Die Möglichkeit von Tiefe
Die argentinische Autorin Samanta Schweblin erzählt in „Sieben Leere Häuser“ vom alltäglichen Grauen
Von Sascha Seiler
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Kurzgeschichte führt in der zeitgenössischen deutschen Literatur noch immer ein Schattendasein. Anders als in den USA oder Lateinamerika, wo Literaturzeitschriften oder andere Printmedien oft die erste Publikationsmöglichkeit für junge Autoren sind, neigt man hierzulande bereits am Anfang einer Schriftstellerkarriere der epischen Form des Romans zu.Gerade in Argentinien hat die Kurzgeschichte eine große, ruhmreiche Tradition, vor allem, wenn man an die Meister der Gattung, Jorge Luis Borges und Julio Cortázar denkt, die formal, stilistisch und auch thematisch stilbildend waren.
Auch der argentinischen Autorin Samanta Schweblin merkt man an, dass sie vor allem die Erzählungen Cortázars, die sich stets an der Schwelle zwischen Realismus und Fantastik bewegen, sehr genau studiert hat. Schweblin wurde in Buenos Aires geboren, lebt aber in Berlin. Dennoch schreibt sie in ihrer Muttersprache, bisher erschienen drei Erzählbände und ein Roman, allesamt vielfach übersetzt und ausgezeichnet.
Siete casas vacías, so der Originaltitel der vorliegenden Sammlung, die, wie der Titel bereits verrät, sieben Geschichten enthält, bewegt sich im Grenzgebiet zwischen Realität und Traum. Es sind irreal anmutende Dinge, die hier geschehen, aber gleichzeitig ist nichts von dem, was erzählt wird, auf irgendeine Weise unrealistisch oder gar fantastisch. Wie bei ihrem Vorbild Cortázar erwächst das Fantastische erst durch die Perspektive, welche in der Geschichte auf die Ereignisse eingenommen wird, durch die ungewöhnliche Zusammenkunft von Personen und ihren entkontextualisiert wirkenden Handlungen.
Es ist also naheliegend, dass Kritiker in den Erzählungen Schweblins Spuren von David Lynch entdecken wollen, doch hinkt dieser Vergleich ein wenig. Die alptraumhaften Szenarien des amerikanischen Regisseurs haben nur wenig mit den zwar oft klaustrophoben, aber irgendwie doch banalen Geschehnissen in den Texten der Argentinierin gemein. Man hat nur selten den Eindruck, dass Schweblin – wie es Lynch zu eigen ist – in die Untiefen der Psyche ihrer Figuren vordringen will. Zu oft bleibt sie an der Oberfläche haften, wobei auch diese nicht frei von alltäglichem Horror ist.
Auch die Form der Kurzgeschichte frei nach dem Hemingway’schen Bild des Eisbergs, bei dem nur 1/7 aus dem Wasser ragt und der Rest unter der Oberfläche verborgen bleibt, beherrscht die Autorin sehr gut. Die Geschichten wirken wie schnell angefertigte Skizzen, ungefilterte Beobachtungen von allzu alltäglichen Szenen, unter denen eine existenzielle Leere und Einsamkeit lauert. Im Mittelpunkt – und das verbindet die sieben Erzählungen – steht dabei das Bild des leeren, verlassenen Hauses, nicht erst seit Poe eine Metapher für die menschliche Psyche.
Was an den Erzählungen jedoch stört, ist einerseits, dass sie so sehr auf die Beobachtungen des Alltags fixiert sind. Das erinnert an die Texte Raymond Carvers oder eben Hemingways. Jedoch möchte Schweblin andererseits ein kaltes Grauen unter dem Alltäglichen zeigen, das viel existenzieller und erschreckender erscheint als bei den genannten Autoren. Dafür allerdings wirken die erzählten Geschichten zu banal und letztlich, beachtet man zunächst nur den reinen Plot, zu uninteressant. Der Leser, anfangs noch getrieben von einer Art voyeuristischer Neugier, beginnt sich ob des repetitiven Gestus ein wenig zu langweilen. Das soll nicht heißen, dass diese sieben Erzählungen vor allem stilistisch und sprachlich nicht gelungen sind. Nur neigen sie zu oft zu einem Spagat und einem teilweise wenig erfüllenden Spiel mit der Möglichkeit von Tiefe.
Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz
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