Held oder Schurke?

Die Staufer im italienischen historischen Roman der Gegenwart

Von Gala RebaneRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gala Rebane

Seit den späten 1970er Jahren boomt in Italien die Geschichtsfiktion. Alleine um 1980 wurden insgesamt mehr historische Romane veröffentlicht als zwischen 1945 und 1963 – in einer Zeit also, in der das Interesse für die Erkundung und Neuinterpretation der kollektiven Vergangenheit (vom Risorgimento, der italienischen Einheitsbewegung im 19. Jahrhundert, abgesehen) am stärksten war. In der darauf folgenden lethargischen Periode zwischen 1963 und 1978 tendierte die Zahl der veröffentlichten historischen Romane gegen Null.

Ältere Erklärungen führten dieses Phänomen nahezu einstimmig auf den weltweiten Erfolg des Debüt-Romans Umberto Ecos Der Name der Rose (1980) zurück und bezeichneten es gar als „Eco-Effekt“. Da die Popularität historischer Fiktion jedoch nicht nur fortbestand, sondern sogar stetig wuchs, wurden weitere mögliche Faktoren in Erwägung gezogen, vor allem die „proteische Qualität“ des Genres, das fruchtbare Kreuzungen mit anderen populären Gattungen zulasse und somit einen sehr breiten Leserkreis erreiche. Dies ist gewiss richtig; man denke nur an Ecos ,Rosenroman‘, der nicht allein ein akademisches Publikum ansprach, sondern auch sehr erfolgreich als Mittelalterkrimi vermarktet wurde. Häufig nimmt der zeitgenössische historische Roman auch narrative Elemente und Motive der Fantasy-Literatur auf und umgekehrt: Viele Fantasy-Werke schöpfen ihre Inspiration aus dem europäischen Hoch- und Spätmittelalter, das als Schatztruhe der in der Populärkultur verbreiteten Topoi und Vorstellungen geplündert wird. So verirrt sich manch ein Mantikor auf die Seiten historischer Fiktion; umgekehrt werden in der Fantasy wesentlich mehr Hexen verbrannt als in den ‘dunklen Jahrhunderten’. Insgesamt unterliegen die Gattungsgrenzen zwischen dem historischen Roman und anderen thematisch, strukturell oder auch nur gefühlt anschlussfähigen Genres einer zunehmend starken Erosion.

Dichtung und Wahrheit in der historischen Fiktion

Die Wahrheitsansprüche der heutigen historischen Prosa sind ein ebenso unterhaltsamer wie lehrreicher Gegenstand. Da die meisten Autoren keine professionellen Geschichtswissenschaftler sind, bleiben dem Leser penibel recherchierte historische Details oft erspart. Die Kundenorientierung vieler Texte zeichnet sich beispielsweise daran ab, dass man unbestimmt klingende ausländische Namen zur Eindeutigkeit zwingt. So begegnet man im Roman La Compagnia della Morte (2009), deutsch Die Kompanie des Todes von Franco Forte dem Erzkanzler und engsten Vertrauten Barbarossas, Rainald von Dassel, als Rainaldo di Darmstadt – was sich offenbar angemessen ‚deutsch‘ anhört und was auch das Verlagslektorat von Mondadori nicht beanstandete.

Künstlerische Freiheit gestattet man sich in vielen italienischen Mittelalterromanen nicht nur bei der Namensgebung. Sie wird auch zur Optimierung der gesamten Storyline genutzt. Dabei hegen manche Autoren durchaus lobenswerte Absichten und versuchen, das harte Los ihrer Protagonisten ex post zu mildern. Um Heinrich IV. vor einer Lungenentzündung bei Canossa zu bewahren, schickt ihn die Mediävistin und Bestseller-Autorin Laura Mancinelli mit Mathilde von Tuszien ins Bett, während ein treuer Diener den Büßenden nachts im Schnee vertritt. Friedrich II. Hohenstaufen, der sein ganzes Leben auf dem Altar der beruflichen Pflichten geopfert hatte, wird von derselben Autorin durch die Vermählung mit seiner langjährigen Geliebten Bianca Lancia privat erlöst und gerächt. Bereits mittelalterliche Chronisten kolportierten das Gerücht gern; historische Forschung zieht diese Episode hingegen in Frage – und vielleicht zu Recht: Leda Melluso verkündet in La ragazza dal volto d’ambra (2009), deutsch Das Mädchen mit dem amberfarbenen Antlitz, dass die einzige wahre (und tragische) Liebe Friedrichs die Tochter seines Erzfeindes Muhammad ibn Abdad, Amina, gewesen sei.

