Science-Fiction aus der Prä-Netflix Ära

Philip K. Dicks Kurzgeschichten elektrifizieren auch nach Jahren

Von Sebastian EngelmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Engelmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Serie Philip K. Dick’s Electric Dreams wurde erst Anfang des Jahres auf Amazon veröffentlicht – die Reaktionen auf die Serien mit dem großen Namen als Zugpferd waren in meinem Umfeld gemischt. Die einen verwiesen darauf, dass man diesen Stoff nun ja schon oft genug gehört, gesehen und auch gelesen hat. Sie waren wenig begeistert, gingen recht hart mit der Serie ins Gericht. Die anderen – noch immer ganz begeistert vom Blade Runner-Remake aus dem vorherigen Jahr, das bekanntlich auf Dicks epochemachendem Werk Träumen Androiden von elektrischen Schafen? basiert – versprachen sich einen kleinen Hype um die Serie. Es wurde jedoch recht schnell wieder ruhig um Electric Dreams. Daran konnte auch die zeitnah veröffentlichte Buchfassung, die Grundlage der freien Interpretationen der Serie, nichts ändern – denn schließlich handelt es sich bei den Episoden der Serie um abgeschlossene, kleine Miniaturen. Sie bilden kein Ganzes und erzählen keine fortlaufende Geschichte. Stattdessen sind sie einzelne Mosaiksteinchen aus dem umfassenden Werk Dicks.

Nun soll es hier aber nicht um die Serie gehen – wobei es schon beachtlich ist, dass in der medialen Diskussion um Electric Dreams die Serie größtenteils komplett losgelöst von ihrer Textgrundlage diskutiert und lediglich mit einer anderen Serie verglichen wird, auch wenn ich zum Schluss erneut auf sie zurückkomme, um den Wert der Kurzgeschichten noch einmal herauszustellen. Die eigentliche Grundlage, die Texte von Dick, waren in persönlichen Diskussionen und in einschlägigen Foren kaum Thema. So wurde auch nicht ersichtlich, wie unterschiedlich Serie und Kurzgeschichten doch sind. In der Anthologie mit dem Titel Electric Dreams sind die Grundlagen der einzelnen Folgen nun aber abgedruckt und laden zur Lektüre ein. Sie folgen nachträglich zur Ausstrahlung der Serie. Die zehn „Stories“ – Kurzgeschichten – tragen auf Deutsch solch vielversprechende Titel wie Ausstellungsstück, Der Pendler, Der Gehenkte, Das Vater-Ding oder Autofab – im englischen Original wurden die Titel allerdings passender gewählt. Ausstellungsstück heißt im Original Real Life und verweist auf die dort durchbrochenen Grenzen zwischen vermeintlich realer und ersonnener Welt. Der Pendler lautet ursprünglich The Commuter und bekommt so eine weitere Bedeutungsdimension, die sich aus der zeitgleichen Suburbanisierung in den sich verändernden USA erschließt. Der Gehenkte, im Original Kill all Others, ist eine direkte Anweisung aus der Geschichte. Das Vater-Ding heißt im Englischen Father Thing und greift so viel eher die Beziehungsebene auf, die in der Geschichte behandelt wird. Trotz dieser diskussionswürdigen Übersetzung – die in der Serie zum Glück unterlassen wurde – ist der Lesefluss der einzelnen Texte ungeschmälert. Alle im Buch abgedruckten Kurzgeschichten haben es in sich und sind mal mehr, mal weniger fesselnd. Sie überzeugen vor allem durch Lesbarkeit und gekonnte Leserinnenführung. Man merkt ihnen dabei an, dass sie für das kurze Format geschrieben und von einem Meister dieser Kunst hervorgebracht wurden. Dabei muss berücksichtigt werden, dass alle Geschichten zwischen 1953 und 1955 in unterschiedlichen Magazinen veröffentlicht wurden. Sie also vor dem heutigen Hintergrund unserer Überfütterung durch gute und weniger gute Science-Fiction Literatur zu beurteilen, erscheint deshalb nicht angemessen. Stattdessen bietet es sich an, die Kurzgeschichten vom Leseeindruck her zu beurteilen, der durchweg positiv ist.

