Ein harter Brocken
Mit seinem Debüt „In der Ferne“ legt Hernan Diaz ein widerspenstiges Stück Literatur voller Einsamkeit, Fremdheit und Gewalt vor
Von Karsten Herrmann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDer gebürtige Argentinier Hernan Diaz, der heute in New York lebt, hat mit Hakan einen Protagonisten geschaffen, der in der Literatur seinesgleichen sucht. Zusammen mit seinem Bruder Linus bricht er Mitte des 19. Jahrhunderts blutjung aus der bitteren Armut seiner Heimat Schweden auf, um in New York sein Glück zu machen. Auf dem Weg zum Schiff verlieren sich die Brüder jedoch und Hakan landet statt in New York in San Francisco. Fast ohne Lebenserfahrung und ohne Englisch sprechen zu können findet er sich in fremder und abweisender Umgebung wieder. Doch ihn treibt ein einziges Ziel: Seinen Bruder wiederzufinden.
Er schließt sich einer Goldgräberfamilie an, die bald ausgeraubt und vertrieben wird, und gerät in die Fänge einer dubiosen Bandenchefin, die ihn als Schoßhündchen gefangen hält – bis er nach Monaten endlich fliehen kann: „Das Morgengrauen war eine Intuition, gewiss, aber ungesehen, und Hakan lief darauf zu, die Augen auf einen fernen Punkt fixiert, der bald erröten und ihm die direkte Linie zu seinen Bruder weisen würde“. Ohne Wasser und Nahrung flieht er durch die Wüste, verliert das Zeitgefühl und fällt in ein fiebriges Delirium – bis ihn ein Trek mit einem Naturkundler aufgreift und er in die Geheimnisse der Biologie und der Medizin eingeweiht wird. Irgendwann trennen sich ihre Wege wieder und er zieht entgegen den endlos nach Westen strömenden Karawanen der Gold- und Glückssucher weiter nach Osten, um dann doch wieder mit einer Handvoll Siedler in die andere Richtung zu reiten.
Bei einem Überfall auf den Siedler-Trek tötet der zu einem wahren Hünen herangewachsene Hakan mit bloßer Hand eine Reihe von den dubiosen „Brüdern Gottes“ und schämt sich seiner Tat – zugleich wird er zum geraunten Mythos und gesuchten Mörder und hält sich nun ganz abseits der Menschen, ganz und gar den Naturgewalten ausgeliefert: „die betäubende Kälte, die brutalen Böen, die seine Haut bissen, die unerbittliche, aber vage Angst“.
In fein geschliffener, distanzierter und zuweilen herb poetischer Prosa schildert Hernan Diaz in seinem Roman eine unendliche Odyssee und einen Protagonisten, der sich immer weiter in sich einmauert und über weite Phasen wie ein Tier dahinvegetiert und immer weiterzieht: „Er war einfach etwas, das weitermacht.“ Durchbrochen ist diese verzweifelte Reise voller tiefster Einsamkeit immer wieder von ausbrechenden Gewaltexzessen. Es ist eine düstere, trostlose Welt voller Schmerz, in die kaum einmal ein Hoffnungsschimmer oder ein Moment des Glücks hereinbricht – so wie die erste Biene, die Hakan nach Monaten oder Jahren (man weiß es nicht so genau) erblickt und die ein Zeichen für Fruchtbarkeit und Zivilisation ist. Als schon alter Mann bleibt Hakan dann schließlich irgendwann „stehen, weil es Zeit war. Er war nirgend angekommen“ – und doch geht es noch weiter, ein neuer letzter Aufbruch in die Ferne.
In der Ferne ist ein Roman wie ein schartiger und fremd glänzender Meteorit, ein harter Brocken, an dessen Ende der Hauch einer Katharsis, ein kleiner Schimmer der Hoffnung und der Menschlichkeit aufscheint. Vergnüglich ist das Lesen nicht, eher verstörend.
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