Es war einmal: die Liebe
Die israelische Soziologin Eva Illouz analysiert Negativ-Beziehungen
Von Alexandra Richter
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseNicht anders als bei Edouard Louis’ Wer hat meinen Vater umgebracht steht auch bei Eva Illouz’ Warum Liebe endet eine Feststellung und nicht eine Frage im Titel. Das heißt, dass die Antwort in beiden Büchern als bekannt vorausgesetzt wird und es lediglich um deren Darstellung geht. So beklagt das neueste Buch von Eva Illouz – wie schon ihre vorhergehenden Untersuchungen zum selben Thema (Wa(h)re Gefühle, Gefühle in Zeiten des Kapitalismus, Die neue Liebesordnung, Der Konsum der Romantik, Warum Liebe weh tut) – die fatalen Auswirkungen der kapitalistischen Weltordnung auf Beziehungen. Was die Erfahrungsberichte, auf die Illouz ihre Arbeit stützt, belegen sollen, ist eine universale Lieblosigkeit, eine emotionale Konsumkultur, ein soziologischer Nullpunkt, der darin besteht, dass Bindungen grundsätzlich vermieden oder – wenn eingegangen – schnell wieder aufgelöst werden. Gemäß den vier Mottos der Einleitung will die Autorin wie ein Chronist verfahren („meine Arbeit soll davon handeln, was es heißt, heute zu leben“), dabei „vom Individuellen zum Kollektiven“ übergehen, um „zu sehen, was sich vor der eigenen Nase befindet“ und „die Katastrophe in den Rahmen des Gewohnten zu zwingen“. Die Liebe ist in ihrer Arbeit nicht ein Gefühl, sondern – das ist überraschend und auch gewöhnungsbedürftig – eine soziologische Kategorie, nämlich die Fähigkeit, Bindungen einzugehen. Diese soziologische Urfunktion bilde sich zurück in einer Welt, in der auch die Beziehungen Marktgesetzen unterworfen sind und der skopische Kapitalismus zur alles beherrschenden Struktur geworden ist. Für Illouz sind die Psychologen blind für den kollektiven Aspekt des Sexual- und Liebeslebens, nicht anders als die schwärmerischen Literaten oder Filmemacher. Als Soziologin will sie gesellschaftliche Strukturen und Muster aufdecken, jenseits von individuellen Geschichten und Einzelschicksalen. Für sie steht fest, dass das bürgerliche Lust- oder Trauerspiel des Sich-Findens, als dessen Telos die Einfahrt in den Hafen der Beziehung steht, Schnee von gestern ist. Krud und unverblümt bringt dies die gängige Tinder-Frage auf den Punkt: „Willste ficken?“
Die neuen, über die sozialen Netzwerke aufgekommenen Verhaltensweisen legen ein gesellschaftliches Paradox offen: das Auseinanderklaffen von Sex und Beziehung. Während Beziehungen immer mehr ins Asexuelle abdriften, wird Sexualität beziehungslos. Dieser Dialektik versucht Illouz auf den Grund zu gehen, indem sie in Anlehnung an Adornos Negative Dialektik bzw. Negative Ästhetik eine negative Soziologie entwickelt, eine Analyse der Nicht-Beziehung und ihrer Formen. Daraus ergibt sich für die Soziologin die entscheidende Frage, ob eine Gesellschaft ohne Beziehungen überhaupt denkbar ist und was es für ihre Zukunft bedeutet, wenn keine Bereitschaft oder Motivation mehr da ist, solche einzugehen. Was passiert mit den bindenden Kräften in einer unverbindlichen, beziehungslosen Welt?
Illouz’ Buch ist Populär-Soziologie, marktgerecht verpackt und präsentiert, mit einem Anspruch auf wissenschaftliche Seriosität (wie es der über hundertseitige Anmerkungsteil mit Fußnoten und Bibliographie belegt). Daher irrt, wer sich hier, vom Titel angesprochen, Rat und Orientierung holen will. Denn es geht nicht um das Verständnis des Liebesprozesses, seiner Freuden und Leiden, Probleme und Schwierigkeiten. Kein Stendhalsches De l´amour, keine Barthesche Sprache der Liebe, kein Liquid love à la Zygmunt Baumann. Die Liebe wird von ihrem Ende her in den Blick genommen, als etwas Gestriges, Vormodernes, über das Bücher geschrieben und Filme gemacht wurden. Dieses abstrakte und weite Verständnis von Liebe führt zu zahlreichen Verschiebungen, da darunter so Verschiedenes wie Sexualität, Beziehungen und Emotionen zusammengefasst wird. Probleme einer auseinandergehenden Ehe und Analysen von literarischen Werken des 18. Jahrhunderts stehen neben Befragungen, in denen Menschen von heute ihre Verzweiflung kundtun angesichts der wiederholten Erfahrung des Nichtentstehens von Bindungen, von sexuellen Kontakten, die „zu nichts“ führen und ohne Narrativ dastehen, da zumindest eine der beiden Seiten kein emotionales Ziel hat und sich jeglicher Zukunftsvorstellung verweigert.
