Herkunft und Scham

Daniela Dröscher schreibt mit „Zeige deine Klasse“ ihre Autobiografie

Von Bettina SchabertRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bettina Schabert

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit ihrem neuesten Werk Zeige deine Klasse verfasst Daniela Dröscher erstmalig und zunächst einigermaßen überraschend eine Autobiografie, waren doch ihre zwei vorangegangenen Romane, das Debütwerk Die Lichter des Georges Psalmanazar aus dem Jahr 2009 und Pola, erschienen 2012, der Gattung „historischer Roman“ zuzuordnen. In ihrem Erstlingswerk widmete sich Dröscher der Lebensgeschichte der titelgebenden historischen Figur Georges Psalmanazar aus dem 18. Jahrhundert, die deren Herkunft beziehungsweise die massive Hochstapelei um diese Herkunft verhandelte. Auch der zweite Roman der Autorin legte das Augenmerk auf eine geschichtsträchtige Hauptfigur, in diesem Fall Pola Negri, den bekanntermaßen aus sehr einfachen Verhältnissen stammenden Stummfilmstar. Beiden Werken sind somit die Themen „Herkunft“ und „Kindheit“ als zentral eingeschrieben. Insofern verwundert auf den zweiten Blick die Hinwendung Dröschers zur eigenen „sozialen Herkunft“ in ihrem neuen Werk nicht. Die vorliegende Autobiografie ist lediglich scheinbar von Dröschers bisherigem Wirken entfernt angelegt und stellt allenfalls gattungstheoretisch eine Zäsur dar.

Die Geschichte meiner sozialen Herkunft, so der Subtitel des Buchs, spielt in den 1980er und 1990er Jahren, die Autorin wurde 1977 geboren. Dröscher unterteilt ihren Text chronologisch in einzelne Lebensabschnitte, die wirkmächtige Stationen vom Kindergarten bis zur Promotion beleuchten. Dabei lohnt sich zuvorderst ein Blick auf den Titel des Prologs „Ein Gelächter und eine schmerzliche Scham“, nimmt er doch vorweg, was im Folgenden für die Autorin wesentlich zu sein scheint: das Nachzeichnen der eigenen Herkunft sowie das damit einhergehende Empfinden und die Reflexion empfundener Scham. Dieses Nachzeichnen geschieht im Gegensatz zu Dröschers häufigem Stichwortgeber Didier Eribon und dessen Lebensgeschichte Die Rückkehr nach Reims. Denn Eribon bleibt mit seiner Erzählung nicht der bloßen Rekonstruktion der eigenen Herkunft verpflichtet, sondern schließt an seine Darstellung generelle Reflexionen zu den gesellschaftlichen Verhältnissen in Frankreich an, bindet also den subjektiven Erlebenskosmos an eine höhere Dimension. Nun hätte auch in Zeige deine Klasse die Analyse einer angenommenen Chancenungleichheit auf Basis der Herkunft entlang der eigenen Biografie eine lohnenswerte Aufgabe sein können. Genau darum geht es der Autorin in ihren Ausführungen jedoch nicht. Das Bestimmen ihres sozialen Ursprungs dient ausschließlich dem Zweck, sich selbst besser kennenzulernen und hält somit leider wenig Erkenntnisgewinn für den Leser bereit. Das Ziel Dröschers, so scheint es, liegt in einem Nachspüren von subjektiven Lebensempfindungen: „Der Schatz, den ich für mich zu bergen versuche, ist eine Klarheit über diese verwirrende, paradoxe Scham, die mir den Blick auf meine Privilegien vernebelt hat“. Am Ende der einzeln dargelegten Lebensabschnitte steht schließlich ergänzend zu den vorangegangenen primären Ausführungen ein „Alphabet der Scham“.