Großzügig wird auch mit der Reproduktion gehandelt. So lässt Melluso Amina vom Imperator schwängern; freilich nehmen weder Mutter noch Kind ein gutes Ende (ebenso wenig wie Friedrich). In Ti ho sposato tre volte (2012), deutsch Ich habe dich dreimal geheiratet, beglückt Daniela Serpotta Welf VI. mit einer Zusatztochter Eleonore. Damit die Erwartungen der Leserschaft nicht enttäuscht werden und Eleonore weibliche Autonomieansprüche zur Geltung bringen kann, wird ihr auch ein würdiger Gegner zugespielt: Kaiser Barbarossa, der sie zwangsverheiraten möchte. Aus diesem triftigen Grund muss ihr Vater im Roman bereits im Jahr 1177 sterben. Seinen frühzeitigen Tod hätte Welf VI. der Autorin jedoch sicher nicht übel genommen: Immerhin durfte er in fortgeschrittenem Alter noch einmal Vaterfreuden spüren.

Die anekdotischen Beispiele zeigen, dass bei der Auffassung und Darstellung kollektiver Vergangenheit die zeitgenössischen Empfindungen und Selbstbilder verschiedener Interessengruppen oft eine größere Rolle spielen als die Treue gegenüber der historischen Faktizität. Bereits Benedetto Croce (vgl. Croce 1930, 4) erklärte, dass „auch jene Geschichte direkt dem Leben [entspringt], die man Geschichte der Vergangenheit zu nennen pflegt“. Damit ist die Rezeptionsgeschichte historischer Ereignisse und Akteure in Literatur und Kunst im Wesentlichen auch die Geschichte politisch, sozial und kulturell brisanter Aus- und Verhandlungen (Stephen Greenblatt sprach diesbezüglich von „negotiations“; vgl. Greenblatt 1988). Verhandelt wird dabei nicht ausschließlich und nicht in erster Linie das Vergangene an sich. Auch sind der Hauptgegenstand dieser Verhandlungen nicht die historischen Fakten, sondern die daraus abgeleiteten Selbst- und Fremdbilder. Das Ziel derartiger Aushandlungsprozesse besteht darin, tragfähige kollektive Identitäten als zukunftsorientierte Projekte zu entwerfen und zu behaupten.

Der historische Roman im heutigen Italien: Epochen, Themen, Akteure

Betrachtet man das Spektrum italienischer historischer Romane, die zwischen 1980 und 2005 veröffentlicht wurden, wird die ungleichmäßige Verteilung der behandelten Themen und Stoffe schnell offenkundig (vgl. Rebane 2012, 65). Der größten Beliebtheit erfreuen sich zwei Epochen: die römische Antike und das Mittelalter, wobei letztere auch nach 2005 noch an Popularität zulegen konnte.

Wenn man von einer ernsthaften Erwägung der Hypothese von der Erfindung des Mittelalters absieht, so kann diese Epoche zu einer zentralen Bezugsgröße in der Geschichte Europas erklärt werden, die gut eintausend Jahre misst (und selbst die Verfechter der Phantomtheorie zweifeln lediglich an der Existenz von nur einem Drittel davon). In gewisser Weise ist das Mittelalter jedoch auch ein Konstrukt, dessen Name schon die ideologische Dimension seiner Wahrnehmung offenlegt. Erstmalig sprachen italienische Humanisten des 15. Jahrhunderts von media tempestas als einer ,Zwischenzeit‘ zwischen der klassischen Antike und ihrer von ihnen angestrebten Wiedergeburt – der Renaissance. Die einerseits dezidiert versuchte diskursive Überwindung des Mittelalters, andererseits die Langlebigkeit seines Erbes sorgten nachhaltig für die ,Entzweiung‘ seines Bildes. Das Mittelalter wird in einer stets ambivalenten Weise aufgefasst und vergegenwärtigt, und zwar „in Abstoßung und Aneignung, in Verurteilung und Identifikation zugleich“ (vgl. Oexle 1992, 7). Zum einen fungiert die Epoche als eine fast ausschließlich finstere Kontrastfolie für das eigene Zeitalter. Zum andern dient sie als identitätsstiftender Referenzpunkt, in dem viele nationale und regionale Kulturen Europas ihren Ursprung sehen.

