Ein deutsch-deutscher Dichter

Zum 80. Geburtstag von Wolf Biermann

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Wie kaum eine andere Persönlichkeit bildet Wolf Biermann mit seiner Biographie das deutsch-deutsche Dilemma des 20. Jahrhunderts ab. Geboren wurde Karl-Wolf Biermann 1936 in Hamburg, er wuchs im waschechten Hafenarbeitermilieu auf. Seine Eltern wie auch die weitere Verwandtschaft waren nahezu allesamt Parteigänger der KPD. Entsprechend dramatisch entwickelten sich dann deren Schicksale, nachdem die Nationalsozialisten die Macht übernommen hatten.

Dass der kleine Wolf Biermann seinem Vater während einem der seltenen Haftbesuche das Lied von den Bomben auf Engelland vorgekräht hatte, gehört zu den eindrucksvollen Anekdoten, von denen Biermanns soeben erschienene Erinnerungen „Warte nicht auf bessre Zeiten!“ durchzogen sind. Die Spur von Biermanns Vater endet mit einer Sterbeurkunde vom 16. April 1943. Auf den abgedruckten Hinweis „Gebührenfrei“ macht Biermann in bitterer Ironie aufmerksam.

Die gelebte Entscheidung des späteren Dichters und Sängers, sich für die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft einzusetzen, erschien ihm geradezu zwingend als logische Konsequenz der Ermordung seines Vaters in Auschwitz. Zeitlebens hatte Wolf Biermann den Kampf seines Vaters gegen die Nazis als Auftrag und Vermächtnis empfunden.

Biermanns kommunistische Prägung hatte ihm die DDR als das bessere Deutschland vermittelt. Im Alter von sechzehn Jahren war er in die DDR übergesiedelt, um dort das Abitur abzulegen. Es folgte ein Studium der Mathematik und der Philosophie. Bald schon hatte er Kontakt zum legendären Berliner Ensemble aufgenommen. Nachdem er keck bei Helene Weigel höchstpersönlich um Vorsprache nachgesucht hatte, erhielt er eine Anstellung als Regieassistent. Seine eigene Gründung des „Berliner Arbeiter-Theater“ wurde kurz vor Fertigstellung 1961 von den Behörden verboten.

In der DDR hatte Biermann begonnen, Balladen und Gedichte zu schreiben, die er mit seiner Gitarre begleitete. Es ließ nicht lange auf sich warten, bis er den Zorn der Politbürokraten auf sich zog. 1965 ereilte den überzeugten Kommunisten ein endgültiges Auftritts- und Publikationsverbot in der DDR. Seine Überzeugung, den wahren und nicht durch die Macht verdorbenen Sozialismus zu repräsentieren, verlieh ihm jene souveräne Frechheit, der er seinen frühen Ruhm verdankte. Während er so manchen Politspießer der DDR zur Weißglut brachte, dankte ihm das Publikum für seine klaren Worte. Biermann setzte Maßstäbe, wie man ohne Angst seine Meinung offen sagen konnte. Eine ganze Generation von späteren Bürgerrechtlern, Dichtern und Künstlern war von Biermanns unbeugsamem Temperament inspiriert.

In schlimmsten Zeiten half ihm die Freundschaft mit Robert Havemann, sich nicht durch die ideologischen Anfeindungen brechen zu lassen. Havemann, Altkommunist und während der Nazizeit zum Tode verurteilt, hatte das Zuchthaus nur durch glückliche Fügung überlebt und war in der DDR vom Hoffnungsträger der Parteieliten in die Rolle des prominentesten Dissidenten zurückgefallen.

Der November 1976 bildete einen markanten Einschnitt in Biermanns Biographie. Die Behörden der DDR hatten ihm die Ausreise zu Konzertauftritten in der Bundesrepublik erlaubt. Obwohl ihm die Wiedereinreise zugesichert war, entzog ihm die DDR nach dem legendären Konzert in Köln die Staatsbürgerschaft. Zum ersten Mal in der Geschichte der DDR entwickelte sich im Lande ein Widerstand gegen die verkrustete Obrigkeit. Die Kulturpolitik der DDR sollte fortan nicht mehr zur Ruhe kommen.

Aber auch Wolf Biermann war aus dem Gleichgewicht gebracht, die politischen Gewichtungen waren ins Rutschen geraten. Er knüpfte Kontakte mit eurokommunistischen Genossen in Frankreich, Italien und Spanien. Über Jahre pendelte er zwischen seiner Vaterstadt Hamburg und Paris. Öffentlich solidarisierte sich Biermann mit Bürgerrechtlern in der DDR, mit der tschechoslowakischen CHARTA 77 sowie den polnischen Arbeitern auf der Leninwerft in Danzig.

Der Hass der parteiamtlichen Genossen in Ost-Berlin blieb ihm freilich erhalten. Noch im Oktober 1989 war ihm kurzfristig ein Visum in die DDR verweigert worden, als er nach Einladung von Bürgerrechtlern auf dem Berliner Alexanderplatz auftreten wollte. Das erste Konzert in den Leipziger Messehallen am 1. Dezember 1989 stellte für Biermann und seine Freunde eine Genugtuung dar.

Politische Wandlungen sind Biermann durchaus nicht fremd. Als an Hegel und Marx geschulter Dialektiker vermochte er die Ballade „Nur wer sich ändert bleibt sich treu“ schreiben. Eine Diskussion über die „deutsche Leitkultur“ holte ihn lediglich ein, da er bereits zu DDR-Zeiten Verse über das zerrissene Deutschland geschrieben hatte. Biermanns eigentliche Denkwurzeln lassen sich in seinen Porträts über Bertolt Brecht, Heinrich Heine oder Friedrich Hölderlin finden.

Aus seinem ereignisreichen Leben kann nachvollzogen werden, wie in geradezu organischer Weise die Abnabelung vom „kommunistischen Kinderglauben“ erfolgte. Die alten Antworten taugten für die neuen Herausforderungen immer weniger. Biermann hatte es sich dabei nicht leicht gemacht und vor dem Hintergrund seiner Familiengeschichte auch gar nicht leicht machen können. Dass er sich nach langem, schmerzhaften Prozess für den Bruch mit der kommunistischen Utopie entschied, bedeutete nicht, dass er sich seine kritische Sicht auf das Leben und die Welt verbaute. Ganz im Gegenteil!