Vom Telegramm über die SMS zur WhatsApp-Nachricht

Christa Dürscheids und Karina Fricks „Schreiben digital“ – Eine Tour d‘Horizon durch die Entwicklung der technikvermittelten Kommunikation

Von Katharina KönigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katharina König

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Frage, wie die technikvermittelte Kommunikation Möglichkeiten der sozialen Kontaktaufnahme beeinflusst, wird nicht erst seit der Erfindung des Internets diskutiert: So löste etwa die Einführung der elektronischen Telegraphie im 19. Jahrhundert eine Debatte darüber aus, ob die bis dato ungesehene Schnelligkeit der Nachrichtenfernübermittlung und die hierdurch entstehende ‚Informationsflut‘ die Menschen überfordern könne (nachzulesen in Tom Stantages Buch Das viktorianische Internet. Die erstaunliche Geschichte des Telegraphen und der Online-Pioniere des 19. Jahrhunderts). Auf sehr ähnliche Weise wird heute im öffentlichen Diskurs zur internetbasierten Kommunikation häufig auf mögliche negative Auswirkungen von Twitter, WhatsApp und Co. verwiesen. Im Dezember 2012 sorgte etwa Hans Zehetmair, damaliger Vorsitzender des Rats für deutsche Rechtschreibung, mit seiner Diagnose, dass die Kommunikation in den neuen Medien zu einer Verkürzung und damit zu einer Verarmung der deutschen Sprache führe, für große mediale Aufmerksamkeit. Die sich neu entwickelnden und stetig wandelnden Möglichkeiten der technikvermittelten Kommunikation und ihre Auswirkungen auf unsere Sprach- bzw. Schreibkompetenz stellen also immer wieder Stoff für kontrovers geführte Diskussionen bereit.

Mit ihrem Essay Schreiben digital. Wie das Internet unsere Alltagskommunikation verändert legen Christa Dürscheid und Karina Frick nun eine gut lesbare und auch für eine linguistisch nicht vorgebildete Leserschaft zugängliche Überblicksdarstellung zur Entwicklung der technikvermittelten Kommunikation der letzten Jahrzehnte vor. Die beiden Züricher Sprachforscherinnen setzen sich zum Ziel, auf Basis eigener empirischer Studien zur Chat-, E-Mail-, SMS- und WhatsApp-Kommunikation in Deutschland und der Schweiz zu dem sprachkritischen Mediendiskurs Stellung zu beziehen.

Der erste Teil ihres Essays „Neue und alte Kommunikationsformen“ befasst sich mit einer grundlegenden Charakterisierung verschiedener Kommunikationspraktiken, die in den letzten Jahren im Bereich der computervermittelten Kommunikation entstanden sind oder sich durch die Möglichkeiten der internetbasierten Kommunikation verändert haben. Es mag zunächst verwundern, dass hier auch das Versenden von Postkarten und Telegrammen thematisiert wird; jedoch zeigt sich an diesen Kommunikationsformen eindrücklich, welchen Einfluss das Internet auf die Entwicklung der Nachrichtenübermittlung hat. So können Postkarten heute über spezifische Smartphone-Apps wie Postando oder MyPostcard individualisiert erstellt, über das Netz an den jeweiligen Anbieter übermittelt und von diesem dann in gedruckter Version auf dem normalen Postweg verschickt werden. Während die ursprüngliche Form der Postkarte parallel erhalten bleibt, werden Telegramme hingegen nur noch über das Internet verschickt. Auch bei Faxen deutet sich eine ähnliche Umstellung auf ein internetgestütztes Angebot an, auch wenn einige Unternehmen noch auf die Übermittlung über eine Telefonverbindung setzen. Bei E-Mails hingegen sind die technischen Bedingungen des Nachrichtenversands gleich geblieben; durch die Entwicklung von Smartphones und den Ausbau des mobilen Internets ist ihre Erstellung jedoch nicht mehr an einen Desktop-Rechner gebunden.

