Despotendelirium
Einige Überlegunen zu Jandls Sprechgedicht „wien : heldenplatz“. In Erinnerung an Ernst Jandl (1925-2000)
Von Karl-Josef Müller
wien : heldenplatz
der glanze heldenplatz zirka
versaggerte in maschenhaftem männchenmeere
drunter auch frauen die ans maskelknie
zu heften heftig sich versuchten, hoffensdick
und brüllzten wesentlich.
verwogener stirnscheitelunterschwang
nach nöten nördlich, kechelte
mit zu-nummernder aufs bluten feilzer stimme
hinsensend sämmertliche eigenwäscher.
pirsch!
döppelte der gottelbock von Sa-Atz zu Sa-Atz
mit hünig sprenkem stimmstummel.
balzerig würmelte es im männechensee
und den weibern ward so pfingstig ums heil
zumahn: wenn ein knie-ender sie hirschelte.
Muss dieses Gedicht gedeutet werden? Torsten Gellner meint, es gehe eher darum, Jandls Gedichte von Interpretationen zu verschonen. Und so lautet die Antwort auf seine Frage, warum diese Gedichte in der Schule selten besprochen werden, auch wie folgt: „Vielleicht ist das gut so, denn er wäre nicht der erste Dichter, den man durch gnadenlose Textsektion entstellt und damit den Schülern auf ewig vermiest hätte.“
Zunächst aber sollte das Gedicht gehört werden, gelesen von Ernst Jandl, der am 15. März 1938 als Zwölfjähriger Zeuge einer Massenhysterie um einen Mann wurde, dessen Name nicht genannt werden soll. Wir kennen ihn alle – noch, so will ich hoffen.
Er ist der gottelbock, der dort in Wien vom Balkon der Neuen Hofburg herunter seine Stimme nicht eigentlich erhebt, sondern sein schnarrendes Organ ins Mikrofon erbrüllt; der gottelbock, den Charly Chaplin zwei Jahre später in seinem Film The Great Dictator die folgenden Worte erneut mehr brüllen als sagen lässt „Demokratsie SCHTONK! Liberty SCHTONK! Free Sprekken SCHTONK!“
Nicht alle Gottelböcke schreien, es gibt einen im Osten, der, so lässt sich beobachten, wenn man seinen Anblick auf dem Bildschirm ertragen muss, in sich gekehrt wirkt, wohl wirken möchte. Überlegt legt er dar, was er nicht belegen muss, weil, was aus seinem Munde erschallt, alle überzeugt, selbst den großen, wenn nicht größten republikanischen Führer mit der größten blonden Locke auf dem würdevollen Haupt und mit der allergrößten Unterschrift aller Zeiten – der gewählte Führer einer der bedeutendsten Demokratien der Geschichte. Wir zögern, soll ein Punkt diesen Gedanken beenden, oder vielleicht doch – schon – ein Fragezeichen?
Wenn die Sprache jeden Rest von Wahrheit und Wahrhaftigkeit verloren hat, wenn sie einzig dazu dient, der Lüge zum Durchbruch zu verhelfen; wenn das Abschlachten von Menschen nicht mehr Terror und Massaker genannt werden soll, dann, ja was dann? Wenn der Satz, in dem etwas mitgeteilt werden soll; der Satz, mit dessen Hilfe der Mensch sich an seinen Mitmenschen richtet in der Absicht, sich mit ihm zu verständigen und ihm damit zu signalisieren, dass dieses so kurze Leben nur gemeinsam Sinn macht; wenn also dieser Satz voller Hoffnung zum „Sa-Atz“ degeneriert und unbrauchbar gemacht worden ist für seine eigentliche Aufgabe, dann, was bleibt dann?
Da war a Jud im Gemeindebau, a gewisser Tennenbaum. Sonst a netter Mensch. Da ham’s so Sachen gegen de Nazi g’schrieben auf de Trottoir … und der Tennenbaum hat des aufwischen müssen. Net er allan, de anderen Juden eh aa … i hab ihm hingführt, dass ers aufwischt. Der Hausmeister hat glacht, er war immer bei ana Hetz dabei… Dabei – irgendwer hätt’s ja wegwischen müaßn… i maan, der Hausmaster war ja aa ka Nazi.…
Diese Worte, gelesen von Helmut Qualtinger, verbinden die Gemütlichkeit des Wiener Dialektes mit der gnadenlosen Brutalität des Geschilderten. Es geht in der zitierten Passage um die verharmlosend ‚Reibpartien‘ genannten Demütigungen der jüdischen Bevölkerung in Wien:
Der Terror hatte aber bereits vor dem Einmarsch der Wehrmacht begonnen: In einer „Orgie der Gewalt ohnegleichen“ (Hans Mommsen) wurden gleich am 12. März tausende jüdische Einrichtungen und Geschäfte geplündert, Juden öffentlich misshandelt und gedemütigt. So wurden sie unter anderem gezwungen, in so genannten Reibpartien Bürgersteige von anti-nationalsozialistischen Slogans zu reinigen. Dieser Ausbruch antisemitischen Hasses erfolgte spontan und war von keiner Seite vorhergesehen worden.
(Wikipedia, „Anschluss Österreichs“)
Bereits am 11. März hatten deutsche Verbände aus Wehrmacht und SS die Grenze zu Österreich überschritten, unmittelbar darauf folgten die Pogrome.
Kommen wir nochmals zurück auf die Sprache. Jandls Sprache nähert sich der Paul Celans an in der Weigerung, sich jedermann verständlich machen zu müssen. Denn im Verständlichen verbirgt sich der Verstand und das Verstehen.
„Dort, wo das Leben unmöglich geworden ist, ist auch die Sprache unmöglich geworden, und in der Konsequenz wird selbst die Poesie zur Fremdsprache.
Diese Beobachtung Torsten Gellners bezieht sich auf Jandls Gedicht „fortschreitende räude“ aus dem Jahr 1957:
fortschreitende räude
him hanfang war das wort hund das wort war bei
gott hund gott war das wort hund das wort hist fleisch
geworden hund hat hunter huns gewohnt
him hanflang war das wort hund das wort war blei
flott hund flott war das wort hund das wort hist fleisch
gewlorden hund hat hunter huns gewlohnt
schim schanflang war das wort schund das wort war blei
flott schund flott war das wort schund das wort schist
fleisch gewlorden schund schat schunter schuns gewlohnt
schim schanschlang schar das wort schlund schasch wort
schar schlei schlott schund flott war das wort schund
schasch fort schist schleisch schleschlorden schund
schat schi unter schl uns scheschlohnt
s——————————–c———————————-h
s——————————–c———————————-h
schllls——————————-c———————————-h
flottsch
Was aber die Gottelböcke zu Gehör bringen, will nur noch überwältigen und zur Gewalt gegen die Schwachen und Wehrlosen anstiften. Eine Schöpfung, wie Gott sie ursprünglich im Sinne hatte, ist von ihnen nicht zu erwarten.