Mittels der titelgebenden Einführung des Klassenbegriffs kann der Leser zunächst über eine unterprivilegierte Kindheit der Autorin mutmaßen, diese bestätigt sich jedoch so nicht. Indes weisen die Eltern vorzeigbare Berufe vor, so ist der Vater immerhin als Maschinentechniker – wenn auch ohne Abitur und Studium – tätig, die Mutter hat eine Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin gemacht. Aufgrund der dennoch vermeintlich „einfachen“ Herkunft der Eltern, der Vater stammt aus einer Kleinbauernfamilie, die Mutter ist schlesiendeutscher Abstammung, bezeichnet Dröscher sich selbst als „Aufsteigerkind“ und bindet ihre Überlegungen an diesen Status. Das schon erwähnte Schamgefühl als leitendes Movens des Werks bezeugt überdies die Bindung von Kindheit und Jugend an drei nahezu formelhafte „D’s“ – einem Schamdreieck mithin –, von der Autorin mit den Schlagwörtern „Dorf, Dialekt und Dicke Mutter“ belegt. Diese drei „D’s“ stets im Schlepptau entwickelt und beschreibt Dröscher eine sich daraus situativ ergebende „Scham nach unten“ sowie deren Gegenpol, die „Scham nach oben“. Nach unten findet diese statt, wenn beispielsweise Kindheitsfreunde weniger Bildungschancen haben als die Autorin selbst (Realschule vs. Gymnasium), nach oben betrifft dies den Umgang mit Studienfreunden, die aus alteingesessenen Bildungshaushalten stammen. Dröscher studiert schließlich Germanistik, Philosophie und Anglistik, empfindet jedoch stets eine unterschwellige Minderwertigkeit im Vergleich zu Kommilitonen, die scheinbar über Generationen hinweg gut situierten bildungsbürgerlichen Familienhäusern entstammen.

Die Textgestaltung in Zeige deine Klasse, die zwischen Narration und Analyse angelegt ist, unterminiert manch enthaltenen wertvollen Gedanken. Dafür sorgt unter anderem die Fülle der Fußnoten, die dem Leser einen noch detaillierteren Hintergrund zu dem Gesagten liefern sollen. Der mögliche Vorteil von erweiterten Erläuterungen des Werks wandelt sich somit zu seinem Nachteil, denn während Dröscher einige sehr interessante Gedanken aufweist, wie zum Beispiel Überlegungen, was Normalität ist oder nach wie vielen Generationen man nicht mehr als Aufsteiger-, sondern als Bildungshaushalt gelten kann, wirkt die Vielzahl der gewählten Zitate sowie der umfangreiche Anmerkungsapparat auf den Leser verwirrend. Jene Zitate, etwa von Pierre Bourdieu oder von dem bereits genannten Eribon, sind in ihrer Auswahl für den Leser nicht vollumfänglich nachvollziehbar beziehungsweise zeichnen keine stringente wissenschaftliche Diskussion nach. Daneben weist der Text implementierte Auflistungen auf, die wiederum das bereits Erläuterte vertiefen sollen, was den Lesefluss ebenfalls beeinträchtigt. Die erwähnte fehlende wissenschaftliche und damit breitere Grundlage verfestigt sich zudem in der Eindimensionalität des Texts. Die Autorin bindet erinnertes und erlebtes Verhalten ausschließlich an das erwähnte Modell des Aufsteigerkindes und lässt dabei charakterlich angelegte Spezifika außer Acht. So mag es nicht zwingend eine Frage der Herkunft sein, ob man sich in Universitätsseminaren zu Wort meldet oder nicht, sondern auch in der Person selbst (schüchtern vs. vorlaut) begründet liegen. Der Text suggeriert damit eine generelle Erklärung, nach der subjektiv empfundene soziologisch angelegte Empfindungen an die Herkunft rückzubinden sind und verliert damit an Reflexionskraft. So gerät die für sich gesehen gute Idee, über die eigene Herkunft nachzudenken und mit der Gesamtentwicklung eines Menschen in Verbindung zu bringen, leider allzu einfach.

Titelbild

Daniela Dröscher: Zeige deine Klasse. Die Geschichte meiner sozialen Herkunft.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2018.
250 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783455004311

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