Die kommunikative Praktik, mit der sich Dürscheid und Frick in ihrem Essay hauptsächlich befassen, ist die Kommunikation über den mobilen Messenger WhatsApp. Neue Nutzungsstudien können aufzeigen, dass der Messenger nicht nur unter Jugendlichen weite Verbreitung findet. Gegenüber dem frühen SMS-Versand hat sich die Kommunikation über WhatsApp grundlegend geändert: Dadurch, dass Nachrichten bei neueren Handymodellen und Smartphones in einem kontinuierlichen Nachrichtenstrang angezeigt werden, kann bei den SchreiberInnen der Eindruck eines andauernden Austauschs entstehen, der etwa Begrüßungen am Anfang eines Dialogs obsolet macht. Zudem kann der Nachrichtenaustausch über WhatsApp – ähnlich wie bei Chats – ‚quasi-synchron‘ erfolgen: Zwar können die RezipientInnen nicht an der Produktion der WhatsApp-Nachrichten teilhaben, die Messenger-NutzerInnen können aber zur gleichen Zeit auf den dialogischen Austausch orientiert sein und die Nachrichten in enger zeitlicher Folge verschicken. Anders als etwa in clientbasierten Chatsystemen kann sich der dialogische Nachrichtenaustausch per WhatsApp jedoch auch über größere zeitliche Abstände hinweg als zusammenhängende diskursive Einheit entwickeln. Dürscheid und Frick schlagen vor, nur in ersterem Fall von einem WhatsApp-Chat zu sprechen. Mit welchem Terminus der zeitlich versetztere Nachrichtenaustausch erfasst werden soll, lassen die Autorinnen hingegen offen. 

In dem ersten Teil des Essays stellen Dürscheid und Frick somit verschiedene Neuerungen und Erweiterungen digital übermittelter Nachrichten vor und beleuchten jeweils die kommunikativen Bedürfnisse, die durch die verschiedenen Kommunikationsformen bedient werden können. Eine genauere Klärung des im Titel genannten Konzepts des „digitalen Schreibens“ ist an dieser Stelle lohnenswert. Nicht in allen der aufgeführten Kommunikationsformen erfolgt der eigentliche Akt des Schreibens digital (bei Faxen etwa kann auch eine handschriftlich verfasste Botschaft digital übermittelt werden). Und auch wenn die Autorinnen digitales Schreiben oft mit dem Versenden über das Internet gleichsetzen, sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass Texte digital über einen computergestützten Eingebmodus ‚erzeugt‘ werden können (ein Brief, den man am Computer tippt; eine Notiz, die man mit einem Smartpen auf einem Tablet anfertigt), ohne dass sie über das Internet übermittelt werden. Solche Praktiken stehen jedoch nicht im Fokus des Essays. Unter dem Titel „Schreiben digital“ nehmen Dürscheid und Frick also nicht generell den Prozess der digitalen Texterzeugung in den Blick. Vielmehr bildet die digitale, internetgestützte Übermittlung von schriftbasierten, aber auf einen dialogischen Austausch angelegten Kommunikaten den primären Gegenstandsbereich ihrer Abhandlung.

Im zweiten Teil des Essays nehmen die Autorinnen eine konzise Beschreibung der „Merkmale des digitalen Schreibens“ vor. Sie fokussieren hierbei solche Kommunikationsformen, die sie in Abgrenzung zu „primär bildbasierten“ (wie Instagram oder Snapchat) und „primär mündlichen“ Kommunikationspraktiken (wie Internettelefonie und Sprachnachrichten) als „primär schriftbasiert“ einordnen (im Schwerpunkt WhatsApp-Chats, aber etwa auch Facebook-Postings). Bei der Erfassung der für das digitale Schreiben typischen sprachlichen Mittel zeigen die Autorinnen eine Diskrepanz zwischen der Sprachwahrnehmung der medialen Öffentlichkeit auf der einen Seite und linguistischen Forschungsergebnissen auf der anderen Seite auf. Zwar werden immer wieder Abkürzungen, Anglizismen und Ellipsen als Merkmale einer Internetsprache oder eines SMS-Stils aufgeführt, jedoch zeigt die Auswertung größerer Korpora, dass die benannten Merkmale nicht so häufig vorkommen wie gemeinhin angenommen. In diesem zweiten Teil tragen Dürscheid und Frick dennoch Ergebnisse zu Phänomenen zusammen, die häufig mit primär schriftbasierten und internetvermittelten Kommunikationsformen verbunden werden. Sie trennen hierbei zwischen stilistischen Merkmalen, die sie vornehmlich auf der lexikalischen und syntaktischen Ebene verorten (neben den bereits genannten Abkürzungen, Tilgungen, Anglizismen auch Inflektive, Vorfeldellipsen, insbesondere von Pronomina, Auslassung von Präpositionen und Artikeln), und graphischen Merkmalen, die Schreibvarianten und Textgestaltungsverfahren umfassen (Verfahren der Groß- und Kleinschreibung, Buchstaben und Satzzeicheniteration, die Verwendung von Emojis sowie das Versenden von Fotos und Screenshots).