Dabei scheint es die Gattung der Kurzgeschichte zu sein, in der das zutiefst humanistische Menschenbild Dicks und seine stetige Suche nach der menschlichen Natur besonders hervortritt. Komprimiert, gebündelt und extrem fokussiert wird all das aufgerufen, was wir bereits im Kino im ersten Blade Runner oder auch in Minority Report haben aufscheinen sehen: die Angst davor, anders zu sein, und der Umgang mit dieser Angst wie in Ausstellungsstück, das Überleben in einer komplett durch Angst und Konsum kontrollierten Welt wie in Safe and Sound oder eben auch die Gefahr der Entgleisung der Technologie in Autofac. Dabei gelingt den Kurzgeschichten etwas, was weder der Serie noch der Neuverfilmung von Blade Runner gelungen ist. Sie sind von einer gewissen Schwere getragen, die sich auch aufgrund ihrer Nähe zur Alltagserfahrung vieler Menschen ergibt. Wer kennt das nicht? Da will man unbedingt das neueste technische Gimmick haben (schließlich haben es alle!), kann es sich aber nicht leisten – wie schnell führt ein solcher Zustand in die Verzweiflung, die des Öfteren als unbegründet ersichtlich wird. In solchen klaren Momenten erkennen Menschen möglicherweise, wie sehr ihre Bedürfnisse gesteuert sind, wie sehr sie sich von ihrem sozialen Umfeld, aber auch von der allgegenwärtigen gesellschaftlichen Atmosphäre beeinflussen lassen. Um diese Botschaft zu transportieren, braucht beispielsweise die Kurzgeschichte Safe and Sound keine große Besetzung oder gar ein überkomplexes Setting. Es sind stattdessen die leiseren Töne und das alltägliche Scheitern im Kleinen, das hier ersichtlich wird. Dick schafft es, all dies in den Kurzgeschichten zu ventilieren und so mitreißende Miniaturen mit zeitdiagnostischer Gültigkeit zu schaffen.

Diese sind in ihrer Zeit verortet. So mag die Kurzgeschichte Father Thing, die den Mythos des Körperfressers und der unbemerkten Alieninvasion perpetuiert,wohl auch durch Jack Finneys Fortsetzungsroman aus Collier’s Weekly beeinflusst sein – was auch in Kill all Others Thema ist. Beide Geschichten befeuern auf ihre jeweils besondere Art die Angst vor der feindlichen Übernahme durch eine extraterrestrische Macht, allegorisch für das gegenläufige System zum Kapitalismus, und können als Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse gelesen werden, die ihrer Zeit entsprechend progressiv ist. Heute erscheinen diese Geschichten beinahe schon langweilig und nicht mehr schockierend genug. Sie sind klassisch geworden. Zugleich muss festgehalten werden, dass auf der Suche nach Neuem sowohl die Literaturindustrie als auch die Serienproduktion schwerfällig geworden ist. Sie befleißigt sich der klassischen Bilder. Die Leserinnen- und Zuschauerinnenschaft verlangt aber stetig nach neuem Input. Dabei sind es die Nuancen in den scheinbar formgleichen Narrationen von Körperfressern und Alieninvasionen, die den Vergleich zwischen Finney, Dick oder auch der Videospiel-Serie Resident Evil spannend machen würden.

Es bleibt festzuhalten, dass es sich bei den Kurzgeschichten von Dick um explizit historisch zu verortende Texte handelt. Sie entsprechen einer spezifischen Form und greifen die genretypischen Motive auf. Nehmen wir heutige Science-Fiction-Literatur als Bewertungsmaßstab, wird sich dort nicht viel augenscheinlich Spannendes finden lassen. Drehen wir die Bewertungslogik aber um, ist es wohl eher die heutige Literatur, die sich schwertut, andere Dinge zu imaginieren, Schocks zu kreieren und die Leserinnen zu überraschen. Dicks Kurzgeschichten sind unterhaltsam, anregend und spielen mit Motiven, die heute bekannt, aber damals noch neuartig waren. Wer sich Dicks Werk nähern möchte, dem seien diese Geschichten ans Herz gelegt. Hier findet man einen konzentrierten und noch nachdenklicheren Autor vor, der überzeugend die Grenzen zwischen Realität und Fiktion überschreitet und die Leserinnen auch oft verdutzt zurücklässt. Die Geschichten regen zum eigenen Nachdenken an und sind so, wie gute Literatur sein sollte: ein kritischer Spiegel ihrer Zeit und ein Kommentar zum Weltgeschehen. Außerdem sind sie erschreckend aktuell: Dick beschreibt Probleme, die wir auch heute noch haben.

Titelbild

Philip K. Dick: Electric Dreams. Die 10 Stories der Erfolgsserie.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Thomas Mohr, Klaus Timmermann, Ulrike Wasel und Bela Wohl.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 2018.
238 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783596906703

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