Kleines bitterböses Meisterwerk

Mit „Das synthetische Herz“ legt Chloé Delaume ein kleines bitterböses und zugleich höchst amüsantes Meisterwerk rund um das unfreiwillige Singledasein ihrer Protagonistin vor

Von Karsten HerrmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karsten Herrmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Frisch geschieden bezieht die 46jährige Adelaide eine neue kleine Wohnung in Paris und denkt darüber nach, wie sich ihr Leben zukünftig gestalten und sie den Verlust ihres vorherigen Komforts kompensieren kann: Sie „stellt sich vor, dass sich ihr Herz häutet und die letzten Fetzen der Liebe abwirft […]. Darunter wartet eine nagelneue Haut auf neue Gefühle.“ Sie ist bereit, sich in das Neue und Unbekannte zu stürzen und sich dabei schnell wieder einen neuen, idealerweise gut betuchten Mann zu angeln. Denn sie, die mit Schuhen und Büchern zwei ganz gegensätzliche Leidenschaften hat, hat sich nur selten um sich selbst gekümmert. Aber sie hat auch einen exklusiven Anspruch an den Zukünftigen: „sie will eine Beziehung, keine Familie“, die sie als „Urzelle der Entfremdung“ ansieht.

Bei ihrer Suche nach einem neuen Mann weigert sich Adelaide auf Tinder & Co zurückzugreifen und versucht es auf die klassische Weise in Cafés, Kneipen und auf Partys und geht dabei mit Hilfe von Alkohol über ihre Schamgrenzen hinaus. Doch schnell muss sie feststellen, dass sie „überlagertes Fleisch“ auf dem Beziehungsmarkt ist: „Das ist die Geschichte einer Rose, die noch nicht weiß, dass sie zum Mauerblümchen wird“ und die sich schon bald eine Siamkatze zum Kraulen und Schmusen anschafft.

Parallel zu dieser Geschichte zeichnet Chloé Delaume ein episodisches Bild des aufgeheizten Pariser Literaturbetriebs: Adelaide ist Presse-Referentin in einem angesehenen Verlag und versucht die von ihr betreuten Autorinnen mit ihren ambitioniert-avancierten Werken gegen die Konkurrenz zu einem der begehrten Literaturpreise hochzuhypen. Doch dann wird ihr Verlag übernommen und sie soll nun Ramschliteratur von abgehalfterten Halbpromis promoten. So befindet sich nicht nur ihr Beziehungsleben, sondern auch ihre berufliche Existenz im Sinkflug und Adelaide muss Entscheidungen treffen. Unterstützung findet sie dabei bei ihren Freundinnen, die in ganz unterschiedlichen und immer auch irgendwie prekären Beziehungs-Stati leben.

Chloé Delaume, die im gleichen Alter wie ihre Protagonistin ist, nimmt mit einer eleganten, feingeschliffenen Prosa treffsicher das Ringen um Beziehungen im 21. Jahrhundert aufs Korn. Mit herrlichem Zynismus und Witz enttarnt sie dabei ebenso gesellschaftliche Fremdbilder und den männlichen Machismo wie weibliche, gänzlich unemanzipierte Träumereien von einem schönen Prinzen, der ein Leben in Sicherheit und trauter Zweisamkeit bietet.

Mit einem wunderbaren literarischen Kniff führt Chloé Delaume ihren Roman schließlich weder zu einem Happy-End noch in die Depression, sondern zeigt mit einem Augenzwinkern verschiedene Optionen für das Leben in Beziehung und – beziehungsweise oder – im Einklang mit sich selbst auf. Letztlich stellt sie zur Disposition, ob Frau wirklich einen Mann braucht, „um sich lebendig zu fühlen“.

Titelbild

Chloé Delaume: Das synthetische Herz.
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz.
Liebeskind Verlagsbuchhandlung, München 2022.
160 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783954381432

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