Eine Satire gegen jedes totalitäre System

Einige Bemerkungen zu George Orwells „Farm der Tiere“

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Der britische Schriftsteller George Orwell (1903–1950), dessen eigentlicher Name Eric Arthur Blair lautete, wollte mit seinen Büchern stets auf politische Missstände hinweisen – und das in Form der Satire, ja der Groteske. Berühmt wurde er vor allem mit seinen beiden Werken Animal Farm (1945, dt. Farm der Tiere) und Nineteen Eighty-Four (1949, dt. 1984).

In Farm der Tiere – mit dem Untertitel Ein Märchen – benutzte Orwell die Form der Fabel, um die Geschichte und den Verlauf einer Revolution zu erzählen, die dann schlechtweg ‚entartete‘. Was zunächst als harmlose Kindergeschichte daherkommt, ist schließlich eine satirische, aber knallharte Anklage des Stalinismus, mithin jedes totalitären Systems.

Die Geschichte des Märchens ist schnell erzählt. Auf der „Herren-Farm“ kommt es zu einer Rebellion der Tiere gegen ihren brutalen und trunksüchtigen Besitzer Mr. Jones. Der alte und hochangesehene Eber Old Major öffnet mit einer eindrücklichen Rede den Tieren des Bauernhofes die Augen, indem er den Menschen als Ausbeuter brandmarkt. Durch eine Revolution müssten die menschlichen Peiniger vertrieben werden. Er warnt aber auch davor, nach der Revolution nicht selbst zu Menschen zu werden: „Alle Tiere seien gleich, unabhängig von ihrer Stärke oder ihrer Intelligenz.“ Wenige Tage später stirbt Old Major und als Mr. Jones wieder einmal volltrunken die Tiere vernachlässigt, wird er unter der Führung der Schweine Napoleon und Schneeball von der Farm vertrieben.

Zunächst übernehmen alle Tiere gemeinsam die Farm. Die „Herren-Farm“ wird in „Farm der Tiere“ umbenannt Doch die schlauen Schweine reißen bald das Kommando an sich und bauen ihre Vormachtstellung nach und nach zur Diktatur aus. Napoleon und Schneeball verfassen die sieben Gebote des Animalismus, nach denen sich alle Tiere zu richten haben – darunter die ehemalige Forderung von Old Major: „Alle Tiere sind gleich“. Die dümmeren Tiere sind jedoch nicht in der Lage, diese Gebote auswendig zu lernen – also reduzieren die Schweine sie auf die einfache Maxime „Vierbeiner gut, Zweibeiner schlecht“.

Eines Tages versucht Mr. Jones mithilfe von Nachbarn, seine Farm zurückzuerobern, doch der Angriff wird von den Tieren abgewehrt. Unter dem Vorwand, den Schutz vor äußeren Feinden zu verbessern, brechen die Schweine jetzt selbst die Gesetze des Animalismus. Sie wohnen im Herrenhaus und beanspruchen immer mehr Privilegien für sich. Schließlich kommt es zu Spannungen zwischen Napoleon und Schneeball, der als Verbrecher denunziert und von der Farm vertrieben wird. Die Lage für die anderen Tiere wird immer unerträglicher, sie werden zunehmend unterjocht. Eiskalt und brutal gehen die Schweine vor; es kommt zu Denunziationen und Hinrichtungen. Schließlich wird die Farm wieder in „Herren-Farm“ umbenannt und es gilt nur noch ein einziges Gebot: „Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher.“

Die hellsichtige Analyse eines Überwachungsstaates in Form eines Märchens erschien im August 1945. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges stellten sich jedoch der Veröffentlichung zunächst Schwierigkeiten in den Weg, denn die satirische Entlarvung der kommunistischen Diktatur drohte die britisch-sowjetischen Beziehungen zu belasten. Beide Siegermächte waren schließlich Verbündete der alliierten Anti-Hitler-Koalition gewesen. So lehnten vier Verleger das Manuskript ab – auch auf ausdrückliches Anraten des britischen Informationsministeriums. Für die Erstausgabe hatte Orwell ein Vorwort mit dem Titel The Freedom of the Press verfasst, das jedoch von der Zensur verboten wurde. Erst ein halbes Jahrhundert später wurde es gelegentlich in Neuausgaben aufgenommen – unter anderem in die Diogenes-Ausgabe (2002), allerdings nicht als Vorwort, sondern als Anhang.

George Orwell, zu Lebzeiten selbst bekennender Kommunist, der im Spanischen Bürgerkrieg in einer marxistischen Einheit gekämpft hatte, stellte mit seinem Buch sowohl die russische Revolution des Jahres 1917 als auch die spätere Diktatur Stalins an den Pranger. Er wollte zeigen, wie die revolutionären Hoffnungen und Ideale verraten wurden. Jedem aufmerksamen Leser fällt es nicht schwer, Parallelen zu historischen Ereignissen und Personen zu sehen. So ist in dem Eber Napoleon ein Abbild Stalins zu erkennen, dessen brutaler Terror sich in den tyrannischen Anordnungen Napoleons widerspiegelt. Schneeball verweist auf Leo Trotzki, der zunächst gemeinsam mit Stalin die Revolution anführte, dann aber von diesem zunehmend entmachtet und ins Exil getrieben wurde. Old Major hingegen repräsentiert sowohl Karl Marx als auch Lenin. In der berühmten Schlussszene des Buches blicken die verängstigten Tiere schließlich von „Schwein zu Mensch und von Mensch zu Schwein, doch es war ihnen nicht möglich zu sagen, wer wer war“ – hier spielt Orwell eindeutig auf die Konferenz von Teheran im Jahr 1943 an.

Farm der Tiere jedoch nur auf die russischen beziehungsweise sowjetischen Verhältnisse zu reduzieren, ist zu einseitig. Vielmehr wollte Orwell mit seiner Fabel die Verhaltensmuster und Praktiken von totalitären Staaten im Allgemeinen offenlegen. Und so besitzt das Buch aus heutiger Sicht immer noch ein hohes Maß an Aktualität. Auch die gängige Ansicht, dass Revolutionen stets in einer Diktatur enden, war sicherlich nicht die Sichtweise von Orwell, denn an keiner Stelle des Buches wird die revolutionäre Idee in Misskredit gezogen. Und so ist das Zugpferd Boxer, Sinnbild der Arbeiterschaft, der tragische aber wahre Held der Geschichte.

Eine erste deutsche Übersetzung von Farm der Tiere erschien bereits 1946. In der DDR war das äußerst unbequeme Buch – ebenso wie Orwells 1984 – dagegen bis zur Wende verboten: Von den inzwischen zahlreichen deutschen Ausgaben sei hier die Diogenes-Ausgabe und die ungekürzte Lesung von Hans Korte (1929–2016) erwähnt. Der brillante Sprecher verstand es, mit seiner geradezu bedächtigen, aber beschwörenden Stimme die Geschichte in ihrer ganzen Groteske hörbar zu machen.

Nur am Rande sei noch erwähnt, dass in dem Roman Snowball’s Chance (2002, dt. Jahrmarkt der Tiere, 2005) von John Reed (geb. 1969) Schneeball wieder auf die Farm zurückkehrt. Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems haben sich die gesellschaftlichen Verhältnisse grundlegend geändert. Nun hält die global agierende Marktwirtschaft mit all ihren Folgen Einzug auf der Farm der Tiere. Trotz der sicher fabelhaften Idee kann der satirische Roman jedoch nicht mit dem „Original“ mithalten.

Literaturhinweise

George Orwell: Farm der Tiere. Ein Märchen. Mit einem Nachwort des Autors. Übersetzt aus dem Englischen von Michael Walter. Diogenes Verlag, Zürich 2011. 132 Seiten, 9,00 EUR. ISBN-13: 9783257201185 

George Orwell: Farm der Tiere. Ein Märchen. Übersetzt aus dem Englischen. Ungekürzte Lesung von Hans Korte. Diogenes Verlag, Zürich 2008. 3 Audio-CDs, 19,90 EUR. ISBN-13: 9783257802146 

John Reed: Jahrmarkt der Tiere. Ein satirischer Roman. Übersetzt aus dem Amerikanischen von Olaf Irlenkäuser. Rotbuch Verlag, Berlin 2005. 150 Seiten, 17,90 Euro. ISBN-13: 9783434531300