Immobilieninvestor kauft literarisches Flaggschiff
Bernd F. Lunkewitz beschreibt den Erwerb des Aufbau Verlags in zwei Büchern
Von Günther Fetzer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseNicht weniger als drei Verträge musste der Frankfurter Immobilieninvestor Bernd F. Lunkewitz nach dem Beitritt der DDR zur BRD mit der Treuhand, der für die Privatisierung der Volkseigenen Betriebe zuständigen Behörde, schließen, um in den Besitz des literarischen Flaggschiffs der DDR-Verlagswelt, des Aufbau Verlags in Berlin und Weimar, zu gelangen: den ersten am 18. September 1991 mit seiner BFL-Beteiligungsgesellschaft, den zweiten wenige Tage danach mit drei weiteren Investoren am 27. September 1991 und den dritten schließlich am 24. November 1992. Die Posse, dass die Treuhand das Grundstück des Verlags in Berlin-Mitte durch einen Formfehler dabei ebenfalls an Lunkewitz verkaufte und dann zurückkaufen musste, was diesem einen Millionenbetrag einbrachte, muss hier unerzählt bleiben, kann aber im Buch ausführlich nachgelesen werden.
Damit war die Privatisierung des Vorzeigeverlags der DDR noch nicht abgeschlossen. Lunkewitz erfuhr 1994, dass die Treuhand den Verlag gar nicht hätte verkaufen dürfen, da er nicht als ehemaliger Volkseigener Betrieb (VEB) ihr Eigentum war, sondern der Verlag weiterhin dem im August 1945 gegründeten Kulturbund gehörte. Daraufhin kaufte er persönlich vom Kulturbund am 28. Februar 1995 die möglicherweise noch existente Aufbau-Verlag GmbH (alt) und am 21. Dezember 1995 den Geschäftsbetrieb mit dem gesamten Vermögen des Aufbau Verlags. Er verklagte im selben Jahr die Treuhandanstalt beziehungsweise deren Nachfolgeorganisation BvS (Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben). Die Verfahren zogen sich hin. Einer der befassten Richter sagte im Jahr 2000 zum Kläger: „Wir wissen, dass Sie Recht haben, das kriegen Sie hier aber nicht.“ Erst am 3. März 2008 erging ein letztinstanzliches Urteil durch den Bundesgerichtshof – bestätigt durch entsprechende Urteile vom 27. September 2010 und vom 12. Juli 2011 –, wonach die Treuhand 1991 einen Verlag verkauft hat, der ihr gar nicht gehörte, da er sich im Eigentum des weiterhin bestehenden Kulturbunds befand. Der Nachfolgeprozess wegen Schadensersatzforderungen von Lunkewitz zieht sich bis heute hin; eine Mediation scheiterte.
Der Immobilieninvestor und Verleger Lunkewitz hat diese windungsreiche Geschichte in den beiden hier besprochenen Büchern Der Aufbau-Verlag und die kriminelle Vereinigung in der SED und der Treuhandanstalt und Die Beschreibung eines Kampfes dargestellt. Beide sind im Europa Verlag 2021 beziehungsweise 2023 erschienen.
Im ersten Buch beschreibt Lunkewitz auf fast 400 Seiten in 17 Kapiteln zunächst kurz die Gründungsgeschichte des Verlags, seine Neupositionierung bei der „Profilierung des Verlagswesens“ in den Jahren 1962 bis 1965 sowie die Entwicklung bis zur Wiedervereinigung. Der Autor konzentriert sich dabei auf den Verlagsstatus als „organisationseigenem Betrieb“ des Kulturbunds, der einem Volkseigenen Betrieb (VEB) gleichgestellt, aber nie Eigentum der SED war – obwohl es nach der Wende Versuche der SED/PDS gab, den Verlag zu vereinnahmen. Bei der Darstellung zitiert Lunkewitz wie auch im Folgenden ausführlich aus den inzwischen zugänglichen Akten – so zum Beispiel die eidesstattliche Erklärung Klaus Höpckes, des stellvertretenden Ministers für Kultur der DDR und in Personalunion Leiter der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel, vom 15. Oktober 2018 [!], in der dieser den geschilderten Sachverhalt bestätigte.
Sehr detailliert und ebenso ausführlich dokumentiert er, dass die Treuhand den Verlag nicht hätte verkaufen dürfen, da sie von mehreren Seiten auf die Eigentumsverhältnisse hingewiesen worden war – vom Kulturbund, vom Sekretariat der UKPV (Unabhängige Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR) und sogar vom hauseigenen Direktorat Sondervermögen. Lunkewitz fasst seine Vorwürfe pointiert zusammen:
Die Treuhandanstalt handelte bei dem nichtigen Verkauf der beiden vermeintlichen GmbHs i. A. [im Aufbau] hauptsächlich durch diese drei Vertreter: den Vorstand Dr. Wolf Klintz, den Direktor Dr. Eberhard Sinnecker und den Abteilungsleiter Klemens Molinari. Sie verheimlichten arglistig gegenüber den Käufern ihre Kenntnisse über wesentliche Mängel der Kaufsache, insbesondere die Plusauflagen und die Eigentumsverhältnisse an den beiden Verlagen [Aufbau und Rütten & Loening], um sich selber die Vorteile aus den (nichtigen) Verträgen dauerhaft zu verschaffen.
An dieser Stelle fügt der Autor eine Fußnote ein, in der er eine Definition des Bundesgerichtshofs einer kriminellen Vereinigung zitiert.
Als wesentlichen Mangel der Kaufsache hat Lunkewitz neben den Eigentumsverhältnissen die Plusauflagen genannt. Das hat folgenden Hintergrund: Aufgrund der prekären Devisensituation der DDR konnten die ostdeutschen Verlage die Lizenzen westdeutscher Verlage nur für eine Auflage mit fest vereinbarter Stückzahl erwerben. In Wirklichkeit wurden jedoch weit mehr Exemplare gedruckt und verkauft, aber nicht abgerechnet. So wurden zum Beispiel von John Dos Passos‘ Manhattan Transfer 30.000 Stück mit dem westdeutschen Verlag abgerechnet, aber 150.000 Exemplare verkauft. Insgesamt summierte sich die nicht gezahlte Lizenzsumme allein für den Aufbau Verlag auf mehr als sechs Millionen DM; 59 Verlage waren betrogen worden. Erst im Jahr 2019 wurde ein Aktenvermerk eines leitenden Treuhandmitarbeiters bekannt, in dem dieser durch Falschinformationen die Kenntnis der Treuhand von Plusauflagen vertuschte und damit nach Ansicht von Lunkewitz den Käufern die Tatsache der Plusauflagen arglistig verschwieg.
Dass Lunkewitz letztlich vor dem Bundesgerichtshof Recht bekam, war jedoch – so der Verleger – ein „Pyrrhussieg“. Er meldete 2008 Insolvenz an und verkaufte den Verlag an Matthias Koch – ebenfalls einen Immobilieninvestor. In den drei letzten Kapiteln des Buchs stellt er, der von sich selbst stets in der dritten Person spricht, die Prozesse in Berlin und Frankfurt dar. Das erste Buch endet mit der Information, dass das Kammergericht Berlin eine Entscheidung für den 15. Oktober 2021 angekündigt hatte. Im Anhang sind zahlreiche Dokumente, die im Text zitiert werden, abgebildet. Ferner informiert eine Zeittafel (im zweiten Band aktualisiert) über den Gang der (juristischen) Dinge zwischen 1945 und 2021.
Im zweiten, mit knapp 200 Seiten halb so umfangreichen Band rekapituliert Lunkewitz zunächst den im ersten Buch ausführlich dargelegten Verlauf und zitiert dann das nach einer Verschiebung am 29. Oktober 2021 verkündete Urteil des Berliner Gerichts und kommentiert: „Die wörtliche Mitschrift dieser Urteilsbegründung demonstriert nicht nur das Niveau der Berliner Justiz, sondern auch die Rechtsbeugung im fiskalischen Interesse der Bundesregierung.“ Und fährt später fort:
Trotz der rechtskräftigen Entscheidungen des BGH zum Eigentum des Kulturbunds am Aufbau-Verlag der DDR hat sich die von der Bundesregierung gesteuerte Justiz dazu entschlossen, mit diesen willkürlichen Urteilen den Fiskus vor der Inanspruchnahme durch die Opfer des staatlich organisierten Betruges zu schützen.
Danach zerpflückt er das recht kurze Urteil des Einzelrichters Dominik Reith und wiederholt überwiegend die Sachverhalte aus dem ersten Buch. Neu ist die Wiedergabe einer eidesstattlichen Erklärung vom 16. März 2023 von Dieter Lange, der von 1978 bis 1983 Direktor des Aufbau Verlags und danach in der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel für den Verlag zuständig war. Lange bestätigt darin die oben erwähnte Darstellung seines ehemaligen Vorgesetzten Höpcke.
Dieser zweite Band ist vor allem auf den Vorwurf der Rechtsbeugung durch die Berliner Justiz zugunsten der Bundesrepublik Deutschland fokussiert. Es ist dem juristischen Laien, der der Rezensent ist, unmöglich, jede Windung der rund zwanzigjährigen prozessualen Auseinandersetzung, die ausführlich durch Archivrecherchen dokumentiert ist, zu verfolgen oder gar bewertend zu kommentieren. Wer jedoch die Prozessentwicklung mit all ihren zurückgehaltenen Informationen und arglistigen Täuschungen betrachtet, kann die heftige Wortwahl des Verlegers Lunkewitz nachvollziehen. Bemerkenswert ist jedenfalls, dass weder der angegriffene Richter noch die Treuhand noch ihre Rechtsnachfolgerin BvS noch das zuständige Ressort der Bundesregierung juristisch gegen Verbalinjurien und Unterstellungen wie die genannten („kriminelle Vereinigung“, „arglistige Täuschung“, „Rechtsbeugung“) oder die folgende vorgegangen ist:
In den Entscheidungsgründen belegen elementare Rechtsverstöße und die Willkür dieses Richters, dass er das Recht vorsätzlich falsch anwendet und damit die vom Bundesministerium für Finanzen gesteuerte BvS vor den berechtigten Ansprüchen der Geschädigten schützt.
Zwar hat der ehemalige Spiegel-Journalist Norbert F. Pötzl in seinem 2019 erschienen Buch Der Treuhand-Komplex an vielen Beispielen aufgezeigt, dass die oft wiederholte Behauptung, die Treuhand habe die DDR-Wirtschaft „plattgemacht“ so nicht stimmt und es gemessen an der Gesamtzahl der zu privatisierenden Volkseigenen Betriebe nur wenige Beispiele für offenkundiges Fehlverhalten der Treuhand gebe, doch liest man die beiden Bücher von Lunkewitz, so drängt sich unabweisbar der Eindruck auf, dass der Fall des Aufbau Verlags zu diesen Fehlleistungen gehört.
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