassen will, um dem ganzen Schlamassel seit dem Ende des Ersten Großen Krieges den Garaus zu machen, ahnt man, wo man gelandet ist (vielleicht fallen dann auch ein paar neue Schrumpfköpfe an, selbst wenn es unter den gegebenen Umständen auch schon Gelegenheiten gibt, wie etwa den unliebsamen Wachtmeister, der einem wegen eines Unfalls auf die Pelle rückt und der kurze Zeit später kopflos aufgefunden wird).
Ansonsten ist die Familiengeschichte, die Mechtel hier vorführt, geprägt vom ganz normalen großbürgerlichen Wahn- bis Unsinn, in dem sich unternehmerischer Ehrgeiz, gutes (also schlechtes) Benehmen, das Bewusstsein für die Besitzstände und die Abscheu vor diesen ungehörigen Studentenprotesten und Streiks, vor denen die Leute heutzutage nicht zurückschrecken, zu einer Gemengelage zusammenfügen, die den heutigen Leser mit einigermaßen großer Verwunderung auf die Szenerie schauen lässt.
Sicher, Mechtel übertreibt mächtig. Dass sie nun gerade den armen Germanistikprofessor Born und seine Familie (Frau, zwei Söhne, drei Enkel) in den Blick nimmt und keinen gestandenen Unternehmer, dem ja von vorneherein jede Untat zuzutrauen wäre, ist vielleicht der Absicht geschuldet, das Betuliche ums Großbürgerliche besonders herauszustellen, das das Grausame nur notdürftig bemäntelt. So ein Ordinarius hat schon etwas Heimeliges an sich. Seine Familie, die auf den angemessenen Status und Umgang achtet, und sich dabei auch vor einem Onkel Egon nicht scheut, ist schon sehr aus der Zeit gefallen, gerade in den frühen 1970er Jahren, in denen ja alles auf Aufbruch stand. Man erinnere sich an die Ära Brandt (selbst wenns da auch einen Franz-Josef Strauß gab), an die Gründung der Reformuniversitäten und dann noch an den Marsch durch die Institutionen. Aber man darf eben auch nicht von den Ungleichzeitigkeiten absehen, die auch die frühen Siebziger auszeichnen. Auch so ein historischer Begriff.
Aber Mechtel ist wohl auf etwas anderes heraus, für dessen perversen Extreme der durchgedrehte Medizineronkel mit seinen Schrumpfköpfen steht. Für die Auseinandersetzungen in der Moderne stehen denn auch eher die beiden Söhne ein, von denen der eine sich als Unternehmer hervortut, vor allem als einer, der marode Unternehmen übernimmt, saniert und wieder verscherbelt. Nun trifft das in einem Fall eine Druckerei, in der der Bruder untergeschlüpft ist, weil sein Verlag nichts mehr abwirft. Wie es die Familiengegebenheiten erfordern, kickt der eine Bruder den anderen aus der Firma. Der Streit wird in die Familie getragen, der immer Unterlegene der beiden unterliegt auch hier, und am Ende gehen alle Ihrer Wege.
Das ist in der Tat halbwegs banal, halbwegs absurd, und der Rest ist Satire, bis hin zu dem Umstand, dass Mechtel die Geschichte mit einer eher nachlässig aufgetragenen Mördermetapher verziert, mit der Faszination der Akteure für das Jagen und Töten: Wer eben der Stärkere ist, der bleibt es auch. Und der Schwächere wird eben gefressen, was keinem hilft, selbst wenn der Stärkere auf einmal Einsamkeit zu verspüren vermeint. Haben halt alle eine Psyche. Das hätte es am Ende auch nicht mehr gebraucht.
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