Bedeutungsvoll war das Mittelalter von jeher in italienischen national-patriotischen Diskursen. Im Rahmen des Risorgimento – des Vereinigungsprozesses im 19. Jahrhundert – avancierte es zur Referenzepoche kollektiver Geschichtsschreibung und -reflexion. Bei der auch literarisch-künstlerisch unterstützten Nationalstaatsbildung wurde insbesondere die Regierungszeit Friedrichs I. Barbarossa als Epitome des gemeinsamen historischen Kampfes der Italiener um Freiheit und Selbstbestimmung aufgegriffen und besungen. Vor allem die Schlacht von Legnano 1176, bei der sich die Armee Barbarossas und die lombardischen Kommunen im Feld begegnet waren, ließ sich zu einem epochalen Sieg des italienischen Volkes gegen die fremde Herrschaft stilisieren. Von Umberto Ecos Roman Baudolino (2000) abgesehen, in dem ein ausgewogeneres Bild des Kaisers geboten wird, bleiben Barbarossas Darstellungen in italienischen historischen Romanen bis heute mit ausschließlich negativen Attributen behaftet. Ähnlichen Ressentiments begegnet man freilich in der italienischen Geschichtsschreibung seit Jahrhunderten. In städtischen Chroniken wird Barbarossas Rolle in der kommunalen Geschichte plakativ als Antagonismus zwischen ,Innen‘ und ,Außen‘ umrissen. Die literarischen und historiografischen Interpretationen seines Enkels Friedrich II. fallen dagegen differenzierter aus – mit Ausnahme einiger christlich-katholisch geprägter Abhandlungen, die ihn zum Antichristen erklären.

Im Vergleich mit den mittelalterinspirierten Werken des Risorgimento und den in ihnen dargebotenen Verhandlungen über die kollektiven historischen Identitäten lassen sich in Geschichtsromanen der Gegenwart anders geartete Tendenzen feststellen. Wohl zum ersten Mal geht die Mittelalterrezeption über die nationale Ebene hinaus, und zwar in zweierlei Richtungen: Einerseits wird in den zeitgenössischen Romanen häufig die regionale Geschichte fokussiert und an weite Räume des geteilten europäischen kulturell-historischen Nachlasses geknüpft. Andererseits wird das Mittelalter nicht selten als Epoche dargestellt, in der ein intensiver kultureller Austausch mit nichteuropäischen Ländern stattfand und die daher als historisches Vorbild für kulturelle Globalisierung und internationale Kooperation dienen könne. Erkennbar hängen diese beiden Deutungsmuster mit den globalen, allen voran den europäischen Integrationsprozessen zusammen, deren ideologischem Programm sowohl die Suche nach gemeinsamen Wurzeln verschiedener Nationalkulturen als auch ihre Suspendierung zu Grunde liegt.

Interessanterweise spielen die meisten ,pro-europäischen‘ italienischen historischen Romane der Gegenwart im Hochmittelalter, also zwischen der Mitte des 11. und der Mitte des 13. Jahrhunderts. In dieser Periode setzten europaweit tiefgreifende gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische und kulturelle Wandlungsprozesse ein, bei deren Analyse zahlreiche Parallelen zu aktuellen Entwicklungstendenzen in Europa gezogen werden können. In den 1970er Jahren verfasste Umberto Eco eine Serie von Essays über die „Wiederkehr des Mittelalters“, in denen er eklatante Parallelen zwischen dem Hoch- bis Spätmittelalter und der Gegenwart nachzeichnete (vgl. Eco 1977). Während Eco in seiner Auffassung des „neuen Mittelalters“ immerhin auch krisenhafte Aspekte ansprach, halten viele zeitgenössische Romane das Mittelalter als ein Wunschbild einer harmonischen transnationalen Gesellschaft hoch, die „in Vielfalt geeint“ und durch den befruchtenden Dialog der Kulturen gekennzeichnet sei. So beschwört selbst Ecos zweiter Mittelalter-Roman Baudolino (2000) – obgleich dieser freilich nicht unter dem Zeichen der EU-Enthusiasmen steht – das 12. Jahrhundert als unerschöpfliche Quelle kollektiver Selbst- und Weltbilder, die bis heute eine grundlegende Bedeutung für die europäische kulturelle Identität bewahren.