Bei den Ausführungen zeigt sich, dass sich die vorgenommene analytische Trennung zwischen den Kategorien „stilistisch“ und „graphisch“ nicht durchgehend aufrechterhalten lässt: Die benannten stilistischen Merkmale werden teilweise als „graphisch realisiert“ bezeichnet; bei den graphischen Merkmalen wiederum sprechen die Autorinnen von möglichen „(Schreib-)Stil[en]“. Ähnliche Schwierigkeiten ergeben sich dadurch, dass zwar negiert wird, dass es eine einheitliche Sprache des Internets gibt, die Aufzählung der benannten „Stilmittel“, mit denen man sich als kompetenter Nutzer/als kompetente Nutzerin darstellen kann, dann jedoch eine gewisse Typizität suggeriert. An anderer Stelle ist zudem von einem Register bzw. einer „SMS-Schreibe“ die Rede. Eine genauere Klärung des genutzten Stilbegriffs kann also dazu beitragen, das indexikalische Potenzial der sprachlichen Variationsmöglichkeiten besser fassen zu können: Wie groß ist der Einfluss des Mediums bzw. der über die Kommunikationsform bereitgestellten kommunikativen Ressourcen auf die Gestaltung einer Nachricht? Welche Merkmale oder Merkmalsbündel sind als stilistische Aggregate zu fassen, die sich in verschiedenen communitites of practice verfestigt haben? Wie stark differenzieren die NutzerInnen zwischen verschiedenen kommunikativen Gattungen der internetbasierten Kommunikation?

Im dritten Teil befassen sich Dürscheid und Frick mit dem öffentlichen Diskurs zu den „Folgen der Internetkommunikation“. Analysiert werden verschiedene, meist in Online-Zeitungen erschienene Abhandlungen zur Sprache in den neuen Medien. Die Autorinnen zeigen an den ausgewählten Beispielen auf, dass der oftmals bemühte Topos des Sprachverfalls durch die computervermittelte Kommunikation in den Artikeln zwar aufgenommen, jedoch zumeist kritisch reflektiert wird. Eine von Dürscheid und anderen durchgeführte Studie, die Schreibkompetenzen von SchülerInnen zum Gegenstand hat, kann zudem nachweisen, dass Schulaufsätze keinesfalls mit Merkmalen einer SMS- oder Netzsprache gespickt sind. Die SchreiberInnen können also durchaus unterscheiden, welcher Schreibstil für welchen Schreibanlass angemessen ist. Die in den ersten beiden Teilen des Essays beschriebenen Neuerungen sollten – so das Plädoyer von Dürscheid und Frick – auch aus sprachdidaktischer Perspektive als Anzeichen eines permanent stattfindenden Sprachwandels gewertet werden, der auf sich stetig ändernde kommunikative Bedürfnisse reagiert. Auch medienpädagogische Konsequenzen werden in diesem Teil kurz skizziert, wenn etwa eine Sensibilisierung Jugendlicher im Hinblick auf Datenschutz und Datensicherheit eingefordert wird.

Im abschließenden Kapitel wagen die Autorinnen einen vorsichtigen prognostischen Blick in die Zukunft internetgestützter kommunikativer Praktiken. Unter der Überschrift „Neue Praktiken, neue Möglichkeiten“ werden durch das Internet transformierte Verfahren des Trauerns (‚Entzünden‘ einer Online-Gedenkkerze für Verstorbene), der Partnersuche (etwa über Apps wie Tinder) und des Konsums (Online-Einkaufsplattformen) vorgestellt. Auch wenn in diesem Abschnitt keine Merkmale des digitalen Schreibens in den Blick genommen werden, zeigen diese programmatischen Ausführungen mögliche Entwicklungslinien in einem sich stetig wandelnden kommunikativen Repertoire der technikvermittelten Kommunikation und Interaktion auf.

Den Autorinnen gelingt es, mit der Form eines Essays einem sprachinteressierten Publikum einen medienlinguistisch informierten Überblick über das Entstehen neuer Kommunikationsformen und den hiermit verbundenen Veränderungen in unserem kommunikativen Alltag zu vermitteln. Die Kürze einer solchen Publikationsform bedingt natürlich, dass nicht alle relevanten Forschungsarbeiten dargestellt und dass in der Medienlinguistik geführte theoretische und terminologische Diskussionen nicht vollumfassend aufgenommen werden können. So wird etwa das Modell sprachlicher Nähe und sprachlicher Distanz von Koch/Oesterreicher recht knapp eingeführt; eine Reflexion von Problemen mit der Gegenüberstellung von medialer und konzeptioneller Schriftlichkeit bzw. Mündlichkeit und ihrer Übertragung auf neue internetbasierte Kommunikationsformen kann im Rahmen eines solchen Essays hingegen nicht erfolgen. Eine solche Diskussion könnte aber den öffentlichen Diskurs um digitales Schreiben, in dem – wie die Autorinnen selbst treffend im dritten Kapitel darstellen – häufig nur unzureichend zwischen verschiedenen situational angemessenen Schreibstilen differenziert wird, durchaus positiv beeinflussen. 

Die Darstellung der technischen Neuerungen bei Kommunikationsplattformen wie dem Facebook-Messenger oder WhatsApp geben einen ersten Einblick in die komplexen Verknüpfungen zwischen unterschiedlichen Kommunikationsformen und den nutzbaren semiotischen Ressourcen. Die zukünftige linguistische Forschung sollte sich auf diesen Beschreibungen aufbauend der Praktik des Schreibens (und nicht mehr nur dem Schreibprodukt) zuwenden: Nicht nur die etwa durch Emojis erweiterten Kommunikationsmöglichkeiten sollten Beachtung finden, sondern auch Einflüsse auf den Produktionsprozess sollten stärker in den Blick genommen werden. Wie beeinflusst etwa die Tatsache, dass der Online-Status oder die Nachrichtenproduktion einer WhatsApp-Nutzerin innerhalb der App angezeigt werden, die Ausgestaltung einer WhatsApp-Nachricht? Wie stark rezipieren die NutzerInnen das Bildschirmprotokoll während der Nachrichteneingabe?

Die Ausführungen von Dürscheid und Frick zur WhatsApp-Kommunikation deuten zudem bereits an, dass der Fokus auf Praktiken des digitalen Schreibens zunehmend unpassender wird. So nimmt etwa die Beschreibung von WhatsApp-Sprachnachrichten einen nicht geringen Stellenwert in ihren Darstellungen ein. Die Möglichkeit, über die App aufgenommene Audio-Postings in den Chatverlauf integriert zu versenden, stellt eine bedeutende Ergänzung der semiotischen Ressourcen der mobilen internetbasierten Kommunikation dar. An der Darstellung von Dürscheid und Frick wird erkennbar, dass Sprachnachrichten mit bislang etablierten Beschreibungsmodellen nur schwer zu erfassen sind. Stellen sie eine eigene Kommunikationsform dar oder sind sie Teil der Kommunikationsform des WhatsApp-Chats? Weitere empirische Studien zu dialogischen Mustern und sprachlichen Strukturen von WhatsApp-Sprachnachrichten sind daher notwendig.

Darüber hinaus liefert der Essay weitere Anknüpfungsmöglichkeiten zu einer gattungsanalytischen Beschreibung verschiedener sedimentierter Muster oder Verfestigungen in der internetbasierten Kommunikation. So ist nicht nur zu fragen, inwieweit ‚traditionelle‘ Textsorten wie Todesanzeigen durch die Möglichkeit der Online-Kommentierung dialogisch erweitert und verändert werden, sondern es ist zudem auf Basis größerer Korpora zusammenhängender Nachrichtenstränge zu ermitteln, inwiefern sich etwa die WhatsApp-Kommunikation in verschiedene kommunikative Gattungen aufgegliedert hat, in denen die NutzerInnen die im zweiten Teil des Essays beschriebenen sprachlichen Strategien differenziert zur Anwendung bringen.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Christa Dürscheid / Karina Frick: Schreiben digital. Wie das Internet unsere Alltagskommunikation verändert.
Einsichten, Bd. 3.
Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 2016.
156 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783520715012

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch