Ein binationaler, interkultureller Schriftsteller

Zum 100. Todestag von Karl Gjellerup

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Nobelpreisträger sind keineswegs vor dem Vergessen gefeit. Gerade die Literaturgeschichte ist da mitunter recht rigoros. Beredtes Beispiel ist der dänische Schriftsteller Karl Gjellerup, der am 11. Oktober 1919 in Klotzsche bei Dresden verstarb. Obwohl er 1917 gemeinsam mit seinem Landsmann Henrik Pontoppidan (1857–1943) den Literaturnobelpreis erhielt, ist Gjellerup heute nahezu vergessen. Selbst in der umfangreichen Skandinavischen Literaturgeschichte (2006) oder in dem sechsbändigen ZEIT-Literaturlexikon (2008) sucht man seinen Namen vergebens. Daher soll hier anlässlich seines 100. Todestages an ihn erinnert werden, zumal Gjellerup als dänisch-deutscher Schriftsteller gesehen werden kann.

Karl Adolph Gjellerup wurde am 2. Juni 1857 in Roholte, südwestlich von Kopenhagen, geboren. Der Vater war Pfarrer, verstarb aber bereits 1860, sodass der Dreijährige zu der kinderlosen Familie des Pastors Johannes Fibiger (ein Vetter der Mutter) gegeben wurde. Aus dem vorübergehenden Aufenthalt wurde jedoch ein dauerhaftes Pflegekind. So wuchs der Knabe als einziges Kind bei seinen Pflegeeltern auf, die sich liebevoll um seine Erziehung kümmerten. In dem bildungsbeflissenen Pfarrhaus traf sich außerdem ein Kreis von Künstlern und Literaten, sodass der junge Karl schon frühzeitig mit Kunst und Literatur vertraut wurde. Klassische Musik wurde im Haus Fibiger ebenfalls gepflegt. Diese Begegnungen und die unbeschwerte Kindheit sollten später einen richtungsweisenden Einfluss auf sein Leben und Werk haben.

Mit sieben Jahren besuchte Karl in Kopenhagen die Schule, wo er sich in den höheren Klassen intensiv mit der deutschen Literatur beschäftigte – neben Goethe, Schiller und Heine auch mit den deutschen Philosophen. Besonders die Begeisterung für Schiller sollte sein ganzes Leben lang anhalten und so finden sich später in seinen Gedichten immer wieder Züge von „Schillerscher Manier“, was Gjellerup mitunter die Bezeichnung „Schillerup“ einbrachte. In der Schulzeit entstanden erste Gedichte, meist mit Naturthemen, die bereits ein gewisses Talent erkennen ließen. 1874 legte der junge Gjellerup sein Abitur ab und nahm ein Theologiestudium in Kopenhagen auf. Wie sein Vater und sein Pflegevater sollte er Pastor werden.

Während des Studiums wandte sich Gjellerup den Freidenkern zu und machte die Bekanntschaft mit der literarischen Strömung „Moderner Durchbruch“ (ca. 1870–1890), die der dänische Schriftsteller und Kritiker Georg Brandes (1842–1927) ins Leben gerufen hatte. Neben der Diskussion von Weltanschauungsfragen wurde in den literarischen Kreisen – ausgehend von Charles Darwin (1809–1882) und Søren Kierkegaard (1813–1855) – auch Kritik an der Institution Kirche und ihrem Autoritätsanspruch geübt. Unter diesem Einfluss wandte sich Gjellerup immer mehr vom Christentum ab. Hinzu kamen viele neue Literatureinflüsse von Byron über Turgenjew bis zu Zolas Naturalismus, auch die Beschäftigung mit der Musik – vor allem mit Richard Wagner – wurde immer prägender für ihn.

Gjellerup beendete zwar 1878 sein Theologiestudium (sogar mit dem Prädikat Summa cum laude), aber eine Laufbahn auf der Kanzel wollte er nicht mehr einschlagen. Vielmehr wandte er sich der Literatur zu und bereits Ende 1878 erschien unter dem Pseudonym „Epigonos“ die Erzählung En idealist (dt. Ein Idealist), in der Gjellerup den persönlichen Konflikt zwischen Glauben und Idealismus verarbeitete. Obwohl En idealist eher ein „Zwischending“ zwischen Novelle und Roman war – was auch sein Vorbild Brandes kritisierte – fand Gjellerup damit viel Anerkennung, was ihn mit zahlreichen Künstlern in Kontakt brachte. In den beiden folgenden Büchern Det Unge Danmark (1879, dt. Das junge Dänemark) und Antigonos (1880) vertrat der junge literarische Freidenker „mit nichtreligiösem Standpunkt“ radikale Anschauungen des extremen Realismus und Materialismus.

Nach diesen ersten dichterischen Versuchen erschien 1882 der Roman Germanernes Lärling (dt. Ein Jünger der Germanen), der zahlreiche autobiografische Züge trägt. Der Bauernsohn Niels Hjorth, Protagonist des Romans, wird zunächst Volksschullehrer und beginnt dann (wie Gjellerup) ein Theologiestudium in Kopenhagen. Konfrontiert mit dem deutschen Idealismus kommen ihm aber Zweifel am christlichen Glauben.

Eine Erbschaft und die weitere finanzielle Unterstützung seines Pflegevaters ermöglichten es Gjellerup, im März 1883 eine größere Europareise alten Stils anzutreten. Das erste Reiseziel war Deutschland, hier suchte er in Jena und Weimar die Wirkungsstätten seiner großen literarischen Vorbilder Goethe und Schiller auf. Danach folgte ein zweimonatiger Aufenthalt in Rom, wo er sich den bildenden Künsten widmete. Den heißen Sommer verbrachte er in der Schweizer Bergwelt, um schließlich nach Griechenland mit seinen antiken Tempeln und Kultstätten aufzubrechen. Die Rückreise trat er – teilweise mit der Eisenbahn – über Istanbul, Odessa, Kiew, Moskau, St. Petersburg und Stockholm an. Die vielfältigen Reiseeindrücke verarbeitete Gjellerup in En klassisk Maaned (1884, dt. Ein klassischer Monat) und Vandreaaret (1885, dt. Das Wanderjahr).

Die Begegnung mit der Weimarer Klassik und den Stätten des Altertums führte 1885 zu Zerwürfnissen und schließlich zum Bruch mit Brandes und der Gruppe des „Modernen Durchbruchs“, wo er ohnehin nur ein Mitläufer war. Gjellerup hielt an seinem Idealismus fest, der für ihn die Grundlage aller Dichtung war. Unter dem Eindruck der griechischen und deutschen Klassik wandte sich Gjellerup nun der Tragödiendichtung zu. Inspiriert durch Richard Wagner und dessen Musikdramen (Die Meistersinger von Nürnberg und Der Ring der Nibelungen hatte er während seiner Europareise in Leipzig bzw. Rom gesehen) entstanden Stücke der nordischen Sagenwelt: Brynhilde (1885), Hagbart und Signe (1888) und andere.

Bereits 1877 hatte Gjellerup in Kopenhagen die zwei Jahre ältere Eugenia Anna Caroline Bendix (geb. Heusinger) kennengelernt. Die gebürtige Dresdnerin war mit dem Cellisten Fritz Emil Bendix (1847–1914) verheiratet. Auf ausgiebigen Spaziergängen entstand zwischen Eugenia und Karl bald eine gegenseitige Zuneigung. Nach der ersten Eifersucht des Ehemanns kühlte ihr Verhältnis jedoch ab und der Briefkontakt erlahmte. Erst nach Gjellerups Europareise kam es zur entscheidenden Wende – Eugenia entschied sich für Karl. Um Problemen aus dem Weg zu gehen, beschloss sie, für eine gewisse Zeit nach Dresden zu ihren Eltern zu ziehen. Wenig später reiste Gjellerup ihr nach und bezog in Dresden eine separate Wohnung. Mit Eugenia erlebte er eine glückliche Zeit: Sie besuchten die Oper, Museen und Gemäldegalerien und genossen die Landschaft des Elbtals. Zwei Jahre dauerte ihr Aufenthalt, dann beschlossen die Beiden, nach Dänemark zurückzukehren. Nach den vorgeschriebenen drei Jahren der Trennung von ihrem Ehemann war Eugenia endlich frei für Gjellerup und sie wurden von seinem Pflegevater getraut.

Die Ereignisse dieser spannungsreichen Jahre, vom ersten Kennenlernen bis zur Hochzeit, hat Gjellerup später in seinem Roman Minna (1889, dt. Seit ich zuerst sie sah (1918)) verarbeitet. Im Mittelpunkt des biografisch motivierten Stoffs steht die emotionale Schilderung der unglücklichen Dreierbeziehung, die für heutige Leser und Leserinnen wahrscheinlich etwas romantisch-sentimental wirkt, zumal der Roman mit dem Tod Minnas tragisch endet. Da Gjellerup den Handlungsort (auch das Kennenlernen) von Kopenhagen nach Dresden verlegte und auch auf den deutsch-dänischen Kulturkontrast einging, bewegte er sich hier erstmals als dänisch-deutscher Grenzgänger.

In diesem Augenblick ertönte vom Flusse her die Dampfschiffspfeife. […] Wie gewöhnlich kam ich in der letzten Minute an Bord. Als ich meine Siebensachen untergebracht hatte und anfing, mich umzusehen, waren wir schon an der Albertbrücke; die Stadt zeigte ihr Profil mit den schönen Türmen über der Brühlschen Terrasse. Dort war die Luft noch klar, aber über uns war es neblig und vor uns sogar ziemlich dunkel. Dabei wehte es einen feucht an; ich schnallte mein Plaid aus den Riemen. Als wir an den drei Schlössern vorbeidampften, konnte man die Stadt kaum noch sehen, und als wir Loschwitz erreichten, fing es an zu regnen; das heißt, es regnete eigentlich nicht, sondern …

„Es nieselt egal ä bissel“, sagte ein dicker Dresdener zu seiner Ehehälfte, die fragend den Kopf zur Kajütentüre heraussteckte.

Gjellerup war aber bald die Auseinandersetzung mit den literarischen Kreisen und den Bühnen in Kopenhagen leid. Seine Stücke wurden nur zögerlich aufgeführt. Außerdem sah die bessere Gesellschaft in Eugenias Scheidung immer noch einen Skandal, und so kehrte das Paar nach vier Jahren (1892) nach Dresden zurück. Es war für Gjellerup – trotz späterer Reisen nach Skandinavien – ein endgültiger Weggang von seiner dänischen Heimat, den er selbst als „Deutschland einen Dichter geschenkt“ bezeichnete. Nachdem die Tragödien nicht den erwarteten (finanziellen) Erfolg hatten, widmete sich Gjellerup nun dem Roman zu. Sein erster Versuch Die Hügelmühle. Roman in fünf Büchern. (1896) enthielt neben naturalistischen Zügen auch dekadente (Fin de Siècle) Stimmungen sowie Anlehnungen an Arthur Schopenhauers Weltanschauungen und wird heute vielfach dem deutschen Symbolismus zugerechnet. Der Roman steht am Beginn einer Reihe von Werken, die zuerst in deutscher Sprache erschienen. Sein Abdruck in einer Dresdener Zeitung machte Gjellerup schnell in der Stadt bekannt.

Zur Jahrhundertwende zeigte sich ein allgemeines Interesse an östlicher Philosophie. So war 1903 in Leipzig der „Buddhistische Missionsverein für Deutschland“ gegründet worden. Angeregt durch Schopenhauers Lehre von der Welt- und Selbstverneinung entdeckte auch Gjellerup die indische Philosophie und buddhistische Weltsicht, die bereits in Die Hügelmühle anklangen. In der Folge entstanden einige Werke, die in Indien angesiedelt waren und sich mit dem buddhistischen Erlösungsmotiv – verbunden mit dem Motiv der romantischen Liebe – auseinandersetzten. Aus heutiger Sicht sind Der Pilger Kamanita. Ein Legendenroman. (1906) und Die Weltwanderer. Romandichtung in drei Büchern. (1910) erwähnenswert. Der Entwicklungsroman Der Pilger Kamanita ist eine Schilderung einer mystischen Seelenwanderung zum Nirwana, die mit ihren buddhistisch-hinduistischen Motiven den europäischen Leser der damaligen Zeit in eine andere Welt entrückte.

Einst wanderte der Buddha im Lande Magadha von Ort zu Ort und kam nach Rajagaha. Der Tag ging schon zur Neige, als der Erhabene sich der Stadt der fünf Hügel näherte. Gleich dem Abglanz einer segnenden Götterhand breiteten sich die milden Strahlen der Sonne über die weite, mit grünen Reisfeldern und Wiesen bedeckte Ebene. Hier und dort zeigten kleine an der Erde hinkriechende Wölkchen, wie aus reinstem Goldstaube, dass Menschen und Ochsen von der Feldarbeit heimkehrten; und die langgestreckten Schatten der Baumgruppen waren wie von einer regenbogenfarbigen Glorie umgeben. Aus dem Kranze der blühenden Gärten glänzten die Torzinnen, Terrassen, Kuppeln und Türme der Hauptstadt hervor, und in unvergleichlichem Farbenschmelz, als wären sie aus Topasen, Amethysten und Opalen gebildet, lag die Reihe der Felsenhügel da. Von diesem Anblick ergriffen, blieb der Erhabene stehen.

In Die Weltwanderer, dem letzten Werk dieser Schaffensphase, wird „das Wandern durch die Welten mit allen Irren und Wirren als große Pilgerreise“ etabliert, als Prozess des Reifens. Für die Darstellungen des indischen Universums betrieb Gjellerup stets äußerst gründliche Studien. Der schwedische Literaturhistoriker Karl Johan Warburg (1852–1918), der einige Jahre später ein Gutachten für Gjellerups Nobelpreisnominierung verfasste, sah in diesen Werken eine Mischung aus Dichtung und Wissenschaft. Neben Gjellerup webten zahlreiche Dichter der damaligen Zeit fernöstliche Motiven in ihre Werke – darunter Theodor Däubler, Max Dauthendey, Gerhart Hauptmann, Hermann Hesse, Franz Werfel oder Stefan Zweig.

Nach 1910 entstanden nur noch wenige Werke. In dem Roman (in 5 Büchern) Rudolph Stens Landpraksis (1913, dt. Reif für das Leben) gestaltete Gjellerup noch einmal eine Dreierbeziehung, Mit dem historischen Roman Guds venner (1916, dt. Die Gottesfreundin 1918) tauchte er nach der Indien-Mode in das mystische Mittelalter ein. Die Handlung spielt in Franken, in der Mitte des 14. Jahrhunderts zur Zeit der Ketzerverfolgungen. Der Novellenkranz Den gyldne gren (1917, dt. Der goldene Zweig) war eine Dichtung aus der Zeit des Kaisers Tiberius. In den beiden Werken näherte sich Gjellerup wieder dem Christentum, ohne seine seit dem Studium manifestierte Abneigung gegenüber allem Kirchlichen zu leugnen.

Gjellerup war bereits 1911 für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen worden (u.a. nach einem Sachverständigengutachten von Karl Warburg), doch der Preis ging schließlich an den belgischen Schriftsteller Maurice Maeterlinck (1862–1949). Zwei Jahre später kam Gjellerup nochmals in die engere Wahl, aber mit Rabindranath Tagore (1861–1941) wollte das Nobelpreis-Komitee erstmals einen außereuropäischen Dichter auszeichnen. 1914 wurde der Preis nicht verliehen und 1915 ging er an den Franzosen Romain Rolland (1866–1944). Mit der Vergabe an den schwedischen Dichter Verner von Heidenstamm (1859–1940) bemühte sich das Komitee im Krieg um eine strikte „literarische Neutralitätspolitik“. Ebenso 1917 mit der Verleihung an die beiden dänischen Dichter Karl Gjellerup („In Anerkennung seiner reichen, vielfältigen, von hohen Idealen getragenen Dichtung“) und Henrik Pontoppidan. Nach vielen Nominierungen war die Auszeichnung letztlich eine Überraschung, hatte Gjellerup doch in den zurückliegenden Jahren keine bedeutenden Werke mehr vorgelegt. Er war selber von der Nachricht so überrascht, dass er in seinem Kalender fast beiläufig notierte: „Nobelpreis – ich Träger“. Durch die Kriegssituation gab es keine öffentliche Verleihung in Stockholm, die Urkunde wurde einfach mit der Post zugesandt – allerdings mit erheblicher Verspätung im Juni 1918. Es war übrigens nach 1904 (Frédéric Mistral und José Echegaray y Eizaguirre) die zweite Teilung des Literaturnobelpreises. Mit dem halbierten Preisgeld konnte sich Gjellerup einen lang gehegten Traum erfüllen; er erwarb im September 1918 die „Villa Baldur“ im Dresdner Vorort Klotzsche. Es sollte ein kurzer Traum werden.

In seinem letzten Werk Das Heiligste Tier (1919) mit dem Untertitel Ein elysisches Fabelbuch verwendete Gjellerup erstmals Elemente der Phantastik und Parodie. Ein heiterer Abschied – einen Tag nachdem er das Manuskript in die Post gegeben hatte, verstarb Karl Gjellerup am 11. Oktober 1919 in Dresden und wurde auf dem Alten Friedhof in Klotzsche beigesetzt. Eugenia starb 1940.

Die Nachrufe feierten Gjellerup noch als „einen Dichter und Denker von feinstem Kunstverstande“, doch in mancher Würdigung steckte – versteckt oder ungewollt – bereits Kritik: Gjellerup sei ein Künstler gewesen, „der die klassische Tradition erfolgreich gegen alles Modernistische in der Literatur fortsetzte“, heiß es dort beispielsweise. Die 1920er Jahre brachten neue ästhetische Innovationen und eine literarische Modernisierung hervor – „feinster Kunstverstand“ musste „Neuer Sachlichkeit“ weichen. Im Nachhinein warfen kritische Stimmen Gjellerup nicht nur Desinteresse an sozialen Fragen sondern auch eine „geringe künstlerische Substanz seines Werkes“ vor.

Postum erschienen 1920 noch die beiden Novellen Das Heiligste Tier und Madonna della Laguna sowie Karl Gjellerup, der Dichter und Denker. Sein Leben in Selbstzeugnissen und Briefen (herausgegeben von Peter Andreas Rosenberg, 2 Bände, Leipzig 1922), danach wurden seine Werke nur noch selten gedruckt. Die Sekundärliteratur brach ebenfalls abrupt ab. Gjellerup geriet zusehends in Vergessenheit. In Deutschland wurde in den letzten Jahrzehnten lediglich sein Roman Seit ich zuerst sie sah neu verlegt – so in der Sammlung Nobelpreis für Literatur (Band 17, 1967) des Züricher Coron Verlages mit einer kurzen Würdigung von F.J. Billeskov Jansen und einer kleinen Geschichte der Zuerkennung des Nobelpreises an Karl Gjellerup von A. Jolivet.

Olaf C. Nybo legte schließlich mit seiner Dissertation (Universität Freiburg (Breisgau)) Karl Gjellerup – ein literarischer Grenzgänger des Fin-de-siècle die einzige aktuelle Gesamtdarstellung von Gjellerup und seinem Werk vor. Sie erschien 2002 auch in der Schriftenreihe POETICA – Schriften zur Literaturwissenschaft (Band 68) im Verlag Dr. Kovač, Hamburg. Neben der Biografie und der kritischen Analyse ausgewählter Werke geht der Autor vor allem der berechtigten Frage nach, warum Gjellerup – sowohl in Deutschland als auch in Dänemark – nahezu in Vergessenheit geraten ist. Liegt es an seinem Erzählstil, den nicht mehr aktuellen Themen oder wirken seine Werke heute einfach unmodern? Der 100-seitige Anhang bietet außerdem eine erste umfassende Personalbibliografie zu Gjellerup, die gedrucktes und ungedrucktes Quellenmaterial berücksichtigt.

Allein in Gjellerups Wahlheimat Dresden wird die Erinnerung an ihn wachgehalten; so befindet sich sein gesamter schriftlicher Nachlass (darunter auch seine frühen Reisenotizen) in der Sächsischen Landesbibliothek in Dresden. Zu DDR-Zeiten hatte ein Friedhofsverwalter zufällig das völlig überwucherte Grabmal entdeckt, das dann vom Wildwuchs befreit wurde und Aufnahme in die Denkmalliste fand. Zum 80. Todestag des Dichters wurde eine schlichte Tafel mit den Geburts- und Sterbedatum angebracht. Seit Anfang der 2000er Jahre gibt es im Dresdner Stadtteil Klotzsche auch eine Karl-Gjellerup-Straße und 2006 erschien im Dresdner Verlags- und Publizistikhaus der „Minna“-Roman Seit ich zuerst sie sah. In dem Essay Der Pilger Gjellerup unternimmt der Autor Peter Lehmann eine Gjellerup-Spurensuche in der Elbmetropole. Außerdem beleuchtet er kritisch die Nobelpreis-Verleihung an Gjellerup: „nur weil die Nobelpreisstiftung wieder einmal nicht über ihren Schatten als skandinavische Einrichtung zu springen vermochte.“ Vielleicht war der Nobelpreis sogar der „literarische Todesstoß“ für Gjellerup: „Bemerkenswert allenfalls als Mensch, aber als Künstler […] zu Recht vergessen.“ Ein hartes Urteil, das der vielseitigen Dichter- und Kulturpersönlichkeit nicht gerecht wird, die mit ihren schriftstellerischen Leistungen zum Kulturaustausch zwischen Dänemark und Deutschland beigetragen hat.

Nun der 100. Todestag von Karl Gjellerup mit einer Kranzniederlegung auf dem Alten Friedhof Klotzsche und der Enthüllung einer Gedenktafel an der Villa „Baldur“. Im Anschluss lädt der Klotzscher Verein e.V. zu einem Festakt mit Lesung, Vortrag und Musik im Gemeindehaus Alte Post ein.

Übrigens scheint Dresden in der Vergangenheit häufig Anziehungspunkt für nordische Dichter gewesen zu sein; neben Gjellerup weilten auch Hans Christian Andersen (1805–1875), Henrik Ibsen (1828–1906) oder Martin Andersen Nexø (1869–1954) für längere Zeit in Elbflorenz oder wählten hier sogar ihren Wohnsitz.