War dies der Stand der Dinge bis 2005, scheint die Regierungszeit Barbarossas in der letzten Dekade wieder verstärkt im Rahmen des national- beziehungsweise lokal-patriotischen Diskurses aufgegriffen zu werden. Kürzlich erschienen gleich mehrere Werke, in denen Barbarossa erneut als natürlicher Feind der Italiener dargestellt wird.

Die Staufer im Kontext ihrer Autoren

Die einzige gezielte literarische Auseinandersetzung mit der Figur Barbarossas vor 2005 fand in Baudolino statt, aber sogar Umberto Eco gesteht in einem Interview mit Thomas Stauder, dass er die historischen Ereignisse, die den Kaiser involvieren, „auf eine respektlos-familiäre Art“ behandelt habe (vgl. Stauder 2004, 90). Dasselbe gilt für die Schilderungen des Kaisers selbst, der aus der Perspektive seines Ziehsohnes Baudolino dargestellt wird. Zum ersten Mal begegnen sie sich im Wald in Norditalien; der fantasiereiche, sprachbegabte und listige Junge erweckt sofort das Interesse des durch den Nebel der Poebene irrenden Barbarossas. Als Baudolino ihm eine Lügengeschichte über die Vision erzählt, in der sein Namensheiliger den deutschen Kaiser zum einzigen legitimen Herrscher der Lombardei erklärt hätte, entschließt sich Barbarossa, das Kind mitzunehmen und an seinem Hof großzuziehen:

und weil ich daran dachte daz er ja einer von denen war die Tortona erobern wollten für Kaiser Frîderîch hab ich mir gesagt ich tu ihm lieber einen gefallen vielleicht gibt er mir dann auch noch eine Moneta und sô hab ich gesagt vor zween nächten da wär mir der Heilige Baudolino erschienen und hätt gesagt der kaiser werde einen grôszen Sieg über Tortona erringen denn Frîderîch sei der einzige und wahre Herr der ganzen Longobardia samt der Frasketa

da hat der herr gesagt Kint du bist ein geschenk des Himmels willst du nicht mitkommen ins kaiserliche lager und dort sagen was San Baudolino dir gesagt hat? und da hab ich gesagt daz ich gern mitkommen wollte und hab hinzugefügt daz San Baudolino mir noch gesagt hätte daz die Heiligen Petrusundpaulus nach Tortona kommen würden um die keiserlichen zu führen und da hat er gesagt Ach wie Wunderbar mir würde schon Petrus allein genügen.[1]

Obwohl Baudolinos ursprüngliches Interesse naiv-merkantiler Natur ist, setzt er zeitnah nicht nur seine Erzählkünste und Sprachkompetenz, sondern auch seine außerordentlichen Fähigkeiten als Mittler zwischen den Kulturen an der Seite seines königlichen Ziehvaters ein. Dabei findet er sich oft in Loyalitätskonflikten wieder, denn trotz einer engen emotionalen Bindung zu Barbarossa bleibt Baudolino auch seinen norditalienischen Landsleuten verbunden und sucht stets nach Lösungen, bei denen keine Partei Verluste erleidet. Aus zeitgenössischer Perspektive gleichen seine Konfliktlösungsvorschläge dem Handeln eines interkulturellen Coaches, der die Kommunikationsstrategien der Manager bei internationalen Einsendungen auf die kulturspezifische Angemessenheit hin prüft und mit seinen Kunden beratend diskutiert. Auch Barbarossa wird derselben Perspektivierung unterzogen: Als ein Herrscher, der nach Italien – einer problembehafteten Filiale seines internationalen Unternehmens – nur bei Bedarf und ungern reist, riskiert er stets, an fehlender interkultureller Kompetenz beim politischen Handeln vor Ort zu scheitern. Spätestens nach der Aufhebung der Belagerung des rebellischen Alessandria, die Baudolino durch einen listigen Trick erwirkt, honoriert der Kaiser die sowohl pragmatischen als auch symbolischen Vorzüge dieser informellen Beratung durch seinen Ziehsohn:

„Ich weiß nicht“, sagte er, „ich komme mir vor wie einer, der geschlagen abzieht, und die hier entbieten mir die Ehre des Waffengrußes. Baudolino, handle ich richtig?“
„Du handelst richtig, mein Vater. Du bist nicht geschlagener als sie. Sie wollen dich nicht auf offenem Feld angreifen, weil sie dich respektieren. Und du mußt ihnen dankbar sein für diesen Respekt.“
„Er gebührt mir“, knurrte Barbarossa trotzig.
„Wenn Du glaubst, daß er dir gebührt, dann sei doch froh, daß sie ihn dir zollen. Worüber beklagst du dich?“
„Über nichts, über nichts, du hast wie immer recht.“[2]

 Ferner überzeugt Baudolino Barbarossa davon, seine Pariser Kommilitonen – den Archipoeten, Abdul, Boron, Kyot und Rabbi Solomon – an den königlichen Hof kommen zu lassen: „Ich sagte ihm, daß es gut sei, wenn in der Kanzlei eines Kaisers Leute säßen, die eine gute Kenntnis der Sprachen und Gebräuche anderer Länder hätten.“[3] Als sich sein Gesprächspartner, der griechische Historiograph Niketas, darüber wundert, dass der Imperator einen Juden in seinem Umfeld duldete, erwidert Baudolino, dass, von der Länder- und Sprachkompetenz dieser Person abgesehen, „die germanischen Fürsten immer sehr barmherzig mit den Juden gewesen [sind], mehr als alle anderen christlichen Könige“,[4] und argumentiert mit dem Überfall der vom Mönch Radolf aufgestachelten Kreuzfahrer auf die jüdischen Gemeinden im Jahre 1096: „An diesem Punkt baten viele Juden den Kaiser [Konrad] um Schutz, und er erlaubte ihnen, sich in die Stadt Nürnberg zu retten und dort sicher zu leben.“[5]

Insgesamt ist die Darstellung Barbarossas – ferner auch der Deutschen – in Ecos Roman außergewöhnlich positiv:

Friedrich war von schöner Statur, sein Gesicht war weiß und rot und nicht so lederfarben wie das meiner Dorfgenossen, sein Haar und Bart waren feuerrot, die Hände lang, die Finger schmal, die Nägel wohlgepflegt, er war seiner selbst sicher und flößte Sicherheit ein, er war fröhlich und entschieden und flößte Fröhlichkeit und Entschiedenheit ein, er war mutig und flößte Mut ein – ich Löwchen, er Löwe. Er konnte grausam sein, aber zu denen, die er liebte, war er überaus gütig und sanft.[6]

 Ein völlig anderes Bild von Barbarossa finden wir auf den Seiten des bereits erwähnten Romans La Compagnia della Morte von Franco Forte:

Friedrich I war von massiver und wohlproportionierter Statur mit gut entwickelten Muskeln. […] Weder verlor Barbarossa Zeit für Fechtübungen mit dem Schwert, noch opferte er sie für lange Ritte durch die großen Wälder voller Jagdbeute; dennoch war er in bester Form, die ihm sogar viele Krieger neideten. Offensichtlich genügte die Lieblingsaktivität des Kaisers, in die er viel Zeit steckte, ihm vollkommen als die optimale körperliche Übung.[7]

Welcher Lieblingstätigkeit der Kaiser einen Großteil seiner Zeit widmet, erfährt der Leser vom bereits erwähnten Erzkanzler Rainaldo di Darmstadt, dessen Perspektive an dieser Stelle übernommen wird. Als er auf ein geheimes Treffen mit seinem Herrn besteht und diesen auf den privaten Kammern aufsucht, verlassen mehrere junge Mädchen das kaiserliche Bett. Die Sexualexzesse Barbarossas scheinen seinen engsten Vertrauten zunächst in Verlegenheit zu bringen. Sein stillschweigender Tadel ist allerdings schwer nachvollziehbar, denn einige Seiten später gesteht Rainaldo ungezwungen seine langjährige Inzestbeziehung mit der eigenen Mutter.

Wo schon die eigenen Leute dem Kaiser mit schlecht kaschierter Skepsis begegnen, wundert es wenig, dass die Italiener für ihn nun wirklich keine schönen Worte finden. Er wird als „ein mit Juwelen geschmückter Räuber, der sich hinter den Alpen in Deutschland versteckte“[8] beschrieben – und dies ist noch eine ziemlich moderate Wortwahl.

Der Romanautor, Franco Forte, ist in der aktuell im Zenit ihrer politischen Macht stehenden Lega Nord aktiv. Die Partei baut auf das symbolische Erbe der mittelalterlichen Lombardischen Liga, die gegen Barbarossa ankämpfte: Bereits das Logo der Partei zeigt Alberto da Giussano, den Anführer der Norditaliener in der Schlacht von Legnano. Vertrat die Lega zu Zeiten ihrer Gründung (1989) noch eine proeuropäische Ideologie und deklarierte mit ihrem Wahlkampf-Slogan „Più lontani da Roma, più vicini all’Europa“ („Je weiter weg von Rom, desto näher an Europa“) die korrupte politische Macht Roms und den zentralistischen Staat zu den Feinden der freiheitsliebenden (Nord-)Italiener, so gilt ihre Kritik nun seit mehreren Jahren dem „Superstaat EU“, dem sie ein „Europa der Regionen“ und Kleinstaaterei entgegensetzt. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, ist die Figur des heiligen römischen Herrschers doppelt negativ besetzt: Zum einen steht er für die zentralistische Macht, die mit dem verruchten Rom gleichgesetzt wird, zum andern für die fremdgesteuerte Verfügungskraft der EU, zu deren Hauptantreibern Deutschland gezählt wird. Barbarossa muss büßen – und Franco Forte lässt ihn gern im Schnee stehen. (Im Übrigen ist ein Dreivierteljahr nach Veröffentlichung des Romans auch der Film Barbarossa von Renzo Martinelli erschienen, der erst durch den persönlichen Einsatz des Lega-Parteichefs Umberto Bossi vom Fernsehkanal Raiuno angenommen wurde und in dem der Regisseur Bossi mit einem Cameo dankt.)

Unter einem völlig anderen Zeichen steht hingegen die zeitgenössische literarische Rezeption von Barbarossas Enkel, Friedrich II. Sein Bild wurde – vor allem in den südlichen Regionen – in den letzten Jahrzehnten einer positiven Umdeutung unterzogen. Friedrichs 800. Geburtstag, der in Deutschland kaum öffentliche Beachtung fand, wurde in Italien im Jahre 1994 in einer Serie kultureller Veranstaltungen zelebriert. 2009 bezeichnete ihn die Zeitung La Repubblica als „imperatore superstar“.[9] Im Gegensatz zu seinem gleichnamigen Großvater sei dieser Heilige Römische Kaiser nicht nur ,beruflich unterwegs in Italien‘ gewesen, sondern identifizierte sich auch mit dem Land; zumindest bescheinigen ihm das zahlreiche italienische Schriftsteller. Zu seiner Zeit sowohl als stupor mundi gepriesen als auch zur gottlosen Bestie erklärt, wird Friedrich II. heute für seine verblüffend moderne Persönlichkeit bewundert. Sein Interesse an Fremdsprachen und anderen Kulturen, seine Patronage von Künsten und Wissenschaften, progressive Reformen und unorthodoxe Weltsichten sowie religiöse Offenheit, insbesondere gegenüber dem Islam, werden in seinen zeitgenössischen literarischen Portraits immer wieder akzentuiert. So wird beispielsweise in Serafino Massonis La lama e la rosa (2005), deutsch Das Schwert und die Rose, sein Königshof in Sizilien als Schauplatz verschiedener Traditionen, Religionen und Sprachen dargestellt, die die einmalige Kultur dieser Region mitbestimmten und prägten. Dieselben kosmopolitischen Züge werden auch in anderen zeitgenössischen Darstellungen Friedrichs betont, wie beispielsweise in den Romanen Quando Marte è in Capricorno (1994), deutsch Wenn Mars im Zeichen Steinbocks steht von Silvana La Spina, Gli occhi dell’imperatore (1993), deutsch Die Augen des Imperators von Laura Mancinelli, Lo stupore del mondo (2009), deutsch Das Wunder der Welt von Cinzia Tani oder auch in dem vor allem an ein jugendliches Publikum adressierten Buch L‘ultima mossa di Guerrino (2003), deutsch Der letzte Zug von Guerrino von Maurizio Giannini. Etwas skeptischer dem Staufer gegenüber ist Leda Melluso im bereits erwähnten Roman La ragazza dal volto d’ambra gesinnt – eine Ausnahme, die in diesem Fall wohl die Regel bestätigt.