Als Reflexionsgegenstand sind diese „Nichtbeziehungen“ eine Herausforderung. Allerdings vermisst man im Buch eine stringente Argumentation. Auch findet keine „Arbeit am Begriff“ statt, da das Phänomen der Liebe als etwas gesellschaftlich Gegebenes vorausgesetzt und nicht als kulturell Entstandenes analysiert wird. Verglichen mit philosophischen und literarischen Leistungen zum gleichen Thema steht die Soziologie irgendwie auf verlorenem Posten. Man vermisst philosophischen Scharfblick ebenso wie literarische Sensibilität für das Einzigartige und Individuelle (in dem sich viele wiedererkennen). Durch die Ablehnung von Philosophie und Literatur als unzeitgemäße Betrachtungs- und Analyseformen vergibt sich die Autorin die Chance, die Soziologie zu erweitern und vom viel zu engen Rahmen des Statistischen und Strukturell-Allgemeinen zu befreien. So stolpert man bei Illouz ständig über implizite Werturteile (die sie auch in die literarischen Werke hineinträgt), während sich Adornos Negativität illusionsfrei halten will und nicht auf Versöhnung bedacht ist, die nur zum Preis von Ideologie zu haben ist. Anstatt einer radikalen Setzung eines Nullpunktes, der der Soziologie so nottäte, ufert das Buch aus in seitenlange Lamentationen über den globalen Kapitalismus, der uns in einer lieb- und beziehungslosen Welt leben lässt. Beziehungslosigkeit als Symptom des Liberalismus ist das unterschwellige Dogma, die Pauke, auf die permanent draufgehauen wird und derer man zu Ende überdrüssig ist.
Die zugrundeliegende Dichotomie dieser „Kultursoziologie“ ist zu einfach gestrickt und zu naheliegend: Der Kapitalismus zerstört die „Liebe“ als sozialer Zement und führt zu einer Kapitalisierung der Körper, zur Verrohung der Sitten, zu einem Wertverlust durch die Reduktion des Körpers auf eine Ware. Alles wird ungewiss, da sich die Körper in einem ständigen Wettbewerb mit andern Körpern um die Aufrechterhaltung ihres Wertes befinden. Schuld an der neuen „Ungewissheit“ – einem Schlüsselbegriff der Illouzschen Analyse für die neue emotionale Unschärfe-Relation, in der der andere nicht mehr greifbar, sondern nur als Ware verfügbar ist – sei „eine süchtig machende Form der Selbstbestätigung, der Hypersubjektivität“, eine „suchterzeugende Selbstbejahung“, ein falsches Verständnis der Freiheit. Für die Kultursoziologin „ist Freiheit kein moralisches und politisches Ideal […], sondern ein dauerhafter, tiefgreifender und weit verbreiteter kultureller Rahmen, der das Selbstverständnis moderner Menschen und ihre Beziehungen zu anderen strukturiert.“ Hier scheint es Illouz um eine Kritik des amerikanischen Verständnisses von Freiheit als das Recht zu tun, was einem beliebt, zu gehen, die auf diesen Kontext bezogen sicherlich ihre Richtigkeit hat, jedoch keinerlei philosophische Gültigkeit beanspruchen kann. Immer wieder werden Ansätze aus der Frankfurter Schule im Buch aufgegriffen, jedoch nicht weiter verfolgt. So die für europäische Verhältnisse interessante Dichotomie zwischen einem aufklärerischen Verständnis der Freiheit (Selbstbestimmung und Autonomie als Verfolgen vernünftiger Ziele), wie es in der Tradition von Kant bis Habermas seinen Ausdruck gefunden hat, und einem hegelianisch-romantischen Verständnis (Ausdruck seines wahren Selbst). Ebenfalls völlig ausgeblendet wird, dass auch Beziehungen mit einem emotionalen Defizit einhergehen. Hier wären Ansätze wie in Trennt euch! von Thomas Meyer interessant, die den Finger auf das Gute und Befreiende der Trennung legen. Weiterhin würde man sich eine eingehende Auseinandersetzung mit Liebesutopien (von Charles Fourrier u.a.) als Sozialutopien wünschen. Wie können andere Vorstellungen von Liebe zu einer gesellschaftlichen Neuordnung führen? Welche andere Formen von Beziehungen sind denkbar, die die Kritik an den bestehenden Liebesordnungen mit ihren Rollenstereotypen aufgreifen?
Das Buch lässt die Leserin mit vielen Fragen zurück. Aber auch mit dem Eindruck, dass die Soziologie als Methode für dieses Thema unzulänglich ist. Sie wartet mit vielen Klischees und einseitigen Analysen auf, ihre Argumentation ist nicht kohärent und zu wenig kritisch, da sie ihre Voraussetzungen nicht hinterfragt. Die Fragwürdigkeit der soziologischen Methode steht klar vor Augen, auch ihr begrenzter Erkenntnisgewinn. Und so verspürt man am Ende wunderbarerweise den unwiderstehlichen Wunsch, zur Literatur zurückzukehren, wo die Liebe kein nur gesellschaftliches Phänomen ist und deswegen, als glücklich machende Illusion (Religion), nicht nur eine Gegenwart, sondern auch eine Zukunft hat.
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