Der Fortschritt liegt im Genuss

Tanja van Hoorn hat mit „Über Leckereyen und andere Essays“ von Georg Forster eine aufklärerische Appetitanregung zusammengestellt

Von Nora EckertRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nora Eckert

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als ein für lukullische Genüsse empfänglicher Mensch zog mich der Titel des kleinen Büchleins magisch an. Die Erstausgabe der Textsammlung war bereits 2004 erschienen und liegt nun in einer veränderten 2. Auflage vor. Nicht weniger verlockend erschienen mir der Autor selbst und die Zeit, aus der die Essays stammen. Georg Forster dürfen wir wohl mit allem Recht als eine der schillernden Figuren der Spätaufklärung bezeichnen.

Er war Weltreisender, Naturforscher, Aufklärer, Schriftsteller, Freimaurer, Jakobiner, politischer Emigrant und noch vieles mehr. Er war eine Berühmtheit seiner Zeit, ein höchst produktives Mitglied der geistigen Elite Deutschlands im ausgehenden 18. Jahrhundert. Er war, zusammen mit Georg Christoph Lichtenberg, Herausgeber der Zeitschrift Göttingisches Magazin der Wissenschaften und der Litteratur. Am Ende wurde er als Revolutionär aus ebendiesem politischen Grund in seiner Heimat zur Persona non grata.

Forster war, um es pointiert auszudrücken, intellektuell leicht entflammbar. Es gab kaum ein Thema, auf das er sich nicht mit Leidenschaft stürzte. Weshalb er eine Vielzahl von Plänen und Ideen anging und sein Werk oft nur aus Anfängen und Einleitungen zu bestehen scheint, deren Vertiefung er für einen späteren Zeitpunkt in Aussicht stellt, um es jedoch in den meisten Fällen bei der kleineren Form des Essays zu belassen. Mit zwei großen Werken allerdings sicherte er sich einen Platz im Kanon der geistesgeschichtlichen Literatur, nämlich mit der Reise um die Welt, dem großangelegten Resümee seiner Weltumsegelung 1772 an der Seite von James Cook, zuerst 1777 auf Englisch erschienen, sodann im Jahr darauf der erste von zwei Bänden auf Deutsch (der zweite Band kam 1780 heraus). Das andere Hauptwerk sind die zwischen 1791 und 1794 publizierten Ansichten vom Niederrhein, mit politischen Beobachtungen angereicherte Schilderungen, die weit über den üblichen Rahmen von Reisebeschreibungen hinausgehen.

Forsters geschmacksphysiologischer Essay rückt ein Phänomen aus der Zeit um 1800 in den Blick: Die Feinschmeckerei und ihre Verbürgerlichung. Besonders auffällig wurde sie im nachrevolutionären Paris, wo sich ein regelrechter Gourmetkult entwickelte. Zu erinnern wäre hier an Forsters Zeitgenossen Alexandre Balthazar Laurent Grimod de La Reynière, der sich publizistisch immer wieder zu Fragen der Ess- und Kochkunst zu Wort meldete. Später wird ihm Jean Anthelme Brillat-Savarin mit seiner Physiologie des Geschmacks folgen und ebenso der schriftstellernde Meisterkoch Marie-Antoine Carême, um nur die bekanntesten zu nennen.

Aber auch in Deutschland regte das Thema zu schriftstellerischen Wortmeldungen an – so etwa einen Carl Friedrich von Rumohr, um im Geist der Kochkunst das Element einer vernünftigen Lebensart auszumachen. Von den gastronomischen Utopien eines Charles Fourier ist das gar nicht mehr weit entfernt, obschon Rumohr in Fragen der Rezepturen die Franzosen heftig kritisierte und auf diese Weise daran erinnert, wie Essgewohnheiten auch nationale Fragen aufwerfen. Ein unvoreingenommener Blick hätte ihn jedoch erkennen lassen, dass man das gleiche Ziel auf unterschiedlichen Wegen erreichen kann, denn auch einem Brillat-Savarin oder Carême ging es um Natürlichkeit, um den Erhalt natürlicher Aromen, ohne dabei die Raffinesse aus dem Auge zu verlieren, während Rumohr glaubte, Natürlichkeit gehe stets mit Einfachheit einher.

Von solchen Überlegungen sind Forsters Betrachtungen dennoch um einiges entfernt. Er, der Weltreisende, bringt eine betont ethnologische Perspektive ins Spiel. Seine simple Botschaft lautet: Den Menschen schmeckt überall auf dieser Welt etwas anderes. Was dem einen Hochgenuss verspricht, das lässt den anderen nur die Nase rümpfen. Eine andere Botschaft: Der menschlichen Kultur ist die Tendenz zur Verfeinerung des Geschmacks eingeschrieben. Hochkulturen streben zur kulinarischen Raffinesse. So gesehen stellt der Geschmack eine nicht unbedeutende Abteilung in der Kulturgeschichte dar.

Dem Ethnologen Forster ist die Abhängigkeit zwischen Kultur und Lebensbedingungen auf der einen und Essgewohnheiten und Vorlieben auf der anderen Seite natürlich nicht entgangen. Zweihundert Jahre später, in Zeiten einer globalisierten Welt, sind unsere Gaumen und Mägen gewissermaßen polyglott geworden. Noch nie zuvor gab es eine solche Geschmacksvielfalt im Alltag wie heute. Alle Küchen dieser Welt mit ihren Speiseplänen sind präsent und kaum noch exotisch zu nennen – in Städten zumal. Man kann das als Phänomen der Vergesellschaftung der Esskultur auffassen, die zu Forsters Zeit ihren Anfang nahm, begleitet und zugleich initiiert durch gesellschaftliche und mentale Umbrüche. Die bis dahin privilegierte, auf den Adel beschränkte Esskultur, erfuhr einen ungeheuren „Popularisierungs“-Schub, ablesbar beispielsweise an der Entstehung einer Restaurantkultur, die in Paris ihre erste Blüte erlebte.

Bemerkenswert indes der eurozentrische Blick des weltreisenden Forster, der den Europäer klar für überlegen hält, denn nur dieser könne bestimmen, „was ein Leckerbissen sey, denn nur er ist vor allen andern Menschen im Besitz eines feinen unterscheidenden Organs und einer durch vielfältige Übung erhöhten Sinnlichkeit, oder mit anderen Worten: er hat wirklich einen leckeren Gaumen […].“ Wenn Forster für das Raffinement wirbt, klingt das fast, als würde er den Sozialutopisten Charles Fourier mit dessen Theorie der vier Bewegungen von 1808 vorwegnehmen:

Allein die eigentliche Leckerey ist nicht die Erfindung eines Hungrigen, sondern eine Folge des Nachdenkens über einen gehabten Genuß, ein Bestreben der Vernunft, die Begierde darnach durch andre Sinne wieder zu reizen, und es war sicherlich kein geringer Fortschritt im Denken von der Sorge für den Magen, zu der Sorge für den Gaum!

Auch Fourier sah in der Verfeinerung des Geschmacks vor allem eine nicht unbedeutende zivilisatorische Aufgabe. Als nehme er damit zugleich die ökologische Bewegung unserer Tage vorweg, verknüpft er die Konsumtion in der Esskultur mit der Produktion. Die Herstellung guter Produkte sieht er als Voraussetzung für den Genuss bei Tisch. Pointiert ausgedrückt, steckt darin ein Programm unter dem Motto „Luxus für alle“. Was später Ludwig Feuerbach mit der Bemerkung ergänzte, Gutes zu essen, sei nicht unmoralisch. Dies alles hätte Forster wohl mitunterschrieben, zumindest legt das seine Fortschrittsidee in der sich ausdifferenzierenden Genussfähigkeit nahe.

Umrahmt wird der Aufsatz Über Leckereyen von einem halben Dutzend weiterer Texte, die uns das breite intellektuelle Spektrum Forsters vor Augen führen. Die Erfahrungen aus der Weltumsegelung und auch aus seinen anderen Reisen, dieses Hineingehen in die Welt, das Schauen und Erleben des Fremden, das Erfassen und Beschreiben des Gesehenen, machen ihn zu Hause zu einem Privilegierten. Er liefert Wissen aus erster Hand. Sein literarisches Talent verhilft ihm zudem, seine Forschungen ebenso spannend wie anschaulich zu vermitteln. Goethe kam nicht umhin, gerade den guten Beobachter in Forster zu rühmen. Man mag die in dem Band versammelten Texte als Dokumente eines historisch gewordenen Zeitgeistes lesen und dennoch überrascht feststellen, wie sich so manche Denkspur mäandernd bis in die Gegenwart fortsetzt. Am beeindruckendsten ist Forster immer dort, wo er einen vorurteilsfreien Blick reklamiert. So in Noch etwas über die Menschenraßen, Über die Humanität des Künstlers oder in dem Leitfaden zu einer künftigen Geschichte der Menschheit.

Wo er der Frage nachgeht, wie der Mensch zu seiner Hautfarbe kommt, steht am Anfang bezeichnenderweise diese Mahnung: „Wie vieles Unheil ist nicht von jeher in der Welt entstanden, weil man von Definitionen ausgieng, worein man kein Mißtrauen setzte, folglich manches unwillkührlich in einem vorhinein bestimmten Lichte sah, und sich und andere täuschte!“ Forster plädiert hier klar für das In-Frage-Stellen tradierter Definitionen, um bei der Frage, ob das Menschengeschlecht in Rassen zu unterteilen sei, genau dieser Annahme zu widersprechen. Seine These setzt auf einen polygenetischen, mehrfachen Ursprung. Es gehe ihm darum, so kommentiert es Tanja van Hoorn in ihrem Nachwort, gegen einen Systemgeist zu argumentieren zugunsten eines experimentierenden Denkens. Nicht die schlechteste Empfehlung für eine kritische Weltwahrnehmung.

Bis dahin galt Georg Forster gerade auch im akademischen Betrieb als eine anerkannte Kapazität, dessen gesellschaftlicher Absturz postwendend mit dem Bekenntnis zur Französischen Revolution folgte. Als er 1794 im Pariser Exil stirbt und sein Freund Lichtenberg um einen Nachruf gebeten wird, bekommt es der sonst so scharfzüngige Geist mit der Angst zu tun. Er fand nicht den Mut, dem Freund ein „Ehrendenkmal“ zu setzen. In einem Brief gestand Lichtenberg, wie gerne er Forster „ein paar Bogen gewidmet“ hätte, wäre er noch das „unbekümmert frei denkende und frei schreibende Wesen, das ich ehemals war. Jetzt muss es beim frei Denken sein Bewenden haben.“

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Georg Forster: Über Leckereyen und andere Essays.
Wehrhahn Verlag, Hannover 2019.
215 Seiten,
ISBN-13: 9783865256928

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