Ein düsterer Blick in die Abgründe der menschlichen Seele

Katrine Engberg verfolgt in „Das Nest“ subtil verstörende Familiengeheimnisse und entdeckt ihre Freude am Privatleben ihres Ermittlerduos

Von Barbara TumfartRSS-Newsfeed neuer Artikel von Barbara Tumfart

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein fünfzehnjähriger Junge verschwindet eines Tages scheinbar spurlos in Kopenhagen. Oscar erscheint wie vom Boden verschluckt und hinterließ nur einen kryptischen Brief, der große Rätsel aufgibt. Die gut situierten Eltern, die eine renommierte Galerie in der Innenstadt betreiben, alarmieren die Polizei, da sie nach eigenen Angaben bereits mehrfach Drohbriefe erhalten haben. Das Ermittlerduo Anette Werner und Jeppe Kørner werden zu dem mysteriösen Fall hinzugezogen, tappen allerdings lange Zeit völlig im Dunkeln. Dann wird aber einen Tag später eine männliche Leiche im städtischen Müllheizkraftwerk gefunden. Die Aufregung und Angst sind groß, dass es sich um den jungen Buben handeln könnte. Allerdings ist der Tote der neue Dänisch Lehrer von Oskar, eine Tatsache, die der Geschichte rund um das Verschwinden des Schülers eine neue Dynamik verleiht.

Die Polizisten tasten sich nun langsam, aber stetig durch das Dickicht diverser familiärer Unstimmigkeiten im Umfeld von Oskar. Seine Eltern waren bereits vor geraumer Zeit in finanzielle Schwierigkeiten und ins Visier der Finanzbehörden geraten. Der ältere Sohn war zudem offenbar laut den Aussagen von anderen Lehrkräften an der Schule der Kinder in einen Fall sexueller Belästigung an einer Mitschülerin verwickelt. Auch die düster und verstörend wirkenden Zeichnungen von nackten Männern und Buben, die Oskar zuhauf und mit großem künstlerischem Talent angefertigt hat, tragen nicht unbedingt dazu bei, die krampfhaft zur Schau gestellte „normale Familienidylle“ zu untermauern. Als das Ermittlerduo dann auch noch in der Wohnung des eindeutig ermordeten Lehrers von Oskar eine solche Zeichnung findet, nimmt die bis dahin mitunter schleppende Handlung endlich etwas an Fahrt auf. Leider werden just in solchen Momenten die Ermittlungen und Handlungsabläufe von den privaten Turbulenzen der beiden Kriminalpolizisten immer wieder unterbrochen. Doch letztendlich gelingt einmal mehr durch die Mitwirkung von Esther de Laurenti, einer alten Freundin von Kørner und Literaturkennerin, die Lösung des ziemlich komplizierten Plots.

Engbergs neuer Roman ist trotz mancher inhaltlichen Schwächen eine durchwegs spannende und lesenswerte Fortsetzung ihrer Krimireihe. Faszinierend daran ist einmal mehr die unheimliche und bedrohlich wirkende Gesamtstimmung, die die dänische Autorin erfolgreich aufbaut und ihr psychologisches Feingefühl für die Zeichnung der handelnden Personen.

Titelbild

Katrine Engberg: Das Nest. Der Kopenhagen-Krimi.
Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg.
Diogenes Verlag, Zürich 2021.
416 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783257071733

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