Schlusswort

Geschichte ist immer Geschichte der Gegenwart. Die hier kursorisch skizzierte literarische Rezeption zweier staufischer Kaiser in Italien spiegelt eher die politischen Entwicklungen der letzten Dekaden wider als die des 12. und des 13. Jahrhunderts. Auf ihre weitere Evolution darf man gespannt bleiben. Die Gesellschaft schreibt fortwährend ihre Geschichte und muss sich immer wieder auf ihre Vergangenheit zurückbesinnen, um das Gesamtnarrativ an die entstehenden Selbstentwürfe anzupassen. Der Belletristik mit ihrem Arsenal an Erzählstrukturen und rhetorischen Mitteln kommt dabei von jeher eine wichtige Rolle zu, denn „[d]ie Fragen der Wahrheit, der Gerechtigkeit und des Angemessenen bleiben […] immer auch ein Stück offen für die persuasive Kraft schöner Reden“ (vgl. Bulang 2012, 11).

Anmerkungen

[1] Eco, Umberto ([2000] 2001). Baudolino. München: Hanser, S. 17.

[2] Ebd., S. 227.

[3] Ebd., S. 199.

[4] Ebd., S. 199.

[5] Ebd., S. 199.

[6] Ebd., S. 43.

[7] Forte, Franco (2009). La compagnia della morte. Milano: Mondadori, S. 72, Übers. GR.

[8] Ebd., S. 17, Übers. GR.

[9] http://ricerca.repubblica.it/repubblica/archivio/repubblica/2009/06/25/imperatore-superstar-boom-di-libri-su.html (Zugriff: 02.07.2018).

Literaturverzeichnis

Bulang, Tobias (2012). Barbarossa im Reich der Poesie. Frankfurt a. Main: Peter Lang.

Croce, Benedetto (1930). Theorie und Geschichte der Historiographie. Tübingen: J.C. Mohr (Paul Siebeck).

Eco, Umberto ([1977] 1985). Über Gott und die Welt. Essays und Glossen. München: Hanser.

Fuhrmann, Horst (2003). Das Mittelalter in der Literatur. Umberto Eco und sein Roman „Baudolino“. Katholische Universität Eichstätt Ingolstadt. Wolznach: Kastner.

Greenblatt, Stephen (1988). Shakespearean Negotiations: The Circulation of Social Energy in Renaissance England. Berkeley: University of California Press.

Lazzaro-Weis, Carol (1993). From Margins to Mainstream: Feminism and Fictional Modes in Italian Women’s Writing, 1968-1990. Philadelphia: University of Pennsylvania Press.

Mancinelli, Laura (1999). Il principe scalzo [dt. Der barfüßige Prinz]. Torino: Einaudi.

Oexle, Otto Gerhard (1992). Das entzweite Mittelalter. In: Die Deutschen und ihr Mittelalter. Themen und Funktionen moderner Geschichtsbilder vom Mittelalter, Hg. Gerd Althoff. Darmstadt: Reichert, S. 7-28.

Pautasso, Sergio (1991). Gli anni ottanta e la letteratura. Milano: Rizzoli.

Rebane, Gala (2012). Re-Making the Italians. Collective Identities in the Contemporary Italian Historical Novel. Frankfurt a. Main: Peter Lang.

Robinson, Fred C. (1984). Medieval, the Middle Ages. Speculum 59 (4), S. 745-756.

Sommerlechner, Andrea (1999). Stupor mundi? Kaiser Friedrich II. und die mittelalterliche Geschichtsschreibung. Wien: Österreichische Akademie der Wissenschaften.

Stauder, Thomas (2004). Gespräche mit Umberto Eco. Münster: LiT.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg