Dieses Jahr ist Rosa

Eine rotblühende Graphic Novel über das Leben von Rosa Luxemburg in schwarz-weiß

Von Pascal LöfflerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Pascal Löffler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Zwi-zwi“ macht das Handy in der einen Hand der Frau, auf dem Bildschirm der bekannte Twitter-Vogel. Während das Kinn auf der anderen Hand liegt, sitzt sie da, die Beine über Kreuz, mit dem Blick zum Grabstein neben ihr. Schaut man genauer hin, kann man die Inschrift auf der Grabtafel lesen:

Rosa Luxemburg
Ermordet
15 Januar 1919

Es sieht so aus, als würde Rosa neben ihrem eigenen Grab sitzen, verschmitzt lächeln, und denken: „ich war, ich bin, ich werde sein!“ Mit diesen Worten hatte sie der sozialistischen Revolution kurz vor ihrem Tod zum letzten Mal ihre Stimme gegeben. Sie wurde durch ihr Leben zum Symbol.

Rosa sitzt wenig später nicht mehr neben ihrem Grab, sondern steht mit wehendem Haar und einem Schild, fest in beiden Händen haltend, einem Polizisten gegenüber, der gerade mit einem Knüppel zum Schlag ausholt. Das Schild ist ihr Werk Die Akkumulation des Kapitals – in Übergröße. Unter dem Bild ein Hashtag: #thecomingspring.

Diese Szenen entspringen Kate Evans Graphic Novel Rosa und bringen die Bedeutung und Aktualität der Gedanken und des Lebens Rosa Luxemburgs ins Hier und Jetzt. Wer Geschichte schrieb, über den sollten auch immer Geschichten geschrieben werden, um das Vergessen zu verhindern. Rosa ist ein wichtiger Schritt, um die Gedanken und Ziele Luxemburgs auch für diejenigen Leser zu illustrieren und zugänglich zu machen, die bisher vielleicht lediglich ihren Namen gehört haben.

Die Graphic Novel hat sich einen kaum erreichbaren Universalitätsanspruch auf die rote Fahne geschrieben, sie will auf 179 Seiten ein Panorama des gesamten Lebens einer Person entwerfen und dabei so nah an der Wirklichkeit bleiben wie nur möglich. Das liegt aber vor allem daran, dass Rosa im Auftrag der Rosa Luxemburg Stiftung NYC erstellt wurde, zu deren Archiv Kate Evans Zutritt bekam. So sind die kursiv gedruckten Texte dem Original entnommen, allein 43 Seiten sind Anmerkungen. Das Ergebnis ist keine klassische Biografie über Luxemburg, von der es genügend gibt. Es ist vielmehr eine Lobrede an die Person und deren intellektuelle Brillanz.

Darüber hinaus ist das Buch eine Einführung in die marxistische Ideenwelt mit all seinen ideologischen Ablegern. Die Sozialistin tritt dafür im Comic auch als Lehrerin auf und erklärt an der Tafel etwa, wie es um den Urkommunismus bestellt war und warum der Kapitalismus hier als dicker Mann mit Zylinder gezeichnet ist. Bevor der Leser dazu kommt, sich zu fragen, wieso er in dieser Szene zum Schüler degradiert wird, tritt Evans selbst als Figur auf und fragt sich: „aber ist irgendwas hiervon heute noch relevant?“ Zwei Panels später beantwortet sie ihre Frage selbst: „Aber Moment. Doch es ist immer noch dasselbe. Der Wohlstand der Konsumentenklasse […] basiert immer noch auf kapitalistischer Produktion […]. Luxemburgs Grundannahme bleibt also gültig.“ Quod erat demonstrandum.

Die berühmte vierte Wand wird gebrochen, der Leser persönlich angesprochen – nur um für ihn anschließend das eigene Denken zu übernehmen. Der belehrende Ton ist beinahe unerträglich. Dabei beweist die Geschichte selbst, wie es anders besser funktioniert, nämlich durch Distanz zum Leser, damit dieser die Freiheit hat, selbst über die – zugegebenermaßen – katastrophalen Auswirkungen des Kapitalismus nachzudenken.

Rosa, noch jugendlich, sitzt mit ihren Brüdern am Esstisch und erklärt ihnen, was es mit den Grundaussagen von Karl Marxʼ Das Kapital auf sich hat. In der Form der sequentiellen Kunst, wie der Comic auch genannt wird, ist es möglich, komplexe Sachverhalte eben durch seine Bildlichkeit erfahrbar zu machen. Da ist kein Lehrer mehr notwendig, wo Rosa es mit Löffel, Messer, Uhr und einem Geldstück schafft, den Tauschakt als Grundlage der Fetischisierung des Geldes und aller Objekte zu erklären. Es ist der Graphic Novel nicht vorzuwerfen, dass sie parteiisch ist und deutliche Nähe zur Freiheitskämpferin evozieren will. Je offensichtlicher allerdings diese Parteilichkeit (im Übrigen ein Begriff Lenins) wird, umso eher kommt es zu einer Abwendung des Lesers von der idealistischen Aussage über die Freiheit aller. Und ist es nicht das, was uns Luxemburg auch heute noch sagen würde: Nicht von oben herab zu lehren und auch die Lehrer zu hinterfragen?

Glücklicherweise halten sich die Lehrreden in verkraftbaren Grenzen. Zumal die bewegende Geschichte der Protagonistin als Rahmen einige narrative und stilistische Unebenheiten begradigt.

Rosa Luxemburg wurde im März 1871 als Jüdin im ehemaligen Königreich Polen geboren. Fast gleichzeitig versuchte die Pariser Kommune durch eine Revolution, Frankreich zum sozialistischen Staat zu ernennen. Ähnliches versuchte die Kämpferin Jahrzehnte später in Deutschland. Auch ihr war ein Erfolg der Revolution nicht vergönnt. Ihr Kampfeswillen und ihre Ideale wurden früh entwickelt und waren stärker als die Repressionen, unter denen Juden auch in Polen litten. „Im Hause der Luxemburgs herrscht finanzielle Armut, aber kultureller Reichtum. Und sie glauben fest an Aufstieg durch Bildung“. Der Glaube daran soll wahr werden. Rosa liest viel und lernt schnell, spricht fließend Russisch, Polnisch und Deutsch und erhält ein Stipendium für das Gymnasium. Dort lernen sonst die Kinder der Reichen. Und Rosa erkennt bald, welche Ungerechtigkeiten zwischen den verschiedenen Klassen in der Gesellschaft herrschen.

Während die anderen Mädchen im Gymnasium über ihre Probleme sprechen („Ich wünschte ich hätte mein eigenes Pony. Papa sagt, ich kann auf dem Pony meiner Schwester reiten, aber das ist nicht das Gleiche.“), wird für den Leser in den nächsten Panels der Kontrast zu den wahren Problemen der Armen und Benachteiligten sichtbar. Zu den Missständen lässt die Zeichnerin die reichen Kinder sagen: „Natürlich nehmen die Armen die Dinge ganz anders wahr als wir. Wir würden schrecklich leiden, wenn wir so leben müssten, aber ihnen ist es egal.“ Damit ist die Aussage zwar eindeutig, aber leider auch plakativ und eintönig gehalten, ebenso wie die Farben des Comics.

Auf den ersten Seiten der Graphic Novel wird eine Querdenkerin porträtiert, der idealistische Überlegungen nicht mehr ausreichen. Sie sucht nach Lösungen der Probleme, und da ihr als jüdische Frau in ihrer Heimat die Hände gebunden sind, zieht es sie in die Schweiz, wo man auch als Frau studieren kann. Dort wendet sie sich vor allem den Politikwissenschaften zu. Hier findet Luxemburg schließlich die Welt der sozialistischen Politik. Jeder Halt in ihrem Leben wird im Comic schlüssig und spannend erzählt. Es scheint fast so, als würde nichts ausgelassen werden. Dadurch unterscheidet sich Rosa von herkömmlichen Biografien, denn das Buch lässt auch die pikantesten privaten Erlebnisse nicht aus, auch Sex oder ihre körperlichen Einschränkungen sind keine Tabus. Man erfährt nicht nur, woher die politische Einstellung und der Revolutionsdrang Luxemburgs rührt, sondern auch, wie sie gelebt hat und welch faszinierender Mensch sie außerhalb ihrer Schriften und Reden war. Diese intellektuelle Überlegenheit beeinflusste anscheinend auch Evans, weil die Distanz zur Protagonistin sehr gering ist, womit mögliche kritische Leseansätze ungewollt erscheinen.

Die Porträtierte war ihrer Zeit auch als Frau weit voraus, sie war der Prototyp der selbstbestimmten Frau, die die Abhängigkeit von einem Mann ablehnte. So spinnt sich ein intellektuell-romantischer Faden mit Leo Jogiches in die Geschichte der großen Rednerin ein. Luxemburg lebt frei, ohne Kinder, bis zum Ende ihres Lebens. Ihre spätere Vermieterin vermutet: „Ich glaube nicht, dass Doktorinnen heiraten können. Es ist vermutlich wie bei Nonnen.“ Heiraten wird sie in Deutschland dann trotzdem aus taktischen Gründen: Sie braucht den Deutschen Ausweis.

Den Humor in Rosa darf man auf keinen Fall unerwähnt lassen, auch Luxemburg selbst wurde für ihren geschätzt – und für ihre spöttische Art gefürchtet. Man erfährt nebenbei in einem 7-Punkte-Plan „Wie man revolutionäre Sozialistin wird“, die da wären: studieren, reisen, der Polizei immer einen Schritt voraus sein, eine Partei gründen, bei der sozialistischen Internationale sprechen, Mitgliedergewinnung einleiten und die Propaganda verfassen. Kate Evans braucht dafür gerade mal fünf Seiten, Luxemburg hat dafür sicherlich ein paar mehr benötigt.

Sie wurde die revolutionäre Sozialistin, die sie immer sein wollte. Der Preis dafür jedoch ist hoch, wenn man für seine Ideale einsteht. Für die Idealistin entwickelt man bei jeder weiteren Seite mehr Anerkennung. Mehrere Gefängnisaufenthalte, eine gefährliche Reise nach Polen, um den Streikenden durch Blatt und Stift Kraft zu geben – doch sie kann nicht aufhören zu rebellieren, auch nach vielen Niederlagen nicht. Denn für sie bleibt der Kapitalismus „das Gewinde jener Kräfte, die die Welt zerreißen.“ Für ihre Kritik am Krieg muss sie erneut ins Gefängnis. Zwei Seiten sind gefüllt mit Luxemburgs Kopf, vom Nacken herauf rennen die Soldaten, auf ihrem Scheitel tobt das Kriegsgewitter. Der Erste Weltkrieg hat begonnen, auch wenn Luxemburg sich mit aller Macht dagegenstellte. Danach geht es rasant dem Ende zu, das Böse scheint zu siegen.

Vor 100 Jahren, am 15. Januar 1919, wurden die kommunistischen Anführer des Spartakusbunds, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, von der Garde-Kavallerie-Schützen-Division in Berlin getötet. Luxemburgs Leiche warf man in den Landwehrkanal. Ihr Tod war ein tiefer Einschnitt in die sozialistische Utopie einer Welt in Frieden.

Die Comic-Biografie beweist in Rosa sein Potenzial, den Leser mitzureißen. Doch nicht nur das Autobiografische evoziert hier die Nähe zwischen Protagonistin und Leser, denn die Zeichnerin Kate Evans, selbst Aktivistin, schafft es, unsere Gegenwart mit der Vergangenheit einer übergroßen historischen Person zu verbinden, auch wenn das Belehrende in einigen Panels überhandnimmt. Die aktuelle digitale Revolution und die täglichen Protestmärsche auf der ganzen Welt treten in Verbindung mit der Protagonistin und lassen das, was vor 100 Jahren geschah, noch immer sehr aktuell erscheinen. Es ist nie zu spät, aus der Geschichte zu lernen. Als Einstieg kann man getrost zu Rosa greifen: mit dem Gedanken im Hinterkopf, den Rosa Luxemburg auch zu Leo sagte: „Hinterfrage alles!“

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Kate Evans: Rosa. Die Graphic Novel über Rosa Luxemburg.
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Jan Ole Arps.
Karl Dietz Verlag, Berlin 2018.
228 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783320023553

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