Trotz Gegenwinds für Gleichberechtigung
Christine Drews’ Roman „Freiflug“ berichtet vom unermüdlichen Einsatz zweier Frauen für gesellschaftliche Veränderung im Deutschland der Siebzigerjahre
Von Alessia Rößle
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseViele Straßen in Deutschland tragen die Namen von bedeutenden Persönlichkeiten. Gerade einmal drei Prozent sind Frauen gewidmet. In dieser Unausgeglichenheit findet sich die fehlende Wertschätzung der Leistungen von Frauen und die Erinnerung an diese. Auch Christine Drews, Schriftstellerin und Drehbuchautorin, stieß auf diese Statistik und fand bei weiterer Recherche die Rita-Maiburg-Straße in ihrer Heimatstadt Köln, benannt nach der ersten Linienflugpilotin, deren Lebensweg sie in ihrem Roman Freiflug zum Thema macht.
Rita Maiburg, angelehnt an die reale Person und ihre Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland und die Lufthansa, will auch im Roman ihren Traum verwirklichen, Linienpilotin zu werden. Während die Figur Rita Maiburg auf den biografischen Fakten der realen Person aufgebaut ist und die Handlung sich an ihrem Werdegang orientiert, handelt es sich bei den anderen Figuren, wie Ritas Familie und Freunde, Katharina Berner und ihrem Umfeld, um rein fiktive Personen. Es ist das Jahr 1974, als Rita sich bei der Lufthansa bewirbt und trotz abgeschlossener Flugausbildung, zahlreicher Flugstunden auf ihrem Schein und allen Qualifikationen einer Pilotin, abgelehnt wird. Die einzige Begründung im Absageschreiben: Frauen werden grundsätzlich nicht als Piloten eingestellt. Sie beschließt, ihr Recht einzuklagen und bekommt von Drews dazu die junge Rechtsanwältin Katharina Berner als zweite Protagonistin des Romans zur Seite gestellt, die sich gerade mit ihrer Kanzlei selbstständig gemacht hat.
Leider dauert es beinahe zweihundert Seiten, bis der spannende Fall tatsächlich vor Gericht landet. Und auch in die Verhandlung erhält man nur kurze Einblicke –auch, wenn es dabei um interessante Momente geht, wie das Schlussplädoyer von Katharina Berner. Man folgt den Geschehnissen an dieser Stelle aus Katharinas Sicht, die während ihrer Rede gedanklich abschweift und damit zwar Einblick in ihre Emotionen während dieses aufwühlenden Moments gibt, den Inhalt des Plädoyers dem Leser jedoch vorenthält.
Stattdessen fokussiert sich die Handlung des Romans mehr auf die persönlichen und familiären Beziehungen der beiden Protagonistinnen. Rita wird von ihrer Familie in ihrem Traum und ihrer Klage unterstützt, besonders von ihrem Vater, der ihre Ausbildung finanziert hat. Anders jedoch bei ihren FreundInnen, die gleich welchen Geschlechts keiner Arbeit nachgehen und Ritas Ehrgeiz deshalb nicht wirklich verstehen können. Katharina hingegen gerät mit ihrer konservativen, katholischen Familie ständig aneinander und das, obwohl ihre Mutter in den 20er Jahren für das Wahlrecht der Frauen gekämpft hat. Doch ihr Vater bangt um den Ruf seines Unternehmens, das mit traditionellen Familienwerten wirbt und unter seiner ‚Emanzen-Tochter‘ leiden könnte. Der Großteil der Diskussionen um Frauenrechte und Geschlechterrollen findet damit im privaten Raum statt, obwohl die Fokussierung auf den Gerichtsprozess es ermöglichen würde, auch Diskussionen aus dem öffentlichen Raum miteinzubeziehen.
Ganz gleich ob Katharinas Vater, die Anwälte von der Lufthansa oder die reißerischen Überschriften von Boulevardzeitungen – die Darstellung der konservativen Strömung mit pseudowissenschaftlichen Argumenten und bevormundenden Aussagen über und gegen Frauen sind so gut und glaubhaft geschrieben, dass sie das Blut zum Kochen bringen. Vor allem, da viele Frauen auch heute noch gegen dieselben Vorurteile ankämpfen müssen und dies nicht, wie es doch eigentlich sein sollte, in den knapp 50 Jahren seit Maiburgs Klage obsolet geworden ist.
Der zeitliche Kontext der Siebzigerjahre wird auch durch die Beschreibung der Mode besonders in den Fokus gerückt. Mit den blumengemusterten, langen Kleidern der älteren Generation und den Schlaghosen der jungen Frauen werden die Generationsunterschiede anhand verschiedener Kleidungsstile illustriert. Auch gibt es immer wieder Momente, die aufzeigen, wie selbstkritisch Katharina und Rita ihr eigenes Aussehen beurteilen. Dabei steht vor allem die Balance zwischen Selbstverwirklichung als junge, modebewusste Frau und Anpassung an die Erwartungen der Gesellschaft, um beruflichen Zielen nicht noch mehr Steine in den Weg zu legen, im Vordergrund. Allerdings werden gewichtige Szenen, in denen Kleidung etwas vermittelt, dadurch verwässert, dass in jeder dritten Szene Schnitt, Farbe, Stoff und Muster der Kleidung aufgezählt werden und sich das Ganze damit liest wie die Artikelbeschreibung eines „Bonprix“-Katalogs.
Der Roman wirkt darüber hinaus so, als hätte jemand die Eindrücke eines Sonntagabend-Spielfilmes schriftlich wiedergeben wollen in der Hoffnung, dass sich die vielen Einzelheiten auf dem Papier ebenfalls zu einer Gesamtheit ergeben und nicht nur zu einer Auflistung von verschiedenen schillernden optischen Reizen. Etwas ziellos fühlt sich auch die Nebenhandlung um Ritas Freund Frank an, dessen Drogenabhängigkeit zur Gefahr für ihren Traum werden könnte, sollten die Boulevardzeitungen Rita mit ihm assoziieren. Doch ihre Freundschaft wird nie publik, auch nicht als Frank wegen eines schlechten Drogentrips in eine Psychiatrie eingeliefert wird, aus welcher Rita ihn zu befreien versucht. Dieses Vorhaben gelingt ihr nicht, sodass Franks Geschichte irgendwo in der Schwebe endet. Ähnlich sieht es auch mit weiteren Handlungssträngen aus, die komplexe Themen wie Depressionen, Abtreibungen und Scheidungsrecht zwar oberflächlich ankratzen, aber nie zu einer befriedigenden tieferen Auseinandersetzung mit ihnen gelangen.
Genauso enttäuschend ist auch der Partner, den Rita in den letzten Kapiteln ohne viel Erklärung an die Hand gegeben bekommt. Diese abrupte Entwicklung führt dazu, dass zum Ende des Romans beide Protagonistinnen in romantischen Beziehungen sind, obwohl dies in Ritas Fall weder zur Charakterentwicklung noch zur Handlung beigetragen hat. Dadurch entsteht das Gefühl, dass selbst ein Roman über berufliche Selbstverwirklichung nur mit einem traditionell romantischen ‚Happy-End‘ geschlossen werden darf.
Erreicht Freiflug nach einem langsamen „Takeoff“ seine Reisehöhe, erhält man einen gelungenen Eindruck der Lebensrealität von Frauen in den 1970er Jahren. Den Versuch neben der Problematik der Gleichberechtigung auch noch alle anderen Themen miteinfließen zu lassen, hätte man besser durch eine ausführliche Darstellung des Gerichtsverfahrens ersetzt. Als Einblick auf den bereits zurückgelegten Weg der Gleichberechtigung lohnt sich der Roman trotzdem, vor allem, um sich bewusstzuwerden, dass ein weites Stück davon noch immer vor uns liegt.
Anmerkung der Redaktion: Die Rezension gehört zu den studentischen Beiträgen, die im Rahmen eines Lehrprojekts im Sommersemester 2022 entstanden sind und gesammelt in der Oktoberausgabe 2022 erscheinen.
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