Der Schlüssel zu einer kranken Ehe (Oder wie man Potenzprobleme löst)
Ein Ehepaar, die Tochter, den angehenden Schwiegersohn und zwei Tagebücher – mehr braucht Junichiro Tanizaki nicht, um in seinem Roman „Der Schlüssel“ das Bild einer Ehe zu zeichnen, die von zerstörerischer Lust an den Abgrund getrieben wird
Von Charlotte Klatt
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDer Roman Der Schlüssel wurde in Japan bei seiner Erstveröffentlichung 1956 direkt zum Publikumserfolg, obwohl (oder vielleicht auch gerade weil) er einen Skandal auslöste und nur knapp einem Publikationsverbot entging. Er gilt als einer der wichtigsten Romane Tanizakis und beschäftigt sich mit einer für ihn typischen Thematik. Der Schlüssel wurde ebenso wie viele andere Romane Tanizakis in den USA sehr positiv rezipiert. Anders im deutschsprachigen Raum, wo die Erstveröffentlichung des Schlüssels 1961 kaum Beachtung fand. Eine Neuauflage der Erstübersetzung von Sachiko Yatsushiro und Gerhard Knauss, die nun im Schweizer Verlag Kein&Aber erschienen ist, soll das ändern.
Dabei ist es weniger die Handlung – ein langjähriges Ehepaar versucht wieder besseren Sex zu haben, wozu sie bereit sind, extreme Maßnahmen zu ergreifen – sondern mehr die Erzählweise, die das Buch interessant macht. Die Handlung wird ausschließlich in Tagebucheinträgen des Ehepaars erzählt, denn sie sprechen nur noch über das Alltägliche miteinander, nicht über ihre Probleme. Als sich die beiden Eheleute entschließen das Tagebuch des Anderen zu lesen und dies nicht lange im Verborgenen bleibt, werden die Tagebücher zu einer neuen Möglichkeit zur Kommunikation für das Paar. Dadurch angestachelt kommt Ikuko, die Ehefrau, nach und nach zu dem Entschluss, eine Affäre mit Herrn Kimura zu beginnen, der eigentlich als Ehemann der Tochter Toshiko vorgesehen ist, und die Situation eskaliert.
Anders als man es durch die intime Erzählweise erwarten könnte, bleiben die Figuren dem Leser jedoch fremd. Dies liegt sicherlich zum einen daran, dass der Roman in einem kulturellen und zeitlichen Kontext entstanden ist, der sich stark von unserer heutigen, westlichen Lebenswelt unterscheidet. Es liegt jedoch ebenso an den Personen und der Handlung selbst. So wird getäuscht, gelogen und betrogen; die Figuren degradieren sich gegenseitig zu Objekten, die nur noch der größtmöglichen Steigerung der eigenen Befriedigung dienen. Obwohl es dabei, wie bei Tanizaki üblich, keine (für unsere heutigen Maßstäbe) sehr explizit beschriebenen Erotik-Szenen gibt, wird sie schließlich zum ausschließlichen Thema des Romans und das auf eine zunehmend menschen- und besonders frauenfeindliche Art und Weise.
Die Zerstörungswut dieses Lusttriebes gipfelt am Ende des Romans in einem Toten und zwei zerstörten Ehen – die eine von dem Moment an, in dem sie begonnen hat. Und doch wird keiner der Figuren das Ausmaß der eigenen Verfehlung bewusst, weder wird das eigene Handeln hinterfragt noch gegen die Handlungen anderer aufbegehrt. Stattdessen, so lässt das offene Ende des Romans vermuten, geht trotz des Todesfalls das Leben weiter wie bisher, es kommt nicht zu einem Umdenken.
So bleibt der Leser also zurück mit einem Roman, in dem eine gelungene Ehe rein auf körperliche Erfüllung beschränkt, Vergewaltigung in der Ehe als Pflichterfüllung der Ehefrau angesehen und gerechtfertigt wird und derart unangemessener Dinge mehr – ohne das es gelingt, dieses Verhalten als problematisch aufzuzeigen oder es gar aufzubrechen.
Dies wird der Neuauflage zum Verhängnis. Zwar ist die Übersetzung stilistisch angenehmer als die Alternativübersetzung von Katja Cassing und Jürgen Stalph. Dennoch bleibt die fehlende kritische Auseinandersetzung mit den oben angeführten Thematiken ein Problem. Dabei sieht man bedauerlicherweise ebenso mehrheitlich an den Kritiken des Romans, dass eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Themen immer noch notwendig ist, wenn der Roman auch heute noch ausschließlich für seine literarische Raffinesse gepriesen wird und all das oben beschriebene Verhalten beiläufig als befremdlich abgetan wird. Der dabei entstehende Eindruck, das Werk sei stilistisch und in seiner Konzeption derart ausgefeilt, dass man über so umfassende inhaltliche Schwierigkeiten hinwegsehen kann, trügt. Stattdessen weist auch die Neuauflage selbst diesen Mangel an kritischer Einordnung auf, bietet sie doch keinerlei kommentierendes Vor- oder Nachwort. Aufgrund dieser fehlenden Reflexion (sowohl von Roman, Verlag und Kritik) bleibt am Schluss hauptsächlich ein sehr fader Nachgeschmack, sowie die Frage: Womit hat Der Schlüssel diese Neuauflage überhaupt verdient?
Anmerkung der Redaktion: Die Rezension gehört zu den studentischen Beiträgen, die im Rahmen eines Lehrprojekts im Sommersemester 2018 entstanden sind und gesammelt in der Oktoberausgabe 2018 erscheinen.
Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz
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